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Archiv-Artikel

Kein Durchkommen

SITZPROTEST In Bad Nenndorf räumte die Polizei eine friedliche Blockade, um den Weg für Neonazis freizumachen. Die scheiterten dennoch an den Blockierern

Auch nach der dritten Ansage der Polizei, die Straße vor dem Wincklerbad zu räumen, blieben die Blockierenden sitzen. Die Luftballons flogen, das Konfetti wurde in Bad Nenndorf weiter geworfen. „Wir bleiben hier“, sagte Sigrid Bade, die zweite Vorsitzende des Sportvereins VfL Bad Nenndorf. Dabei ist sie etwas unsicher: „Es ist das erste Mal, dass wir trotz der Ansage der Polizei nicht gehen. Doch wir haben der Antifa gesagt, wenn sie friedlich sind, bleiben wir.“ Und die Antifa blieb friedlich.

Um 16.05 Uhr muss am Samstag die Polizei in der Kurstadt erleben, dass ihre Ansage, wer sitzenbliebe, eine Straftat begehe, zu keiner Trennung des Protests führte. Über 600 Anwohner, Sportfreunde und Antifaschisten blockierten seit 14 Uhr jene Kreuzung, wo ein „Trauermarsch“ der rechtsextremen Szene enden sollte: Vor dem Wincklerbad, das nach 1945 ein Internierungslager des britischen Geheimdienstes war.

Erst als die Polizisten Demonstranten nicht gerade vorsichtig wegtrugen, kippte die Stimmung. Ein Frau schlug fassungslos die Hände vor’s Gesicht, als die Polizei eine andere Frau über die Straße schleiften: „Ich habe so was noch nie gesehen.“

Um 18 Uhr waren die Rechtsextremen nahe dem Bad – weiter kamen sie nicht. Dieter Riefling, Anführer der Freien Kameradschaften, drohte, dass „sie“ die Straße räumen würden. Kurz vor 20 Uhr gaben die Neonazis aber auf und kehrten um. Bis zu der Zeit war es der Polizei nicht gelungen, vier Menschen, die sich an einer Pyramide, 40 mal 40 Zentimeter, befestigt hatten, sowie drei Gruppen mit jeweils drei Protestierenden, die mit Fahrradketten aneinander gebunden waren, wegzubringen.

Schon die Anreise der Neonazis hatte sich verzögert. Ein paar hatten sich nach dem Stopp einer S-Bahn zwischen einem Waggon und dem eingleisigen Steg an einer Bio-Tonne, gefüllt mit Beton, angekettet. Der Zugverkehr musste eingestellt werden. Erst nach Stunden waren die knapp 270 Rechtsextremen, darunter Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck, da.

Den Tag über hatten etwa 1.600 Demonstranten gegen den Marsch im achten Jahr in Folge protestiert. Niedersachsen Innenminister Boris Pistorius sagte: „Nicht Bad Nenndorf hat ein Problem mit den Nazis, sondern die Nazis haben ein Problem mit Bad Nenndorf.“ Sven Kindler, Bundestagsabgeordneter der Grünen, sagte: „Die Räumung durch die Polizei halte ich aber für völlig unverhältnismäßig.“ ANDREAS SPEIT