: Die Gesicht zeigt
VON SVEN HANSEN
Es ist Nacht, als der Täter ins Haus schleicht und Asma Akter mit Schwefelsäure übergießt. Die hoch konzentrierte Flüssigkeit verbrennt die Kopfhaut der damals 13-Jährigen, sie verätzt ihr Gesicht und Hände, Asmas linkes Augenlid löst sich nahezu auf. Der Grund für das Säureattentat? Asma und ihre Familie haben den Heiratsantrag des Täters abgelehnt.
Sieben Jahre sind seither vergangen, und noch heute werden Frauen in Bangladesch Opfer von so genannten Säureattentaten. Manchmal reicht schon eine Zurückweisung, ein abgelehnter Heiratsantrag wie bei Asma, eine ausstehende Mitgift oder Streit um Land, der Männer zu Tätern werden lässt. Ihre Waffe, die Säure, kostet nur wenige Cent.
Der schwer verletzten Asma konnte damals kaum geholfen werden – weder vor Ort noch im nächstgrößeren Provinzkrankenhaus. Auch die Universitätsklinik der Hauptstadt Dhaka war nur unzureichend auf die Behandlung der Opfer von Säureattentaten vorbereitet. Dabei sind die in Bangladesch alltäglich.
Asma fand trotzdem Hilfe. Im Jahr des Anschlags auf sie wurde in Dhaka die Acid Survivors Foundation gegründet, die Stiftung hilft Überlebenden von Säureattentaten. Die von der Aktivistin Monira Rahman und dem irischen Arzt John Morrison gegründete Organisation nahm sich des Mädchens an. Sie wurde zu den fünf plastischen Operationen und den anschließend vier Augenoperationen begleitet, sie wurde im Rehabilitationszentrum der Stiftung gepflegt, juristisch beraten und psychologisch betreut. Die Stiftung organisierte eine Behandlung in Spanien, wo Spezialisten ihre Augenlider, ihre Stirn, Nase und einen Teil ihrer Lippen wiederherstellen konnten. Die Stiftung übernahm Kosten, die Asmas Kleinbauernfamilie nie hätte zahlen können.
Monira Rahman, die wir im Berliner Büro der Menschenrechtsorganisation amnesty international treffen, hat es nie gereicht, Frauen wie Asma nur medizinische Hilfe anzubieten. Dabei ist schon das im armen Bangladesch eine große Herausforderung. Der 41-jährigen Frau geht es immer auch um Gerechtigkeit für die Opfer und die Ächtung ihrer Misshandlung.
„Die Opfer sind zu 75 Prozent Frauen und Mädchen, die Täter zu 100 Prozent Männer“, sagt Rahman. Seit 2002 leitet sie die Stiftung für die Überlebenden von Säureattentaten. Die Täter kämen meist aus der Nachbarschaft, manchmal aus der eigenen Familie. Rahman versucht auch Männer für den Kampf gegen Säureattentate zu gewinnen. Das gelingt teilweise. Doch die Täter erreicht sie nicht: „Was in diesen Männern vorgeht, verstehen wir noch nicht wirklich. Bis heute hat kein einziger Mann ein Säureattentat zugegeben, selbst wenn er dafür verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt.“
Säureattentäter wollen ihre Opfer nicht töten, sie wollen ihnen nur das Leben zur Hölle machen, sagt sie. „Das Gesicht ist ja unsere Identität. Und plötzlich muss die Frau beim Blick in den Spiegel erkennen: Ich bin anders. Das wirkt sich auf die ganze Familie aus, die deshalb sogar oft sozial isoliert wird.“ Die Betroffene leidet den Rest ihres Lebens unter Schmerzen. Beim Anblick ihres zerfressenen Gesichts wenden sich die Menschen entsetzt ab. Viele glauben, wem so etwas angetan wurde, müsse dazu irgendwie beigetragen haben.
Rahman hat nicht weggeschaut. „Mitte der 90er-Jahre habe ich zum ersten Mal Säureopfer gesehen“, erinnert sie sich. „Ich wusste zuerst nicht, wie ich mich den beiden Frauen gegenüber verhalten sollte. Aber dann erkannte ich ihre Stärke: Sie wollten trotzdem weiterleben. Das hat mich sehr beeindruckt.“
In Krankenhäusern fand Rahman weitere Opfer. Die Frauen vegetierten dort vor sich hin. Die meisten waren erblindet, viele warteten nur noch auf den Tod. Eine angemessene Behandlung ihrer Wunden gab es im ganzen Land nicht, selbst wenn sie sie hätten bezahlen können. In ganz Bangladesch gab es nur ein Krankenhaus mit einer kleinen Station für Verbrennungsopfer. Erst mit Gründung der Stiftung hat sich das geändert.
„Unsere Regierung hat bis dahin Säureopfer nur als Gesundheitsproblem angesehen“, erzählt Rahman. „Es war schwer zu vermitteln, wie verbreitet diese Attentate sind. Die Polizeistatistiken waren ja geschönt.“ Inzwischen führt die Stiftung genauestens Buch. 1999 zählte sie 136 Anschläge, 2000 waren es 222, 2001 sogar 341. 2002 war der Höhepunkt mit 485 erreicht, seitdem geht die Zahl zurück: auf 195 im letzten Jahr. „Säureattentate gibt es auch in anderen Ländern Asiens und Afrikas“, sagt Rahman, „aber nirgends so viele wie in Bangladesch.“
Heute wird den Opfern in Rahmans Heimat auf dem neuesten Stand der plastischen Chirurgie geholfen. Die aus Spenden finanzierte Stiftung betreibt seit fünf Jahren eine Spezialklinik und ein Pflegeheim in der Hauptstadt. „Seit fünf Jahren kommen Chirurgen aus aller Welt nach Dhaka und geben ihr Wissen weiter. Vorher mussten wir schwere Fälle immer ins Ausland schicken“, erklärt Rahman.
In der Stiftung helfen Opfer anderen Opfern und deren Familien. Es geht da nicht nur um medizinische Probleme wie Operationen, Transplantationen, Physiotherapie und Verbandswechsel. „Genauso wichtig ist“, sagt Rahman, „dass die Frauen wieder Selbstbewusstsein bekommen. Und dass sie Job- und Ausbildungsangebote haben.“ Sie nennt das Beispiel eines Mädchens, das wie sie Monira heißt. „Sie war erst zwölf Jahre alt, als sie mit Säure übergossen wurde. Sie wurde in Spanien operiert. Aber um wieder ein halbwegs normales Leben zu führen, musste sie danach wieder zur Schule gehen. Doch die Schule lehnte ab. Wir haben uns dann darum gekümmert und die Schule überzeugen können. Jetzt lernt Monira wieder, ihr werden sogar die Gebühren erlassen.“
Über den Horror, der jeder dieser Geschichten innewohnt, spricht Rahman ruhig und gefasst. Die Mutter zweier Söhne räumt jedoch ein, dass ihre Arbeit sie psychisch belastet. Sie selbst habe mühsam lernen müssen, das täglich erlebte Grauen zu verkraften. „Ich bekam Albträume von sterbenden Frauen. Ich hatte Angst, selbst Opfer eines Attentats zu werden und traute mich nur noch mit einer Wasserflasche auf die Straße, um Säure schnell abwaschen zu können.“ Dabei ist sie selbst nie bedroht worden, im Unterschied zu Mitarbeiterinnen in den ländlichen Gegenden. Die werden von den Familien der Täter unter Druck gesetzt, Säureverletzungen nicht zu melden.
„Unsere Arbeit ist belastend, natürlich“, sagt Monira Rahman. „Aber es gibt immer wieder Momente, die uns belohnen. Etwa eine Frau, von der wir dachten, sie würde nicht überleben. Aber sie schaffte es und zeigte: Wir können Leben zurückbringen.“ Die Stiftung hat inzwischen politisch durchgesetzt, dass in Bangladesch Säure nicht mehr frei verkauft werden darf. Und begangene Attentate werden nun in beschleunigten Verfahren geahndet. Doch noch immer kommt es in neun von zehn Fällen überhaupt nicht zur Anklage – wegen Korruption oder weil sich Täter- und Opferfamilien außergerichtlich einigen.
Ungewolltes Resultat der Arbeit der Stiftung ist die Einführung der Todesstrafe für Säureattentäter, die auch für Vergewaltiger gilt. „Wir waren nicht für die Todesstrafe“, sagt Monira Rahman, „aber als sich die Politiker des Themas annahmen, haben sie sie beschlossen. Offenbar glauben sie, damit Verbrechen verhindern zu können.“ Bisher wurde niemand für ein Säureattentat hingerichtet. Im Gegenteil, durch die drohende Todesstrafe wächst der Druck auf die Opfer, sich mit den Tätern außergerichtlich zu einigen.
Der Stiftung ist es in den letzten Jahren auch gelungen, öffentlich gegen Säureattentate zu mobilisieren. Am Frauentag vor drei Jahren schaffte es die Organisation, dass nicht nur betroffene Frauen, sondern auch fünftausend Männer öffentlich gegen Säureattentate protestierten. „Die Kampagne hieß ‚Stars gegen Attentäter‘. Schauspieler, Musiker und Sportler gingen mit uns auf die Straße. Wir waren selbst überrascht von der großen Resonanz“, sagt Rahman.
Vom Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von amnesty international, der ihr am Sonntag in Berlin verliehen wird, verspricht sie sich vor allem Aufmerksamkeit für die Opfer. Die ist dringend nötig. Denn Täter- und Opferkreis werden unübersichtlicher. In letzter Zeit werden Anschläge schon wegen Landkonflikten verübt. Und kürzlich gab es einen Fall, bei dem Männer gar auf eine Frau aus der eigenen Familie Säure geschüttet haben, um die Tat anschließend ihren Nachbarn anzuhängen. Immer häufiger werden jetzt auch Männer Opfer, ganz abgesehen von Kleinkindern, die auf dem Arm der Mutter sitzend oder neben ihr schlafend getroffen werden.
Rahman und die Stiftung machen aus den Opfern von Säureattentaten Menschenrechtsverteidigerinnen, heißt es in der Begründung von amnesty international für die Preisverleihung. „Sie zeigen ihr Gesicht bewusst der Öffentlichkeit, um weitere Verbrechen zu verhindern.“ Mit den 7.500 Euro Preisgeld will Rahman Schulungen für Überlebende bezahlen, um aus ihnen Aktivistinnen zu machen. Nicht ohne Hintergedanken: Sie hofft, dass später einmal ein Opfer die Stiftung leiten kann.
Vielleicht ist das Asma Akter, die Rahman mit zur Preisverleihung nach Berlin nimmt. Die inzwischen 20-Jährige kann heute dank der Stiftung studieren. Asma kümmert sich bereits um andere Opfer von Säureattentaten. Sie hat sich zur Expertin für spezielle Druckverbände qualifiziert, die helfen sollen, dass nach Säureverbrennungen Narben besser abheilen. Und als Überlebende kann sie dabei besser als mancher Arzt auf die Bedürfnisse der Opfer eingehen.