piwik no script img

Archiv-Artikel

Gute Tropfen, schlechte Tropfen

WASSER Es wird aromatisiert, künstlich mit Sauerstoff angereichert, in Designerflaschen gefüllt. Wasser ist mehr als nur ein reiner Durstlöscher

Jessica Strohmayer

■ Die gelernte Restaurantfachfrau ist Wassersommelière im geschichtsträchtigen Grand Resort im Schweizer Kurort Bad Ragaz. Ihre Kenntnisse hat sie von der Genussakademie Doemens in Gräfelfing südlich von München. Seit 2011 berät sie bei „Wasser-Proben“

INTERVIEW CLAUDIA SCHUH

taz: Frau Strohmayer, was ist an Wasser prickelnd?

Jessica Strohmayer: Mich fasziniert, wie unterschiedlich Wässer schmecken können.

Verkosten Sie Wasser wie Wein?

Es ist natürlich nicht ganz einfach bei einem geruch- und farblosen Getränk. Wir betrachten Mineralstoffe, Gesteinsformationen und Reinheitsgehalt. Wichtig: Wasser sollte Zimmertemperatur haben. Da schmeckt man Unterschiede deutlicher. Sie müssen das Wasser über die gesamte Zunge laufen lassen – um den Salzgehalt zu beurteilen. Bitter schmecken Sie hinten auf der Zunge, salzig vorne. Dann beschreiben wir das Geschmacksgefühl: trocken, samtig oder eher metallisch.

Trockenes Wasser?

Kennen Sie das nicht, wenn Sie ein Glas Wasser trinken, und danach haben Sie das Gefühl, Sie müssen noch mehr trinken, weil Sie gar nicht das Gefühl haben, getrunken zu haben. Das meint „trocken“. Es sind Mineralwässer mit hohem Kalziumanteil – da haben Sie hinterher mehr Durst als vorher.

Wasser kalt oder warm trinken?

Zimmertemperatur ist optimal. Gerade im Sommer ist es für die Organe besser.

„Still oder Sprudel?“, so lautet die Standardfrage des Kellners. Was raten Sie?

Reine Geschmacksfrage. Es gibt kein besser oder schlechter. Morgens und vorm Schlafengehen rate ich eher zu still, morgens muss sich der Magen noch auf die Säure einstellen, und Kohlensäure belebt den Geist – das will man nicht unbedingt vorm Zubettgehen. Beim Sport sage ich immer: Währenddessen still, davor und danach prickelnd.

Worauf ist beim Wasserkauf zu achten?

Auf den Mineralanteil, auf den Kohlensäuregehalt und selbstverständlich auf den eigenen Geschmack. Ich rate zu einem Markenwasser aus der Region.

Was halten Sie von Hydrogencarbonat-reichem Wasser?

Es hilft nachweislich bei übersäuertem Magen, Sodbrennen und Verdauungsstörungen, denn es wirkt im Körper basisch und bindet die Säure im Magen. Auch wer einen Kater hat, tut gut daran, welches zu trinken.

Wasser als Medizin?

Ich will nicht behaupten: Mineralwasser kann Krankheiten heilen, aber es tut sicher dem Körper gut. Zum Beispiel bei Menschen, die an Osteoporose leiden. Calcium ist die beste Vorbeugung. Wenn sie keine Milch vertragen, können Mineralwässer vorbeugend helfen, die besonders calciumhaltig sind.

Wie viele Wässer gibt es weltweit?

Oh Gott, viele! Das Angebot ist riesig. Allein in Deutschland gibt es rund 500 Mineralwässer aus etwa 250 Brunnen.

Brauchen Lokale eine eigene Wasserkarte?

Inzwischen bieten etliche Spitzenhotels auch eine eigene Wasserkarte an, passend zu Wein und Speisen. Die regionalen Unterschiede sind groß – wie beim Wein schmeckt man die Böden und Gesteinsschichten.

Können Sie bitte ein wenig Klarheit in all die Begriffe bringen: Tafelwasser ist …

… ich rate davon ab. Tafelwasser entspricht der Trinkwasserverordnung, darf aber aus Meerwasser gewonnen werden und kann auch Spuren von Chlor und andere Rückstände enthalten. Es dürfen verschiedene Quellen gemischt und Mineralstoffe zugesetzt werden.

Mineralwasser?

Das ist mein Favorit. Natürliches Mineralwasser ist hochwertiger, enthält von Natur aus Mineralien und muss amtlich anerkannt werden. Mineralwasser muss am Quellort abgefüllt werden. Die Mineralien tun dem Körper gut.

Heilwasser?

Geschmackstest

■ Wasser-Sommelier-Ausbildung: Die Genussakademie Doemens in Gräfelfing bietet Wassersommelier-Lehrgänge an. Ein zehntägiger Lehrgang kostet knapp 2.300 Euro. Lehrgänge auf Anfrage. Kontakt: Doemens e. V., Stefanusstr. 8, 82166 Gräfelfing. Tel.: (0 89) 8 58 05-0 www.doemens.org

■ Mineralwässer: Kein Getränk hat in den vergangenen Jahren eine solche Nachfrage erlebt wie Mineralwässer. 1970 trank ein Deutscher durchschnittlich nur 12,5 Liter davon. 2012 lag der jährliche Verbrauch bereits bei durchschnittlich mehr als 130 Litern.

■ Grand Resort Bad Ragaz: Sieben Sommeliers arbeiten hier – jeweils ein Experte für Wasser, Tee, Bier, Wein, Käse, Kaffee und Gesundheitsküche. www.resortragaz.ch/de/home/grand-resort/kulinarik/sommeliers/

Heilwasser gilt als Arznei, ihm wird medizinische Wirkung nachgesagt. Sehr viele Heilwässer enthalten hohe Mineralienanteile. Das ist es, was diese Wässer sehr intensiv und streng schmecken lässt.

Und Thermalwasser?

Ist extrem weich. Es ist schwierig zu Weinen, enthält viel Fluor, was gut ist für den Zahnschmelz, aber auch Chlor.

Trinken Sie Leitungswasser?

Nein. In Deutschland ist es geprüft und sicherlich nicht gesundheitsschädlich. Aber man weiß nie, aus welchen alten Leitungsrohren es kommt. Man prüft die Quelle, aber wer die Leitung? In den USA: igitt! Dort kommt chlorhaltiges Wasser aus der Leitung. Und in München: nun ja, für meinen Geschmack brutal kalkhaltig. Was Rohre verstopft, kann für den Menschen nicht wirklich gut sein.

Discounter-Wasser schmeckt …

… mir nicht. Wie kann es sein, dass Mineralwasser dort nur 30 Cent die Flasche kostet?

Wasser als Lifestyle-Lebensmittel. Siehe „Bling“…

Oh ja. Die 0,75-Liter-Flasche des US-Edelwässerchens ist mit echten Swarovski-Steinen besetzt und mit einem Naturkorken verschlossen – Bling ist ein reines Prestigeprojekt. Das braucht es echt nicht.