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Archiv-Artikel

Menschenfischer im Netz

Auch online lässt sich glauben. Aber während ein per Fernsehen erteilter Segen heute schon Gültigkeit genießt, ist die Cyber-Kirche des Bistums Hildesheim keine vollwertige Gemeinde. Gott sei Dank, sagt ihr Betreiber Norbert Lübke

Es gibt einen festen Termin, wie in anderen Chat-Rooms auch: Jeweils dienstags und donnerstags ab 21 Uhr tauscht man sich über dies und jenes aus. Manchmal werden kostengünstige Weisheiten verbreitet: „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte“, mahnt einer. Manchmal herrscht ein weinerlicher Grundton vor, mit dem sensibel umzugehen ist: „Ich werde von niemandem wahrgenommen“, klagt ein anderer.

Und siehe, er wird getröstet werden. Denn das online-Gesprächs-Forum, das er mit Jeremiaden bereichert, heißt Sankt Bonifatius: Eine katholische Cyber-Gemeinde, die zwar mit infantiler Grafik, dafür aber komplett mit Kirchenraum, Pfarramt und Schwangerschaftsberatung ausgestattet ist und ganz real dem Bistum Hildesheim untersteht.

Sankt Bonifatius ist eine der Institutionen von Funcity. Die Stadt im Internet wurde Mitte der 90er Jahre von norddeutschen Radiosendern ins Leben gerufen. Neben zahlreichen Chat-Angeboten gibt es auch ein Shopping-Center, eine U-Bahn, eine „Straße der Kosmonauten“, in der Gebäude nach berühmten Raumfahrern von Gagarin über Armstrong bis Merbold benannt sind, selbstverständlich ein Rathaus. Und eine Kirche.

Norbert_Luebke ist ein leicht zu enträselnder Nickname. Lübke darf als Initiator der online-Kirche gelten. Im wahren Leben ist er Stellvertretender Leiter des Jugendpastoralen Zentrums Tabor in Hannover, und als seinen Spruch gibt er eine Passage aus dem Lukas-Evangelium an, in der Jesus von „den Zeichen der Zeit“ spricht, die zu erkennen seien. Mit 19 anderen Seelsorgern der Bistümer Hildesheim und Osnabrück hat der 54-Jährige die Internet-Kirche aufgebaut.

Im Laufe der Jahre hat sich eine feste Gruppe von 40 Chattern herausgebildet, die regelmäßig in der 1998 vom Hildesheimer Diözesanadministrator geweihten Kirche mitbeten. „Die machen die Gemeinde aus“, sagt Lübke. Vollwertig sei diese allerding nicht. Zwar hat man mit Diözesan-Jugendseelsorger Martin Tenge einen geweihten Priester zur Verfügung. Aber während ein per Fernsehen erteilter Segen Gültigkeit genießt, wenn denn die Intention des Zuschauers stimmt, ist bei zentraleren Fragen „die körperliche Anwesenheit unabdingbar“, erklärt Lübke. So hatte man zwar anfangs einen online-Beichtstuhl eingerichtet, in dem die User ihre Verfehlungen bekennen durften. Eine Lossprechung aber gab es dort nicht. Dann jedoch wuchs die Sorge, dass auch noch mit dieser Einschränkung der Rang des Buß-Sakramentes geschmälert werden könnte. Also hat man den Arme-Sünder-Raum vor einem guten Jahr abgeschaltet. „Gott sei Dank“, sagt Lübke. Und das meint er ernst.

Bei St. Bonifatius geht es deutlich getragener zu, als in den anderen Gebäuden der Spaßstadt. Es wird über echte Sorgen und Nöte gechattet: „Menschen, deren Vertraute starben oder junge Mädchen, die ungewollt Schwanger wurden, suchen das Gespräch“, sagt Lübke. Das Gemeinde-Leben lässt sich außer im Chat auch jeden letzten Sonntag im Monat beim Gottesdienst beobachten, wenn „Pfarrer_Tenge“ (Spruch: „Jeder Augenblick ist kostbar“) das Vater Unser in die Tasten betet und seine Schäfchen die Passagen auf der Klaviatur wiederholen. Bald trauen sich die Gemeinde-Mitglieder in neue Sphären. Sie habe ein Treffen im Mai vereinbart, im „richtigen“ Leben – und ohne Laptop.

Ewelina Benbenek / bes