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Archiv-Artikel

Ikonen und Stereotype

BILDAUSWAHL Warum unsere Vorstellungen von großen Ereignissen manchmal so frappierend gleichartig sind: Das Photomuseum in Braunschweig widmet sich der Rhetorik des journalistischen Fotos

Der 11. September 2001 lässt sich durch zwei fotojournalistische Ikonen repräsentieren

Er sei am 11. März 2009 in der Schweiz gewesen, als er von dem Amoklauf in Winnenden erfuhr, erzählt Florian Ebner, Leiter des Museums für Photographie in Braunschweig. Am nächsten Tag habe er dann an unzähligen Autobahnraststätten die deutsche und internationale Tagespresse gekauft, denn: Wie berichten Zeitungen über ein schreckliches Geschehen, wenn es davon kein Foto gibt?

Die meisten Blätter machten am 12. März mit dem selben Bild auf, einer stillen Aufnahme vom DPA-Fotografen Marjian Murat: fassungslose Schüler hinter der großen Fensterfront ihrer Schule. Aber auch in den folgenden Tagen differenzierten sich die Bildtypen kaum: Der Boulevard brachte unscharfe Porträts des Amokläufers aus privaten Quellen, die sonstige Presse hilflose Bilder vom abgesperrten Schulgelände aus unterschiedlichsten Blickwinkeln.

Rund 80 Tageszeitungen hat das Museum für seine aktuelle Ausstellung „Rhetorik der Bilder. Über das journalistische Foto“ allein zum Amoklauf in Winnenden zusammengestellt. Doch selbst von einem anderen Ereignis, das sehr umfassend dokumentiert wurde, grenzte sich die Bildauswahl in den Medien überraschend eng ein: Der 11. September 2001 lässt sich durch zwei fotojournalistische Ikonen repräsentieren – Spencer Platts Aufnahme vom Einschlag des Flugs 175 in den südlichen Turm und Thomas Franklins Foto, das drei Feuerwehrleute zeigt, wie sie in den Trümmern die US-Flagge hissen.

Dieses Bild, ob inszeniert oder nicht, ist selbst ein Zitat einer weiteren US-Fotoikone, nämlich Joe Rosenthals Aufnahme der Flaggenhissung auf Iwo Jima im Jahre 1945. Was auf die geradezu nationaltherapeutische Funktion dieses Motivs hinweist: Rosenthal nahm sein Bild Tage vor der entscheidenden Schlacht im Pazifik auf, der Kriegsausgang war ungewiss und die drei abgebildeten Soldaten überlebten die folgenden Kämpfe nicht. Gleichwohl gilt es als Dokument für einen Wendepunkt – des Krieges und eines nationalen Traumas.

Wie wenig szenische Analogie schon reicht, um Originalbild und Ereignis wachzurufen, zeigt die österreichische Gruppe G.R.A.M. in ihrer Serie „Nach Motiven von …“: Da liegt ein junger Mann in einer Blutlache auf dem Asphalt, begleitet von der Pietà einer jungen Frau – und jeder erinnert sich an den Tod Benno Ohnesorgs im Juni 1967.

Die Muster europäisch christlicher Ikonografie im Pressebild analysiert wiederum Pascal Convert. Er rekonstruiert in einem Video die Geschichte des Fotos einer algerischen Frau, die 1997 den gewaltsamen Tod ihrer Familie beklagt. Diese Muslima, wohlgemerkt, erreicht in ihrem Schmerz für den Bruchteil einer Sekunde den Ausdruck einer Gebenedeiten Qualität – und geht in Folge als „Madonna von Bentalha“ durch die Weltpresse.

Ikone oder doch Stereotyp? Diese Definitionen scheinen wenig relevant für das bildjournalistische Handwerk. Ungleich gewichtiger ist der Umgang mit der neuen Dimension all des anonymen Handy- und Videomaterials, wie es etwa nach dem Tod von Neda Agha-Soltan am 20. Juni 2009 nicht nur übers Internet Verbreitung fand, sondern auch via CNN. Hier wollen einerseits diese unmittelbaren Quellen genutzt, andererseits Persönlichkeitsrechte geachtet werden.

BETTINA MARIA BROSOWSKY

bis 25. April, Braunschweig, Museum für Photographie