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Archiv-Artikel

„Zur Nachbarschaft gehört auch Polen“

Ein wichtiger Teil der Arbeit der Regenbogenfabrik ist der Jugendaustausch mit der polnischen Partnerstadt Stettin. Doch der ist nicht immer ganz einfach. Vor allem bei Kreuzberger Jugendlichen muss das Interesse erst geweckt werden

taz: Frau Ziegler, Sie machen in der Regenbogenfabrik viele Projekte mit polnischen Jugendlichen. Eher ungewöhnlich für Kreuzberg, oder?

Christine Ziegler: Wir haben 1997 damit angefangen und bald von der Stiftung Jugend und Familie dafür auch eine Finanzierung über drei Jahre bekommen. Da haben wir vieles ausprobiert – Radtouren, Kochevents, aber auch Konzerte mit Bands aus Stettin. Dass die Verbindung mit Polen ungewöhnlich ist, ist natürlich richtig. Zu der Zeit war das Interesse noch nicht so groß. Aber wir haben uns gesagt: Als Nachbarschaftszentrum richten wir unser Augenmerk nicht nur auf die unmittelbare Nachbarschaft in Kreuzberg, sondern auch auf das Nachbarland Polen.

Und die Kreuzberger Partnerstadt Stettin.

Kreuzberg hat seit 1996 eine Partnerschaft mit Stettin. Viele von unseren Aktivitäten laufen auch in Kooperation mit dem Partnerschaftsverein. Das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Für vieles gibt die Städtepartnerschaft den institutionellen Rahmen.

Welche Erfahrungen machen denn Kreuzberger Jugendliche, wenn sie nach Stettin kommen?

Zunächst ist es sehr mühsam, sie überhaupt dazu zu bringen, dorthin zu fahren. Es nicht gerade das spannendste Ziel. Zum anderen ist es schwer, immer alle Teilnehmer nach Stettin zu bringen, weil es da Visaprobleme gibt.

Türkische Staatsbürger brauchen für die Einreise nach Polen ein Visum.

Genau. Das wird oft vergessen, und dann gibt es Tränen an der Grenze. Es gibt übrigens auch drastische Äußerungen der Jugendlichen wie: Nach Polen fahr ich gerne, da sind die Weiber billig. Wenn man dann aber da gewesen ist, sei es bei HipHop-Begegnungen oder Graffiti, ist die Begeisterung sehr groß, E-Mail-Adressen werden ausgetauscht, die Leute bleiben in Kontakt.

Sind die Stettiner Jugendlichen neugieriger auf Kreuzberg?

Tendenziell kommt es mir so vor, ja.

Was steht da im Vordergrund?

Shoppen gehen. Brandenburger Tor. Oft ist es aber so, dass die Jugendlichen sehr zurückhaltend sind. Die ersten Tage wollen sie nicht allein unterwegs sein, sie wollen lieber jemanden, der sie begleitet. Da ist die Stadt einfach zu groß.

Ruft Multikulti in Kreuzberg Begeisterung hervor oder auch Abwehrreaktionen?

Erst mal großes Erstaunen. Das Gefühl, sich in Acht nehmen zu müssen. Es gibt da auch so was wie informelle Reisewarnungen, wie man sie auch aus Westdeutschland kennt: Kreuzberg, um Gottes willen! Da kann man nachts nicht aus dem Haus gehen.

Wenn dann auch noch so Sprüche kommen wie „Klein-Istanbul“, dann rücken sie schon zusammen. Aber dann siegt die Neugierde, und es ergibt sich ein Dialog. Den muss man aber auch unterstützen. Einfach nur durchlaufen, das tut es nicht. Da braucht man schon Treffen, auch mit anderen Gruppen. Dann ist es auch aufregend, in einer großen Stadt zu sein.

Ist Jugendaustausch der Dreh- und Angelpunkt von interkultureller Arbeit?

Ich glaube schon. Die Erfahrungen, die man da macht, nehmen die Leute mit und wissen es erst gar nicht. Das kommt manchmal Jahre später zum Tragen. Vor kurzem habe ich eine E-Mail von einer polnischen Teilnehmerin bekommen. Die war bei einer Radtour an der Oder dabei. Das hat sie so begeistert, dass sie später Umwelttechnik studiert hat. Es kann also ein Einstieg sein.

INTERVIEW: UWE RADA