: Das Montagsinterview„Man schmorte im eigenen Saft“
Die ukrainische Pianistin Olena Kushpler liebt ihre Geburtsstadt Lviv – und Hamburg. Doch beides fühlt sich verschieden anGEBURTSHEIMAT ODER WAHLHEIMAT Olena Kushpler ist vor zwölf Jahren aus dem ukrainischen Lviv nach Hamburg gekommen, um Klavier zu studieren. Ihre Zwillingsschwester ging als Sängerin nach Wien. Inzwischen empfindet Olena Kushpler Hamburg als Heimatstadt. Dennoch kann sie sich vorstellen, nach Lviv zurückzugehen
■ trat als Siebenjährige erstmals auf. Mit zwölf spielte sie Beethovens 1. Klavierkonzert in der Philharmonie Lviv.
■ 1998 ging sie zum Studium nach Hamburg.
■ 2004 gründete sie mit dem Violinisten Hovhannes Baghdasaryan und dem Cellisten Mikhail Tolpygo das Bonnard Trio.
■ Seit ihren Studienabschluss 2007 hat Olena Kushpler einen Lehrauftrag an der Hamburger Musikhochschule.
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Frau Kushpler, fürchten Sie, dass der neu gewählte Präsident Wiktor Janukowitsch Ihr Heimatland Ukraine wieder zum Vasallenstaat Russlands macht?
Olena Kushpler: Nein. Wäre Janukowitsch ein paar Jahre früher gewählt worden, hätte er sich zweifellos sehr russlandfreundlich verhalten. Aber inzwischen hat sich die Ukraine stark verändert. Ich war nie Janukowitschs Anhängerin, und während der Orangenen Revolution …
… bei der Janukowitsch dem pro-westlichen Präsidenten Wiktor Juschtschenko weichen musste …
… haben wir Ukrainer hier in Hamburg mit Plakaten vor der russischen Botschaft gestanden. Aber was sich nach der Orangenen Revolution entwickelt hat, ist natürlich unerfreulich: Wie war es möglich, dass Juschtschenko, der 2004 über 70 Prozent der Stimmen bekam, jetzt nur noch ein paar Prozent erhielt? So sehr das Vertrauen der Menschen zu verlieren, das muss man erst mal hinkriegen. Die meisten sind sehr enttäuscht, in welch desaströsem Zustand die Ukraine ist.
Spalten sich die Ukrainer noch in eine pro-russische und eine pro-ukrainische Fraktion?
So eindeutig kann man das nicht sagen. Wobei ich natürlich aus dem westlichen Teil der Ukraine kommen – aus Lviv beziehungsweise Lemberg. Dort legt man schon Wert auf das Ukrainische. In den östlichen Regionen um Donezk, Charkow oder auf der Krim dagegen wird meist Russisch gesprochen. Aber die Situation ist jetzt nicht so zugespitzt wie vor ein paar Jahren.
Und Sie – haben Sie mit der Ukraine abgeschlossen?
Nein, um Gottes willen! Dort leben ja meine Eltern. Ich reise regelmäßig dorthin.
Sie sind aber ausgewandert.
Nein. Ich bin zum Studieren an die Hamburger Hochschule gekommen. Ich wollte meinen Horizont erweitern. Und Deutschland war für mich immer das Land mit dem größten Kulturangebot.
Was hat Ihnen in Lviv gefehlt?
Wenig, schließlich ist Lviv eine an Kultur sehr reiche Stadt. Allerdings hatten wir eine begrenzte Auswahl an CDs und Büchern aus dem Westen. In puncto Pianisten waren hauptsächlich Aufnahmen der Künstler verfügbar, die man in den Achtzigern und frühen Neunzigern in der Sowjetunion verehrte – Svjatoslav Richter und Emil Gilels etwa. Westliche Pianisten wurden kaum rezipiert, Kammermusik-Ensembles gar nicht. Diese Künstler live zu erleben war in Lviv nicht möglich. Man schmorte im eigenen Saft.
Sehnen Sie sich manchmal nach Lviv zurück?
Ich habe das Glück, in einer wunderschönen Stadt geboren zu sein. Lviv wird von den Menschen, die dort leben, unglaublich geliebt. Diese Liebe ist allenfalls mit der Zuneigung der Pariser zu Paris vergleichbar.
Was genau lieben Sie an Lviv?
Einerseits natürlich die Architektur: Ich halte Lemberg für die schönste Stadt der ehemaligen Sowjetunion. Abgesehen davon hat die Stadt etwas Mystisches. Sie lebt ihr eigenes Leben und hat ein Charisma, das sie auch ohne ihre Bewohner hätte. Hinzu kommt, dass dort viele Künstler, Musiker und andere Kreative leben.
Würden Sie wieder in Lviv leben wollen?
Ich könnte es mir vorstellen: Ich bin dort ins Musikleben integriert und könnte meinem Beruf nachgehen. Jetzt lebe ich aber schon seit zwölf Jahren in Deutschland. Ich würde sogar sagen, das ich die bewusste Zeit meines Lebens in Deutschland verbracht habe. Und ich liebe dieses Land. Ich bin hier verheiratet, habe Freunde und betrachte Hamburg inzwischen als meine Heimatstadt.
Fühlt sich die Liebe zu Hamburg anders an als die zu Lviv?
Ja. In Lviv ist das etwas Ureigenes. Da wird dir warm ums Herz, da fühlst du dich geborgen – wie bei einer Mutter. Das hängt natürlich auch mit der Sprache zusammen. Hier in Hamburg dagegen – das war eine Liebe, die später kam, und natürlich ist das ein bisschen anders. Aber nicht minder stark.
Sie und Ihre Schwester Zoryana sind zweieiige Zwillinge und traten schon als Kinder auf. War das eine erzwungene sozialistische Wunderkind-Karriere?
Nein, wir haben frei entschieden. Aber das Umfeld hat natürlich das Seine getan: Unser Vater ist Opernsänger, unsere Mutter Pianistin. Es wurde immer viel musiziert, und als wir Interesse und Talent zeigten, wurden wir gefördert. Unsere Eltern hätten auch akzeptiert, wenn wir etwas anders gemacht hätten. Aber wir wollten Musik machen. Ich habe Klavier gewählt, meine Schwester Geige, und wir haben viel zusammen gespielt. Aber wir gingen auch getrennte Wege: Ich habe zum Beispiel mit zwölf mein erstes Beethoven-Klavierkonzert gegeben. Meine Schwester ist später zum Gesang gewechselt. 1998 ging ich nach Deutschland, sie kam ein Jahr später nach.
Wer ist die Ältere?
Ich wurde zehn Minuten vor Zoryana geboren.
Ist Ihre Symbiose so stark wie bei vielen eineiigen Zwillingen?
Wir sind einander sehr verbunden – emotional und musikalisch. Wenn wir zusammen musizieren, verstehen wir uns ohne viele Worte.
Sie begleiten Ihre Schwester oft am Klavier. Stört Sie diese Rollenverteilung?
Nein, denn ich habe ja parallel mein Klaviertrio und gebe Solokonzerte. Und wenn wir als Lied-Duo zusammenarbeiten, sind Vokal- und Klavierpart immer gleichberechtigt.
Ist es ein Problem, dass Zoryana seit 2007 Solistin an der Wiener Oper ist und weit weg wohnt?
Nein. Wir telefonieren und sehen uns oft. Wir haben gerade eine CD aufgenommen und bereiten demnächst gemeinsame Auftritte vor. Abgesehen davon lebt jede ihr Leben.
Dass Sie Zwillinge sind, spielt keine Rolle?
Natürlich spielt es eine große Rolle in unserem Leben. Aber ich fände es ziemlich ungesund, wenn eine wegzöge und die andere dann vor Sehnsucht zugrunde ginge …
Was ist Ihnen wichtiger: Ihre Solistenkarriere oder Ihr 2004 gegründetes Bonnard Trio?
Das Wichtigste ist für mich, einfach Musik zu machen. Da liebe ich die Liedbegleitung genauso wie das solistische Spiel und die Kammermusik.
Sind Sie eher Einzelkämpferin oder Teamplayerin?
Beides. Das muss auch so sein. Schließlich ist macht das die Kammermusik aus: dass drei teamfähige Menschen mit Solistenmentalität zusammenkommen: Musiker, die alle etwas zu sagen haben und dies in den Dienst der Musik stellen.
Aber bei drei Solisten will jeder im Mittelpunkt stehen. Wie können die ein Team werden?
Indem sie in dieselbe Richtung denken und ein gemeinsames Ziel haben. Natürlich muss man Kompromisse schließen. Aber das ist letztlich wie in einer guten Ehe. Da muss ja auch nicht der eine stark und der andere schwach sein. Es können beide stark sein, und mal hört der eine zu, mal der andere. Ich glaube, nur so kann’s funktionieren.
Fanden Sie es je schwierig, in Deutschland zu leben? Immerhin haben die Nazis während des Zweiten Weltkriegs Tausende Ukrainer zur Zwangsarbeit gezwungen.
Das stimmt. Aber man darf nicht vergessen, dass viele Ukrainer auch unter dem Stalinismus sehr gelitten haben. Natürlich war die Geschichte der 40er Jahre in ganz Europa eine schreckliche Zeit. Aber sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine lebt jetzt eine andere Generation.
Ihr Nachname klingt weder ukrainisch noch russisch. Woher stammen Ihre Vorfahren?
Das werden wir auch in der Ukraine ständig gefragt. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht genau, woher der Name kommt: Während des Zweiten Weltkriegs haben viele Menschen bei uns ihre Identität verschwiegen. Ich weiß nur, dass unsere Familie jüdische Vorfahren hat und mein Vater erzählte, dass es in seinem Dorf mehrere Leute mit deutsch klingenden Namen gab. Es wäre sehr interessant, dem nachzugehen. Wenn ich Zeit habe, würde ich gern mal in Archiven graben.