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Archiv-Artikel

Ohne Klagelieder

Die kurdische Kulturzeitschrift „Esmer“ zeigt, dass Kurden mehr können als Guerilla und Folklore – politisch ist das Magazin trotzdem

Von Deniz Yücel

Woran denken Sie beim Wort „Kurden“? An Krieg vermutlich, an Armut und Rückständigkeit oder an Unterdrückung und Widerstand. „Falsch ist das nicht“, sagt Mehmet Ali Izmir. „Aber mich stört, dass die Begriffe ‚Kurde‘ und ‚Politik‘ für Zwillinge gehalten werden. Dies übersieht etwa die Arbeiten kurdischer Künstler und ihre Beiträge zur türkischen Popkultur.“ Genau das aufzeigen will die Monatszeitschrift Esmer, deren Redaktion der 29-Jährige leitet.

Esmer, zu Deutsch etwa: „schwarzhaarig“, gibt es seit etwas mehr als einem Jahr. Wie alle türkisch-kurdischen Publikationen erscheint Esmer auf Türkisch, doch schon die beachtliche Autorenvielfalt deutet auf einen enormen Unterschied zu den üblichen Produkten. Izmir und noch einige weitere Mitarbeiter entstammen der einschlägigen Tageszeitung Gündem, der Rest ist bunt zusammengewürfelt. Zudem schreiben renommierte Autoren wie Friedenspreisträger Orhan Pamuk. Und wer die muffigen kleinen Redaktionsräume im Zentrum Istanbuls betritt, glaubt gerne, dass keine Geldgeber existieren.

Gelten dem Feuilleton kurdische Themen als Marginalien, interessiert man sich dort, wo kurdische Themen verhandelt werden, nur insoweit für Kultur, wie diese sich in den Dienst des politischen Kampfes stellt. Esmer führt Kurden und Kultur zusammen – im Untertitel bereits als Wortspiel: „Zeitschrift für populäre Kürtür“.

Unpolitisch ist das Blatt freilich nicht, wie auch? „Esmer trägt die Wundmale einer schmerzvollen Gesellschaft und hat trotzdem Humor, Leichtigkeit und Fantasie“, sagt Ahmet Tulgar vom Redaktionsbeirat, der wegen linker Aktivitäten in Haft saß und heute als Kolumnist der bürgerlichen Zeitung Vatan arbeitet.

Esmer kontextualisiert, archiviert, sichtet und ordnet neu; zum Beispiel wenn der Politfolkmusiker Ahmet Kaya gewürdigt wird. Dieser hatte 1999 bei einer Preisverleihung angekündigt, ein kurdisches Lied aufzunehmen, worauf er vom Publikum von der Bühne verjagt und anschließend von der Justiz und den Massenmedien ins Exil getrieben wurde, wo er verstarb. Wenn Esmer auf solche kulturellen Ereignisse aus der jüngsten Geschichte zurückblickt, geht es nicht nur ums Erinnern, sondern ebenso um eine Neuinterpretation, die Dinge aus dem Licht holen soll, in dem sie in den Jahren des Bürgerkriegs gesehen wurden: als Nebenschauplätze eines Konflikts, der in den Bergen Kurdistans ausgefochten wurde.

Vor der Liberalisierung, die die Türkei in der letzten Zeit durchlebt hat, wäre ein Projekt wie Esmer undenkbar gewesen. Unabhängig davon, ob diese Entwicklung dem angestrebten EU-Beitritt geschuldet ist – Tulgar und Izmir glauben, die EU habe nur als Vorwand gedient, um unvermeidbar gewordene Reformen einzuleiten –, verdeutlicht ein Projekt wie Esmer, dass sich auch auf kurdischer Seite manches gewandelt hat. Denn Esmer gibt eine Ahnung davon, wie eine Lösung des Konflikts jenseits von Nationalismus und Volkstümelei aussehen könnte.

Allein: Der Anspruch, zu einer kulturellen Modernisierung beizutragen, stößt gerade dort, wo kurdische Kunst Kurdischsprachige meint, auf Grenzen. Kurdischsprachige Literatur wird heute eher in Schweden als in der Türkei produziert. Für die Türkei kann man etwas vereinfacht sagen: Wer Bücher liest, versteht kein oder wenig Kurdisch, wer nur Kurdisch spricht, kann nicht oder kaum lesen und schreiben. Das könnte sich erst in ferner Zukunft ändern – vorausgesetzt, Kurdisch-Unterricht würde nicht nur erlaubt, sondern auch gewährleistet.

Die Musik hat es einfacher. Hier eröffnen sich andere Lücken, wie Fatih Akins Film „Crossing the Bridge“ gezeigt hat. „Nichts gegen traditionelle Lieder. Aber die meisten Kurden leben heute in Großstädten. Eine Musik, die immer nur ‚mein Dorf, meine Berge, meine Dorfschönheit‘ wiederholt, wird dem nicht gerecht, selbst wenn sie mit modernen Formen experimentiert“, sagt Izmir. Mag es noch an einem musikalischen Ausdruck eines großstädtischen kurdischen Lebensgefühls fehlen, ein publizistischer findet sich jeden Monat am Kiosk.