Wahnsinn. Echt, jetzt

REISE Das ZDF schickt sechs Deutsche in „Auf der Flucht – Das Experiment“ auf Flüchtlingsrouten nach Afrika und in den Nahen Osten (immer Do., 22.15 Uhr)

VON JENS MÜLLER

Wahnsinn! Das ZDF erfindet sich gerade neu auf seinem Ableger ZDFneo und zeigt sich hyperreflektiert. Nach der so köstlich selbstironischen Sascha-Hehn-Sitcom „Lerchenberg“ kommt nun die bitterböse Mediensatire, die mit der privaten Konkurrenz abrechnet. Die Marktanteile nur dadurch gewinnt, dass sie in Sachen Geschmacklosigkeit und Zynismus keine Grenzen mehr gelten lässt.

RTL II zeigt seinen „Frauentausch“-Doku-Soap-Trash. Das Zweite zeigt nun auf ZDFneo: „Auf der Flucht – Das Experiment“. Mockumentary nennt man neudeutsch solche Parodien auf das dokumentarische Genre. Der Off-Text: „Sechs Deutsche auf einer Reise ins Ungewisse. Sie lassen sich auf ein außergewöhnliches Experiment ein. Die sechs werden zu Flüchtlingen auf Zeit. Machen sich auf den Weg in die Heimat der Menschen, die nach Deutschland fliehen.“ Die sechs werden aufgeteilt in „Team Nahost“ und „Team Afrika“.

Bei RTL II gab es mal das Format „Abenteuer Afrika – Deutsche Teenies beißen sich durch“. Dicke deutsche Kinder wurden zum Abnehmen zu den genügsamen Eingeborenen in die Kalahari-Wüste geschickt. Hier geben die Kandidaten ihre Handys und Pässe ab und sollen in 18 Tagen den Routen folgen, die Flüchtlinge nach Deutschland nehmen, in umgekehrter Richtung. Was ist das harmlos-eklige Ungeziefer aus dem „Dschungelcamp“ gegen die lebensgefährliche Mittelmeer-Passage in einem Schlepperboot!

Ein anständiger Reality-Trash steht und fällt natürlich mit dem Personal aus abgehalfterten C-Promis und Grenzdebilen – Überschneidungen erwünscht. Und da lässt sich das ZDF fürwahr nicht lumpen und hat den Privaten gleich mal Mirja du Mont abgeworben, vierte Ehefrau von Sky du Mont und mit diesem in diversen Personality-Shows präsent.

Sky du Mont hat mal in der RTL-Serie „Arme Millionäre“ einen seines Vermögens verlustig gegangenen Reichen gespielt, der daraufhin aus der Luxusvilla in die Plattenbauwohnung seines Chauffeurs ziehen musste. Nun gibt die Gemahlin eine reiche Deutsche, die die Flucht einer armen Afrikanerin nachstellt. Selbstironie für Fortgeschrittene.

Die sechs Kandidaten sind natürlich als Typen gecastet, Mirja ist die Naive: „Mich interessiert das. Ich hab’ in meinem Leben noch nie Krieg mitgemacht.“ Mit Mirja im „Team Afrika“ ist ein Nazi-Aussteiger, Diagnose Kevin: „Kurz und knapp gesagt: Die NPD war mir einfach zu demokratisch gewesen.“ Und dann ist da noch die auf Berliner Straßen gestählte Streetworkerin mit türkischen Wurzeln. Kevin als Weichei zu entlarven, ist für Songül eine leichte Übung. Für das gegnerische „Team Nahost“ spielen ein Ex-„Böhse Onkelz“-Bassist (C-Promi, Ex-Rechtsrock-Verdacht), ein schreibender Ex-Fallschirmjäger und eine bloggende Thilo-Sarrazin-Verehrerin.

Es gibt nur ein kleines Problem: Irgendwann wird klar, das ZDF erlaubt sich keinen bösen Spaß. Die meinen das ernst.

Die Flüchtlingslager sind keine Kulisse, der Sender lässt seine „Teams“ auf echte Flüchtlinge mit echten Geschichten los. Der Streit, den sie zwischen Flüchtlingen verursachen, ist echt. Das Essen, das sie echten Flüchtlingen in einer echten Suppenküche wegessen, ist echt. Echt ist gewiss auch der Aufklärungsanspruch des ZDF, etwa über Dublin II und die Drittstaatenregelung. Und das ist der eigentliche Wahnsinn: Es ist gut gemeint.