: Auf der Flucht vor der WM
Während der Fußball-WM ist die Welt zu Gast in Deutschland, doch die Nordrhein-Westfalen sind nicht zu Hause: „WM-Fieber kann das Reisefieber nicht ersetzen“, so die Touristik-Branche
von KLAUS JANSENund SIMON LENARTZ
Die Welt zu Gast bei Freunden – und alle Deutschen sind weg? Während der Fußball-WM wird Deutschland zumindest kein Land der Zuhausebleiber und Heimfernsehgucker. Viele Menschen wollen lauten Fußballfans vor der Haustür aus dem Weg gehen und schauen sich das Turnier aus der Ferne an.
„Wir sind überrascht, wie viele Leute verreisen wollen“, sagt Daniela Sauerwald, Sprecherin der Reiseveranstaltergruppe ITS, Tjaerborg und Jahn Reisen. Die Zahl der Buchungen während der WM-Spiele liege sogar über dem Juni des Vorjahres. Beim Reiseveranstalter Neckermann beispielsweise 25 Prozent darüber. Und für TUI ist der Juni gar der meist gebuchte Monat im Jahr. Nichts zu spüren von einer Reiseflaute während der Fußball-Weltmeisterschaft. Tourismusexperten hatten lange davor gewarnt, dass es nach der WM zu einem Massenandrang kommen könnte, weil die Deutschen während der WM alle zu Hause bleiben. „Das Gegenteil ist der Fall“ sagt TUI-Pressesprecherin und Stefanie Rother, „eher während der WM werden die Auslandsflüge und Hotelbetten knapp.“
Auch die Fluggesellschaften verzeichnen zumindest keinen Rückgang der Reisewilligen: „Da passiert nicht viel im Vergleich zu anderen Jahren“, sagt eine Sprecherin der Billiglinie Germanwings. Gleiches gilt für die Konkurrenz von Airberlin: Die Buchungen von Auslandsflügen laufen nach eigenen Angaben „sehr gut“. Allerdings sei dies nicht unbedingt auf die WM zurückzuführen, sagt Sprecherin Claudia Loeffler – generell nähmen Reisen außerhalb der Ferienzeiten zu. Die Sommerferien in den meisten Bundesländern beginnen erst Mitte Juli – nach der WM also.
„Das WM-Fieber kann das Reisefieber nicht ersetzen“, heißt es auch in der Tourismusstudie 2006, in der das BAT-Freizeitforschungsinstitut die Auswirkungen der WM auf den Tourismus untersucht hat. In der Vorausschau der Experten gibt es einen kleinen „WM-Knick“: Im Juni verreisen sieben und im Juli elf Prozent der Deutschen – nur zwei Prozent weniger als im Vorjahr.
Denn die Reiseveranstalter locken die WM-Flüchtlinge ausgerechnet mit – na klar, Fußball. „Wir haben uns schon vor einem Jahr überlegt, was wir unseren Kunden anbieten können“, sagt Sauerwald. Also gibt es auf Rhodos, Mallorca und in Bulgarien neben der obligatorischen Großbildleinwand auch Spielanalysen und Trainingskicks mit ehemaligen Fußballprofis. Auf der Insel Kreta lässt Tjaerborg für jedes Tor der deutschen Nationalmannschaft einen Ouzo springen, mit Meiers Weltreisen gibt es auf Bali für jeden Treffer ein Freibier, und für den Titelgewinn spendiert ITS in Amoudara griechischen Champagner. Wer weg von den Spielorten möchte, aber dennoch in Deutschland bleiben will, kann dass Turnier auch bei einem Bierchen in der Uckermark verfolgen. „Die WM lässt sich überall gucken“, sagt Sauerbier.
Potenzielle Käufer für das Pauschalangebot gibt es genug. Das Forschungsunternehmen tns-infranet teilt die Deutschen in „Fußballfreunde“, „Sozialseher“ und „WM-Ablehner“. Letztgenannte Spezies, bestehend aus „Genervten“ und „Kritikern“, machen 56 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Flucht statt WM-Euphorie also.