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Archiv-Artikel

Dann lieber gar keine Plakate

VON WEGEN WAHLKAMPF

Man fühlt sich sogleich an Ikea- Werbung erinnert

Seit Montag hängen sie, die Politikernasen auf Laternenmasten. Und schon nach einer Woche ist man sie leid. Grimmig guckt Herr Lindner von der FDP und fordert „Mehr Freiheit“. Die SPD will plötzlich bezahlbare Mieten, und die Grünen quatschen einen enthemmt mit „Du“ an. Der eine fühlt sich da an Kirchentagsatmosphäre erinnert, der andere an Ikea.

Und dann ist da noch die CDU. In Pankow bietet sie Lars Zimmermann auf, einen fast 40-Jährigen, der auf den Plakaten guckt wie ein Jüngelchen. Politische Aussage: Null. So wie bei den anderen. Null. Null. Nullen.

Vielleicht ist ja die Zeit gekommen, darüber nachzudenken, ob wir wirklich noch Wahlplakate brauchen. In Neulandzeiten des Internet ist das so, als ob man immer noch Flugblätter verteilte oder Spuckis klebte, anstatt die Botschaft zu twittern oder bei Facebook zu teilen. Ja klar, die Alten. Aber gerade die wissen ja noch, was politische Leidenschaft ist. Womöglich lässt dieser Wohlfühlwahlkampf auch die Alten noch schneller altern. Einige Bezirke haben das Problem erkannt. In Mitte etwa darf rund um das Holocaust-Mahnmal nicht plakatiert werden, in Kreuzberg ist das Jüdische Museum tabu, Charlottenburg-Wilmersdorf hat den Klausenerplatz und den Savignyplatz zur wahlkampffreien Zone erklärt. In Treptow-Köpenick bleiben sogar in der ganzen Altstadt die Laternen politikernasenfrei. „Das ist ein besonders stark touristisch frequentierter Ort, dort ist die Plakatwerbung besonders störend“, findet Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD).

Der Mann hat nicht nur recht, er ist auch mutig. Immerhin liegt der SPD-Direktbewerber Matthias Schmidt leicht hinter Mandatsinhaber Gregor Gysi von der Linken. Aber vielleicht liegt ihm die Köpenicker Altstadt einfach mehr am Herzen als der ganze plakative Einheitsbrei.

Was den Bezirken recht ist, dürfte Berlin eigentlich billig sein. Gerade eine große Koalition könnte doch einfach beschließen: Berlin wird plakatfrei. Das hätte sogar einen schönen Nebeneffekt. Als politikferne Spaßhauptstadt hätte Berlin eine Touristenattraktion mehr. Welcher Schwabe oder Bayer würde nicht gerne den Plakaten zu Hause entfliehen. UWE RADA