: Den eigenen Pfad suchen
KUNSTGESCHICHTE Das gewitzt Skurrile und das Flüchtige gelten gemeinhin nicht als feministische Eigenschaften. Zeit also, sich mit dem Besuch bei „Re.act.feminism“ in der Akademie der Künste vom Gegenteil zu überzeugen
■ Das Ausstellungs- und Archivprojekt „re.act.feminism – a performing archive“ zeigt über 250 Film- und Fotodokumente der feministisch inspirierten Performancepraxis. Der Schwerpunkt liegt bei Arbeiten aus den sechziger bis frühen achtziger Jahren sowie zeitgenössischen Positionen.
■ Zur Präsentation in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, gibt es ein Rahmenprogramm. Die nächste Veranstaltung ist am Mittwoch, 7. August, um 17 Uhr beim Re.act-feminism-Jour-fixe eine Gesprächsrunde und Videoschau mit Henry Wilde (Antonia Baehr) und Ida Wilde (Keren Ida Nathan). Ausstellungsdauer bis 18. August. Di.–So. 11–19 Uhr. www.reactfeminism.org
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
„Feministische hexenmütter sind frauen die in sich selbst nach dem weiblichen prinzip suchen und sich als töchter der dreieinigen schöpferin verbunden fühlen“, schrieb Ulrike Rosenbach 1977 im „Ersten Manifest zur Kulturrevolution der Frauen“. 1977, da war ich seit einem Jahr Studentin der Germanistik und der Kunstgeschichte in Marburg und wusste von feministischen Künstlerinnen noch nicht viel. Von Valie Export, Marina Abramovic, Lynn Hershman – alle seit den frühen siebziger Jahren als Performance-Künstlerinnen unterwegs – hatte ich noch nichts gehört. Wohl aber wanderten die ersten Bücher über Hexen, Göttinnen und andere in die Marginalien der Geschichte verdrängte oder verteufelte Frauen ins Regal.
Und insofern löst der Blick auf Rosenbachs Manifest einen kleinen Flashback aus: diese Emphase! Diese Sehnsucht nach wilden Heldinnen! Und dieser Sound, der gleich aufs große Ganze zielt, Geschichte und Mythos, Politik und Spiritualität. Was für ein gewaltiges Programm.
Das Manifest, das sich für das Recht der Frauen starkmacht, die Kontrolle über ihren Körper und das Wohlergehen ihrer Seele in die eigenen Hände nehmen zu können, liegt jetzt als ein laminiertes Blatt Papier auf einem Arbeitstisch in der Akademie der Künste. Es ist nicht mehr Appell, sondern ein Dokument der Zeitgeschichte in „Re.act.feminism. A performing archive“. Das ist keine Ausstellung, sondern tatsächlich ein Archiv, das Dokumente, Fotomappen und Videos von 180 Künstlerinnen und Kollektiven – darunter aktuell auch Pussy Riot – zusammenbringt. Ein Lesetisch, fünf mobile Stationen, um DVDs zu schauen, und Schubladen voller Fotomappen, das ist das ganze Setting. Und ein Handbuch mit kurzen Texten zur Biografie und Werk der archivierten Künstlerinnen und ihrem Material im Archiv.
Ambivalentes Schillern
Wie also fängt man an, das Archiv zu nutzen? Ich mach mir eine kleine Liste von Künstlerinnen, die mich einmal mit einzelnen Beiträgen in Ausstellungen sehr beeindruckt haben, ohne dass ich viel von ihnen kenne – wie die jung gestorbene Helen Chadwick (1953–1996) aus England, Lygia Clark aus Brasilien, Lynn Hershman aus den USA, Mona Hatoum aus London. Und freue mich von Mal zu Mal über die Skurrilität der Performances, den Witz in der Kritik, das ambivalente Schillern der Posen. Der Feminismus scheint da oft als eine sehr selbstironische Spielart von Konzeptkunst und Performance auf.
Lynn Hershman zum Beispiel wirbt in einem Videoclip für eine Installation in einem Hotel. Sie lässt nacheinander ganz unterschiedliche Frauen und einen Mann in die Kamera sagen, „Hallo, ich bin Lynn Hershman, komm mich doch besuchen im Dante-Hotel.“ Das wirkt verwirrend anzüglich, mehr wie Sexangebote im Privatfernsehen um Mitternacht, eine Parodie auf die Kommerzialisierung des Intimen. Und das 1974.
Auch Helen Chadwicks halbstündiges Video „Domestic Sanitation“ macht Spaß durch die Albernheit und Überdrehtheit der Rituale in einer Schönheitspraxis. Die Kostüme übertreiben die Sexualisierung der Frauen, das Inventar oszilliert zwischen Fitness-Raum und Gynäkologie, der Kommentar stammt aus der Radiowerbung für Schönheitsprodukte – süffisant wird die Absurdität der Zurichtung der Frau zum schönen Objekt zur Schau gestellt. Selbst den Dilettantismus der Show, die Chadwick 1976 als Abschlussarbeit am Polytechnikum in Brighton präsentierte, wünscht man sich nicht weg.
Über die brasilianische Künstlerin Lygia Clark (1920–1988) erwische ich einen Dokumentarfilm von 1984, „Memoria do Corpo“. Er zeigt sie auf dem Bett sitzend, eine Reihe von Objekten vorführend, die besondere Empfindungen des Körpers evozieren, weich oder schwer in der Hand liegen, kratzen oder kühlen, sexuelle Bewegungen nachahmen oder auch Beklemmungen erwecken. Zu jedem Ding gibt es eine Geschichte, eine Interaktion zwischen Künstlerin und Klienten. Ja, richtig, Kunst und Therapie liegen für die Brasilianerin eng beieinander, die Objekte könnten Skulptur sein und sind doch in erster Linie zur Kommunikation über sinnliche und seelische Zustände gedacht.
Solche Wege aus dem Gebiet der Kunst heraus zu suchen, direkter zu kommunizieren, machte die feministisch bewegte Kunst eben auch aus. Mona Hatoum dagegen sucht einen Weg ganz wörtlich, bei einer Performance durch den Londoner Stadtteil Brixton, 1985. Hier hatten vier Jahre zuvor die Brixton Riots getobt, Proteste gegen die Thatcher-Politik in einem Viertel, das dringend mehr statt weniger soziale Unterstützung gebraucht hätte. Die Kamera blickt in „Roadworks“ auf die nackten Füße der Künstlerin, die über Asphalt laufen, Stiefel hinter sich herziehend. Verletzlichkeit liegt in dem Bild, aber auch eine Lust am Sich-Aussetzen. Dass das Naheliegende, die Schuhe anzuziehen, nicht getan wird, kann man als Kommentar deuten.
Schon sind 90 Minuten vergangen, da habe ich gerade mal vier Positionen von 180 gesehen, eine zufällige Auswahl. Anders als eine Ausstellung konstruiert das Archiv keine Erzählung über eine Zeit und ein Thema, sondern stellt dafür nur Materialien zur Verfügung. Man erwischt sozusagen immer nur einen Zipfel des Ganzen. Und bekommt dabei doch ein Gefühl vermittelt, wie reich das Feld der feministischen Aufbrüche ist. Und wie flüchtig es in seiner Materialität aus Performances, Installationen, Manifesten und Filmen war. Geschichten, die man leicht verlieren und vergessen kann. Marginalisieren eben auch. Dagegen ist das Archiv, das die beiden Kuratorinnen Bea Stammer und Bettina Knaup initiiert haben, äußerst nützlich.
Am Ende blättere ich noch durch einige Fotomappen mir bis dahin unbekannter Künstlerinnen. Und treffe schon wieder auf göttlich groteske Dinge. Wie die Gruppe Rose English, sechs Frauen, die 1975 in der Dressurarena der Southampton Horse Show als Pferdchen einliefen und eine Zirkusnummer nachtanzten.
Wie kommt das nur, frage ich mich auf dem Weg nach Hause, dass Witz so selten mit Feminismus und seiner Hochzeit in den siebziger Jahren assoziiert wird? Weil diese Künstlerinnen meist nur vor kleinem Kreis agierten? Weil ihre Kunst flüchtig war? Weil es nicht ins Klischeebild der verbissenen Benachteiligten passt?
Vermutlich spielt das alles eine Rolle und noch mehr.