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Archiv-Artikel

LUST. Ausgerechnet Folge 14 Feindliche Übernahme

WAS BISHER GESCHAH: Auf ihrer Suche nach der Lust scheut Leena Experimente mit Lack und Leder und vergibt lieber zehn von zehn Punkten an die vegane Luxusküche. DIE LUST meutert und will Action

Leena quietschte wohlig. Moment mal, konstatierte ihr Über-Ich: Ich quietsche? Verwirrt rollte sie gen Bettkante. Etwas in ihr rollte sie zurück zur Mitte. Leena spannte die Bauchmuskeln an und versuchte es noch einmal. Wieder wurde sie zurückgerollt. Ein drittes Mal. Das Ergebnis blieb sich gleich: Leena konnte sich nicht aus dem Bett bewegen.

Ich bin ein Bleibliegenmenschchen. Sonderbarerweise musste sie lächeln – bis ihr die Forderung in den Sinn kam, die DIE LUST bei ihren Verhandlungen vor über neun Wochen gestellt hatte: Ich will, dass du bis mittags um drei schläfst, dich noch mal umdrehst und weiterschläfst. Was zur Hölle?, dachte Leena. Sie robbte erneut zur Bettkante. Im Zurückgerollt-Werden erhaschte sie einen Blick auf den Wecker. Drei Uhr. „Scheiße“, entfuhr es ihr.

„Du hast wirklich eine sehr lange Leitung.“ DIE LUST kicherte in ihrem Kopf.

In meinem Kopf?, dachte Leena. Was tut sie in meinem Kopf? „Komm da raus!“, schrie sie. „Du hast nichts in mir zu suchen!“

„Zuerst hat es dich gestört, dass ich da draußen bin und jetzt stör ich dich hier drinnen? Kannst du dich vielleicht mal entscheiden?“

„Raus!“, brüllte Leena und warf sich auf dem Bett hin und her. „Raus raus raus!“

„Du klingst wie ich.“ DIE LUST feixte. „Aber mit Reinszenierungen vom Exorzisten kommen wir nicht weiter.“

„Es gibt kein WIR!“, kreischte Leena. Spucketröpfchen flogen in die Luft.

„Doch“, widersprach DIE LUST. „Ab jetzt schon. Allein kriegst du es ja offensichtlich nicht auf die Reihe.“

Leena griff nach dem Kopfkissen und drückte es sich aufs Gesicht. Die Stimme DER LUST mutierte zu einem hypnotischen Singsang. „Essen. Faulsein. Zugucken und dann lieber doch nicht. Dass du dich immer leer und traurig fühlst, wundert mich kein bisschen. Du bist einfach gähnend ...“

Leena biss ihre Wut in die Füllung, so lange und feste, bis sie überraschenderweise ohne einen weiteren Gedanken einschlief. „Ich weck dich um fünf“, sagte DIE LUST.

Um halb sieben stakste Leena frisch geföhnt und mit getuschten Wimpern Richtung Potsdamer-Platz-Arkaden. „Was soll das werden?“, fragte sie biestig. „Ein Shoppingrausch? Damit sammelst du bei mir keine Punkte!“

„Musst nicht laut reden“, erwiderte DIE LUST. „Ich hör dich auch, wenn du denkst.“ Dann schubste sie Leena in den erstbesten Laden.

„Och nö!“, protestierte Leena. „Nicht H&M!“

„Nur für den Anfang“, antwortete DIE LUST. Ehe sie sich‘s versah stand Leena, die Arme voller Kleidung, die ihr nicht gefiel, in einer Kabine. DIE LUST tastete jedes einzelne Teil ab, jubelte bei dreien und stopfte sie ungefragt in Leenas Tasche.

„Nein!“, sagte Leena zu ihren Händen. „Echt jetzt: Nein!“ Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie, den Reißverschluss der Tasche aufzuziehen – DIE LUST hielt dagegen. Leenas Muskeln zitterten. Sie gab auf.

„Wirst sehen, es macht Spaß! Keine Pieper“, besänftigte DIE LUST, nahm die Tasche, drückte die Tür auf und lotste Leena zum Ausgang. Sie passierte die Diebstahlmelder ohne ein Geräusch. Niemand folgte ihr. Sie war schweißnass.

„Siehste?“, johlte DIE LUST. „Macht das Spaß oder was?“

„Oder was“, erwiderte Leena und starrte ungläubig auf ihre Tasche. Wenigstens ihre Hände hatten aufgehört zu zittern.

„Bereit für die Kür?“, fragte DIE LUST und ging ohne eine Antwort abzuwarten ins nächste Geschäft. Es war angenehm leer und tiefkühlklimatisiert. „Exakt, was wir brauchen“, strahlte DIE LUST. Lässig winkte sie dem Verkäufer, der entschuldigend auf das Telefon in seiner Hand deutete und zog scheinbar willkürlich Kleider von der Stange. Dann dirigierte sie Leena in eine Kabine.

„Ausziehen“, instruierte sie. „Und das an“ – sie reichte Leena ein meerblaues Etuikleid – „und deins drüber.“

Leena verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir haben wirklich keine Zeit für Fisimatenten“, rügte DIE LUST und schälte sie aus ihren Klamotten. Das Kleid passte einwandfrei. Das Etikett verlangte 239 Euro. „Bisschen spießig“, befand Leena. „Und bisschen teuer.“

„Teuer ist gut.“ DIE LUST grinste Leena im Spiegel an und Leena verdrehte die Augen. „Am Ende des Abends hat es sich mehr als amortisiert“, versprach DIE LUST.

„Am Ende des Abends? Was …?“

DIE LUST winkte ab und scheuchte Leena aus dem Laden, nicht ohne dem noch immer telefonierenden Verkäufer ihr Bedauern zuzugestikulieren. Inmitten des überdachten Konsumtempels spürte Leena, wie Panik in ihr hochkroch.

„Sag mal, willst du mich etwa als Escort vermarkten oder was?“

„Keine schlechte Idee!“ DIE LUST kicherte. „Aber meine bringt schnelleres Geld.“

Tania Witte lebt als freie Autorin in Neukölln und schreibt ab sofort den wöchentlichen Fortsetzungsroman Lust. Ausgerechnet auf der letzten Seite des tazplan. Ihr aktueller Roman leben nebenbei erschien im vergangenen Jahr beim Querverlag. Außerdem ist sie in Gestalt ihres Alter Egos CayaTe auf SpokenWord- Bühnen aktiv. Weiteres unter: www.taniawitte.de