: Viel Detailkritik an Großreform
Die Föderalismusreform und ihre Gegner: CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verteidigt den großkoalitionären Kompromiss, doch in NRW wächst der Unmut über die geplanten Änderungen
VON MARTIN TEIGELER
Der große Hauptstadt-Auftritt ist verpufft. Zu Wochenbeginn hatte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in Berlin nach einer „Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz“ ein Plädoyer für die Föderalismusreform gehalten. Gemeinsam mit Berlins Regierendem SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit warnte der CDU-Politiker davor, das Kompromisspaket erneut aufzuschnüren. Wer dies wolle, „gefährdet die gesamte Reform“, so Rüttgers‘ Warnbotschaft.
Besondere Autorität hatte das Machtwort des Ministerpräsidenten nicht. Fast täglich melden sich neue Reformkritiker zu Wort – einige mit Verbesserungsvorschlägen im Detail, andere mit prinzipiellen Vorbehalten gegen die neue Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Ein Streitthema ist das Reformwerk, das in dieser Woche vom Bundeskabinett und den Länderministerpräsidenten beschlossen wurde, vor allem beim Koalitionspartner der CDU im Bund. „Der Kompromiss ist ziemlich unbeliebt“, so ein NRW-SPD-Bundestagsabgeordneter zur taz über die Stimmung bei den Sozialdemokraten. Gestern kritisierte etwa die Ratinger SPD-Parlamentarierin Kerstin Griese Kompetenzverlagerungen in der Kinder- und Jugendpolitik an die Länder: „Wenn wir in der Bildung, bei Kindern und Jugendlichen den Anschluss an die west- und nordeuropäischen Standards schaffen wollen, müssen Bund und Länder gemeinsam handeln.“ In Nordrhein-Westfalen werde schon jetzt bei Kindertageseinrichtungen und Jugendförderung gekürzt, während andere Länder ihre Fördermittel aufstockten.
Zuvor hatten bereits SPD-Bildungspolitiker aus NRW gegen die Föderalismusreform mobilisiert. Wortführerin ist die Dortmunder Abgeordnete Ulla Burchardt. „Was jetzt als Gesetzentwurf vorliegt, zementiert ungleiche Bildungs- und Lebenschancen über Jahrzehnte und schadet dem Innovationsstandort Deutschland“, sagte sie. Der Weg in die Kleinstaaterei müsse verhindert werden. Zahlreiche weitere Sozialdemokraten wehren sich dagegen, den Bund in der Bildungspolitik zu entmachten und alle Kompetenzen für Schulen und Hochschulen den Ländern zu übertragen.
Auch die umweltpolitischen Eckpunkte der Föderalismusreform sind umstritten. Hier soll zwar der Bund in einem Umweltgesetzbuch eine integrierte Umweltpolitik machen können. Jedoch dürfen die Länder im Wasser- und Naturschutz künftig abweichen. Der NRW-Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt vor der Umsetzung der derzeitigen Vorschläge zur Neuordnung der Umweltkompetenzen. „Diese im Anhang zum Koalitionsvertrag niedergelegten Vorschläge sind mit ganz heißer Nadel gestrickt“, sagt BUND-Rechtsexperte Dieter Schmalz. Eine Realisierung der Vorschläge würde „einen Rückfall in die Kleinstaaterei und weiteres Umweltdumping bedeuten“. Unter Schwarz-Gelb in Düsseldorf drohe der „Abbau materieller Umweltstandards und Beteiligungsrechte“.
Ob die täglich vorgetragene Kritik dazu führt, dass die Föderalismusreform noch einmal neu verhandelt werden muss, ist unwahrscheinlich. Eher könnten parteipolitische Festlegungen die größte Verfassungsänderung nach 1949 noch verzögern. NRW-Ministerpräsident Rüttgers muss etwa auf seinen Koalitionspartner in Düsseldorf acht geben. Noch immer steht nämlich eine Drohung der Landes-FDP im politischen Raum: Fraktionschef Gerhard Papke hatte die Zustimmung der FDP zur Föderalismusreform „zwingend an den zweiten Schritt geknüpft, nämlich die Länderfinanzreform“. Doch ob dieser zweite Reformschritt tatsächlich erfolgt, ist bislang unklar. Vor allem den Länderfinanzausgleich und die Soli-Zahlungen für Ostdeutschland wollen die Freidemokraten auf den Prüfstand stellen – bei der SPD ist der Reformeifer weniger ausgeprägt.
Die FDP-Stimmen werden allerdings für die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundesrat benötigt. „Es wird keine Festlegung auf FDP-Positionen geben“, heißt es aus der NRW-SPD. Dennoch wird damit gerechnet, dass die Föderalismusreform kommt: „Nach jahrelangen Verhandlungen ist der Druck einfach zu groß. Niemand will der Schuldige sein, wenn das Ding scheitert.“