manifeste, islam etc.
: Kapriolen und Freiheitswille

Der grassierende islamische „Totalitarismus“ – wahlweise auch als „Islamofaschismus“ bekannt – bedroht zwar, wie überall zu lesen ist, die Errungenschaften der europäischen Aufklärung, er verhilft aber einem ihrer schönsten Institute zu einer unverhofften, neuen Blüte: dem Manifestwesen. Vor zehn Tagen veröffentlichte ein Pariser Satireblatt das „Manifest der 12“, unterzeichnet von einer Reihe muslimischer Autorinnen und Autoren (Salman Rushdie, Ayan Hirsi Ali) sowie einiger Pariser Intellektueller, an vorderster Front Bernard-Henri Lévy. Daraufhin fühlten sich auch einige deutsche Antitotalitaristen zum Manifestieren inspiriert. Mit dabei: Thea Dorn, Alice Schwarzer, Necla Kelek und Focus-Chefredakteur Helmut Markwort. Kelek – die deutsche Hirsi Ali? Markwort – der deutsche Bernard-Henri Lévy? Man kann über BHL viel Spöttisches sagen, den Millionenerben und Geck mit dem täglich frischen, faltenfrei gebügelten und bis zum Nabel aufgeknöpften Hemd, der in Pariser Salons ebenso zu renommieren versteht wie im Wiener Hotel Sacher: Doch ihn mit Markwort zu vergleichen – das hat er nicht verdient!

Aber vielleicht wirft dies auch, beim Stichwort „Kampf der Kulturen“ ein ergiebiges Thema, ein Schlaglicht auf die Differenz von französischer „Zivilisation“ und deutscher „Kultur“ (© Thomas Mann). Da die Salonkultur, dort die Ehrentribüne von Bayern München. Da die exzentrischen Kapriolen des Esprit, dort die ruppigen Tümlichkeiten des Volksempfinden. Da die großen Gesten der Droits de l’homme, dort eine Freiheitskultur, die glaubwürdiger wäre, fiele es nicht so schwer, sie von der Kultur der Jungen Freiheit zu unterscheiden. Man mag einwenden, diese nationalkulturellen Differenzen wären nichts als Klischee. Aber das passt dann ja auch nicht schlecht zum Islambild der neuesten Manifestationskultur. Und außerdem sind die schönsten Klischees die, die von der Wirklichkeit gedeckt sind.

ROBERT MISIK