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Archiv-Artikel

Ein Flughafen in der Warteschleife

Der Airport Tempelhof schläft langsam ein. Die wenigen Passagiere wirken verloren in den riesigen Hallen. Wenn das Bundesverwaltungsgericht morgen den Ausbau von Schönefeld genehmigt, ist sein Ende besiegelt

VON MARTIN MACHOWECZ

In Tempelhof ticken die Uhren langsamer. Das ist keine Floskel: Mitunter dauert es am Airport ein bisschen länger, bis die Zeit vergeht. Denn es ist nicht mehr viel los im monumentalsten Flughafengebäude der Stadt. Die Haupthalle wirkt verwaist, die Abflughalle ebenfalls, und statt vieler Menschen sieht der Fluggast nur viele graue Bänke. Der Vorteil daran: Man kann sich hinlegen. Aber das war es dann schon fast – zumindest auf den ersten Blick.

Lars Fenger döst vor sich hin. Der Kopenhagener reist geschäftlich. Urlauber fliegen kaum noch ab Tempelhof. Kein Wunder, denn mittlerweile gehört Brüssel schon in die Gruppe der exotischen Flugziele, die von hier angesteuert werden. „Ich schätze sehr, dass alles so ruhig abläuft“, sagt Fenger. Keine Schlangen, keine gestressten Mitarbeiter. „Das ist viel besser als auf den großen, hektischen Flughäfen.“ Mit der Fluggesellschaft Sterling kann man von „THF“, so das Airport-Kürzel, gut nach Dänemark fliegen. Fenger schleift seinen Koffer zum Check-in-Schalter. Gerade kam der Aufruf für seinen Flug. Die Schlange besteht nur aus ihm.

Die Passagierzahlen sind zurückgegangen, seit sich die Betreibergesellschaft Berliner Flughäfen bemüht, den Fliegertempel so schnell wie möglich dichtzumachen. „Der Flughafen hat keine Perspektive mehr“, sagt seine Pressesprecherin Rosemarie Meichsner. 600.000 Menschen würden derzeit jährlich von Tempelhof fliegen. „1,5 Millionen wären nötig, damit er rentabel läuft.“ Für den alten Koloss ist kein Platz mehr. Möglichst schon Ende 2007 soll der letzte Flieger starten.

Die großen Airlines haben sich zurückgezogen. Lufthansa und Co. starten längst in Tegel oder Schönefeld. Wer in der riesigen Flughafenhalle sitzt, fühlt sich schnell ganz klein. Der THF ist ein sterbender Koloss. Er wurde zu wesentlichen Teilen in Zeiten der NS-Diktatur gebaut, und deren Streben nach gewaltiger Architektur sieht man an allen Ecken. Wer den Airport von den Landebahnen aus beobachten kann oder von den Kleingartenanlagen, die direkt ans Flughafengelände grenzen, sieht den Betonklotz als riesigen Halbkreis – ursprünglich war geplant, den Flughafen zu einem Luftstadion zu machen. Zuschauertribünen sollten den Kreis schließen. Das Stadion wurde nie gebaut. Der Airport hat Geschichte. „Klar, da blutet jedem, der was mit Fliegerei zu tun hat, das Herz“, sagt Sprecherin Meichsner über die drohende Schließung.

Frustrierte findet man am Flughafen überall. Keiner von ihnen will seinen Namen verraten, zu groß ist die Angst, rauszufliegen. Die meisten Mitarbeiter hoffen, nach einer Schließung in Schönefeld einen Job zu kriegen. Sie wettern gegen das drohende Aus. „Alle drei Berliner Flughäfen müssen offen bleiben“, sagt ein Angestellter. Wer freiwillig diese ideale Innenstadtlage aufgebe, der könne nicht klar denken, schimpft er. „Die Geschäftsflieger, der ganze Regierungsverkehr, das wird doch alles von Tempelhof aus erledigt.“

Wer die Situation in Tempelhof positiv beschreiben will, nennt den Zustand „familiäre Atmosphäre“. Da ist was dran: Die Mitarbeiter haben Zeit, ihre Fluggäste intensiv zu betreuen. Am Wochenende starten nur um die zwei Maschinen pro Stunde. Wochentags ist ein bisschen mehr los. Dennoch haben die Beamten im Sicherheitsbereich Zeit zu lächeln. Die Polizisten können ein Schwätzchen halten.

Hinter den Sicherheitskontrolleuren ist der Flieger nach Köln gerade gestartet. Die Abflughalle ist fast leer. „Schön nostalgisch ist das hier“, sagt Renate Sefzig. Sie wird mit ihrem Kollegen Eugen Huthmacher in der nächsten Maschine nach Köln/Bonn fliegen – geschäftlich. „Ich komme mir vor wie auf Kreta oder Sizilien“, sagt sie. Ein Mittelmeer-Airport mitten in Berlin? Zumindest wäre wahrscheinlich selbst dort noch mehr los. Huthmacher ergänzt: „Wir fliegen bewusst von hier, weil das viel zentraler als Tegel liegt.“ Die Innenstadtlage hat ihre Reize.

Auch für Klaus Eisermann. Auf dem Rollfeld kennt er sich perfekt aus. Es ist windig und regnerisch vor den Flugzeughallen. Die Scheiben von Eisermanns VW-Bus, mit dem er seit Jahren Besucher übers Gelände fährt, sind beschlagen. Als Öffentlichkeitsbetreuer kennt er jeden Winkel hier. „Andere Länder hätten gerne solche zentralen Airports, er ist geradezu genial!“ Das Gebäude sei perfekt für den Flugverkehr geeignet. „Jedes Flugzeug passt in diese Hallen.“

Irgendwo in den Katakomben des großen Halbkreises steht ein Flughafenarbeiter und telefoniert mit dem Handy. Andreas Braatz ist Techniker bei „Checkpoint Bravo“, einem Dienstleistungsunternehmen in Tempelhof. Er repariert Vorfeldgeräte und Förderbänder in der Gepäckabfertigung. Ein freundlicher Mann mit wallendem Haar und schwarzem Bart, ehrlich begeistert vom alten Airport. „Mensch, hier habe ich Niki Lauda kennen gelernt.“ Der war mal Fluggast. Aber Braatz kennt nicht nur den. „Eigentlich kennt jeder jeden. Es ist echt familiär.“ Schon wieder sagt es jemand: familiär.

Die Leute seien viel netter. Wenn mal einer Mist mache, dann bekomme er nicht gleich auf die Mütze, sagt der Techniker. Das sei in Schönefeld und Tegel schon anders: „Alles ist hektisch, keiner hat Zeit, es muss rasend schnell gehen.“ Braatz hat allen Grund zur Freude, denn an diesem Tag wartet ein Highlight auf den Fußballfan: Die Mannschaft von Schalke wird in Tempelhof erwartet. Ja, stöhnt er, die Fußballklubs kämen zum Glück noch. „Die Bayern landen immer hier. Aber die sehen aus wie Versicherungsleute und nicht wie Fußballer“, meint er und lacht. Dann geht Braatz. Bis Schalke kommt, gebe es noch viel zu tun.

Viel zu tun hat auch Manuela Lacosa. Die Chefin des Bistros „Airlift“, eines der beiden Imbissbetriebe, die es im Flughafen noch gibt, muss genau zwei Gäste bedienen. „In Tegel arbeitet es sich viel unruhiger“, sagt sie. Dort betreibt sie eine zweite Filiale. „Da kriegt man als Fluggast dreimal seinen Koffer in die Hacken geknallt. Kein Wunder, dass die Leute unfreundlicher sind.“ Sie ist sicher, dass sie noch lange in Tempelhof kochen wird. Der Flughafen werde bis 2011 bestehen bleiben, sagt sie. Das sei ihr so zugesichert worden. Sonst hätte sie ihr Bistro in Tempelhof gar nicht erst eröffnet.

Vielleicht hält der Airport wirklich noch so lange durch. Bekanntlich vergeht die Zeit in Tempelhof heutzutage sowieso langsamer als anderswo.