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Archiv-Artikel

„Das, nur das“

Dietmar Schönherr bilanziert kurz vor seinem 80. Geburtstag sein Leben: Nicht „Raumpatrouille Orion“ und „Wünsch Dir was“ waren ihm wichtig, sondern allein sein Einsatz in Mutlangen und Nicaragua. Eine Begegnung

VON JAN FEDDERSEN

Just kommt er aus dem Tonstudio. Sein jüngstes Buch soll auch in der Hörfassung beachtet werden, 185 Seiten hatte er zu sprechen. Wirkt aber nicht gestresst, überfordert, müde oder heimfahrtbedürftig: „Ich tu das doch gern.“ Er genießt sich, denn man hat ihn gern, er war allenfalls mäßig kontrovers, aber auch nie ein öffentlich-rechtlich lizensierter Freundlichtuer: Dietmar Schönherr, eine Berühmtheit in der deutschsprachigen Fernsehgeschichte.

„Sternloser Himmel“ hat der Autor seinen „autobiografischen Roman“ genannt, das ist der Anlass von Interviews. Kräftige Promotionströten muss er natürlich nicht bespielen, um vom Talkshowbetrieb wahrgenommen zu werden: Dietmar Schönherr ist in Talkshows zu Hause wie wenige andere hierzulande, ein gern eingeladener Gast, wie man in den Besetzungsbüros versichert. Zumal der gebürtige Österreicher 1973 der erste Talkmaster im deutschen Fernsehen war, „Je später der Abend“ hieß dieses damals noch anrüchige TV-Format: Leute miteinander reden lassen? Interessiert das wirklich?

Schönherr sagt: „Wir dachten damals, es war mehr ein Gefühl als eine Gewissheit, na, das müsste doch interessant sein.“ Leute interessieren für das, was andere Leute sagen? „Ja – und dass das Format ein Erfolg wurde, hat uns schon stolz gemacht.“ Der Mann sitzt in einem Berliner Hotel am Bahnhof Zoo und lässt sich eine Stunde gefallen, befragt zu werden: „Gern, natürlich.“ Auch das ist das Geschäft, das tut ihm auch gut: „Schauspieler, die nicht eitel sind, gibt es gar nicht.“ 79 Jahre ist er, angemessen verknittert sein Gesicht, das graue Haar ungescheitelt die Stirn bedeckend, eine ewig-unmodische Priesterfrisur quasi – was auch Absicht sein könnte: „Priester können die Künder des Urchristlichen sein, das Teilen preisen und das Miteinandersein – wie mein Freund, der Schriftsteller Ernesto Cardenal.“

Was das Gespräch auf Nicaragua lenkt. Herr Schönherr, mögen Sie sagen, was das Wichtigste in Ihrem Leben war? Er könnte jetzt antworten, dass es vieles gab, einen Zenit und die Jahre davor und danach. Würde auf die Fünfziger zu sprechen kommen, auf seine Filmkarriere, natürlich auf die „Raumpatrouille Orion“ und die legendäre ZDF-Familienshow „Wünsch Dir was“. Aber Schönherr sagt nur knapp: „Nicaragua“, einige Zigarettenzüge später noch „Mutlangen“. Schließlich: „Das, nur das.“

Nicaragua? Mutlangen? Anfang der Achtzigerjahre war es, Schönherr war im deutschen Fernsehen zwar immer ein störrischer Faktor, jedenfalls kein planbarer – allen wohl, bitte, doch niemand weh? Nicht mit ihm. Der gelernte Schauspieler liebte die Provokation. Genoss Sendungen wie eben „Wünsch Dir was“, als eine Kandidatin fast ertrunken wäre, aber nur beinah, eine andere eine Bluse trug, durch die man hindurchsehen konnte. Schockfähige Zeiten, damals. Doch das war nicht das, was Schönherr umtrieb – ihn zog es, als Pimpf und junger Soldat ein Freund des Nationalsozialismus, ins Grüblerische, ins Sühnehafte und zur Entschuldigung.

„Ich habe eigentlich den falschen Beruf“, sagt er, Schauspieler, Entertainer und nun Autor, aber die Berufsbezeichnung Missionar sei ihm zu pompös. „Ich bin keiner, ich kann nur protestieren gegen Unrecht.“ Die Friedensbewegung war seine Erweckung: gemeinsam, erdhockend, ein Militärlager blockieren – singend, skandierend, aufwühlen wollend. Und so übte er doch immer den richtigen Beruf aus: Aufmerksamkeit für seine Themen und sich selbst organisieren. „Natürlich haben wir unsere Prominenz genutzt, um die Anliegen, an denen uns lag, besser öffentlich zu machen.“ Nützlichkeit allein? Das war ihm aber irgendwie doch peinlich. Schönherr sagt es nicht, aber die Schauspielerei, das So-tun-als-ob, das muss wohl so gelesen werden, hat etwas von Wichtigkeit, die sie nicht verdient.

Was Schönherr ernsthaft treibt, ist gut in seinem Büchlein „Sternloser Himmel“ zu studieren. Literarisch vielleicht kein Objekt, um die Gewogenheit von professionellen Kritikern zu erlangen, aber dennoch sprechend für seine Generation – ein kolportagehafter, stark persönlich gefärbter Bogen aus den Dreißigern ins Jetzt.

Apropos: Wissen Sie denn noch, was am Nationalsozialismus faszinierte? Schönherr, nach einem Schluck aus der Kaffeetasse: „Man spielt als kleiner Junge im Wald, hat Lieder gesungen …“ Zehnjährigen sei doch Politik nicht nah, „man konnte dem nicht entrinnen, dazu kamen die siegreichen Feldzüge von Polen über Frankreich, Norwegen, Balkan, da haben ja auch die größten Zweifler gesagt, na, vielleicht ist das ja doch ’ne große Kraft.“

Auch die braune Ära – kein So-tun-als-ob, das darf herausgehört werden, sondern eine „große Kraft“, wie er nun den später Geborenen sagt. Das hört sich, wie er es sagt, tatsächlich nicht an wie das Lamento eines einst Irrenden, sondern eines, nun ja, aufrecht Schuldbewussten. Der zugleich um die Tücken am ideologischen Abgrund weiß: „Das Fatale war natürlich, dass im Wort Nationalsozialismus das Wort Sozialismus enthalten ist. Und ein nationaler Sozialismus sollte das ja auch sein.“ Bei der Verleihung der Goldenen Kamera war er es, der den Schriftsteller Martin Walser seiner ungezogenen Schriften wegen scharf angriff – vor laufenden Aufnahmegeräten. Und das Engagement für Nicaragua zählt für ihn ebenso zu dem, was er selbst „Sühne“ nennt für das, was am Anfang seines Lebens, als Kind einer Offiziersfamilie, schief lief.

Er kümmerte sich wahrhaft in diesen Zeiten, als die Dritte Welt noch ein glänzendes Image hatte, um sein Projekt, nicht wie Franz Xaver Kroetz, der, Schönherr erwähnt es beiläufig, „eine Woche in Managua sich aufhält, sich als Mann anhimmeln lässt und dann ein Buch schreibt“. Und, „nein, man schreibt in einer Woche kein Buch“. Man sonnt sich nicht, recht verstanden, im Elend der Bedürftigen. Heißt: Als Revolutionstourist, als Rebellionstingeltangelmitglied mochte er sich nie sehen: „Die Menschen in Nicaragua, denen war das doch egal, ob das alles nun Kommunismus hieß oder Sozialismus oder Dritter Weg. Die wollten besser leben, ohne Gewalt, sich darauf verlassen können, dass nicht wieder alles von Korruption erstickt wird.“

Und die jetzige Entwicklung, da der Charme der Revolution sich verflüchtigt hat? Schönherr spricht von der „Arroganz“ der linken Eliten, von Zank und Hader, von der Korruption, die das Land gerade mit Hilfe der Linken infiziert hat wie ein besonders verheerender Bazillus einen Körper? „Es war ein Schock, dass die Linken mit Macht nicht sorgsam umgehen können.“ Was aber war seine Liebe zu diesem Land im Hinterhof der USA? „Eine Hoffnung, dass man gegen den Kapitalismus aufstehen kann. Und ein Moment von Sozialismus.“ Ein nationaler Sozialismus? „Mmh, ja, einer, der im Gegensatz“ zu den völkischen Missionaren bis 1945 keinen Rassismus gekannt habe, nur, „schlimm genug“, die „Arroganz der linken Uniformträger“. Wovon er träumt, das erkennt er nur noch in seinem Projekt, das er tapfer weiter am Leben hält und „Casa de los tres mundos“ heißt – eine Art urchristliches Dorf, von dem Frieden ausgehen möge und die Ideen eines besseren Lebens ohne Krieg wach gehalten werden mögen.

Herr Schönherr, in Ihrem Roman „Sternloser Himmel“ tauchen Figuren auf, die man als Personal Ihrer Wunschbiografie entziffern könnte: ein Bruder, der hälftig jüdisch war, beispielsweise. Aber diesen jüdischen Anteil gibt es ja nicht in Ihrem Leben. Der Befragte stutzt und antwortet: „Es hätte so sein können.“ Und weshalb muss der eine Held der Geschichte, um zu einem fragilen Happyend zu kommen, von Neonazis lebensgefährlich verprügelt werden? „Ich sehe diese Gefahren, es gibt solche Menschen, die sich für die Nazis begeistern können.“ Schönherr teilt diese Begeisterung nicht mehr, er hat Buße getan, versucht, Gutes zu bewirken – ein Aufrechter, der sich die Fantasie vom friedlichen Spiel im Wald unter Jungen bewahrt zu haben scheint, geboren in einer Zeit, als seine Welt noch in Ordnung war und seine Schuld ihm eine, ja, fast urchristliche Last wie Lust sein sollte. Herr Schönherr, wie feiern Sie Ihren 80. Geburtstag? „Mit meiner Frau Vivi. In Nicaragua.“