: „Schreiner machen Frauen glücklich“
HAUSBESUCH Merkel hat zu wenig Pfeffer im Arsch, findet Friseurin Christiane. Bei Familie Kalteis in Nittendorf
VON MARLENE HALSER (TEXT) UND QUIRIN LEPPERT (FOTOS)
Landkreis Regensburg, Markt Nittendorf, zu Hause bei Christiane (47), Ludwig (48), Nadja (26) und Julia (23) Kalteis („brrrr“).
Draußen: Ein dreistöckiges, teilweise mit blau gebeiztem Holz verkleidetes Haus. Christiane: „Luck ist Schreiner. Und Schreiner machen Frauen glücklich.“ Davor eine geteerte Hofeinfahrt („Für die Kunden ist das praktisch“) mit einer verrosteten, weißen Hollywoodschaukel („Ich lieb sie und kann mich nicht trennen“). Links vom Haus ein kleiner, leicht verwucherter Garten („Ich sitze gerne draußen, aber ich will nicht viel Arbeit haben“), ein Apfel- und ein Birnbaum, so voller Früchte, dass die Äste schwer zu Boden hängen („Die verschenke ich, Hausfrauenqualitäten hab ich nicht so“), bunte, hoch aufgeschossene Stockrosen („meine Lieblingsblumen“), im Gras ein kleiner plätschernder Brunnen und Skulpturen aus Stein und Metall, Tisch und Stühle im Schatten des Baumes.
Drin: Im Erdgeschoss ein kühler, heller Friseursalon. Ludwig: „Das war mal die Wohnung von der Oma. Der hat das Haus gehört.“ Die Möbel aus dunklem Eichenholz. Christiane: „Vom Ludwig.“ Im ersten Stock wohnen die Eltern: ein rot gestrichener Flur, Konzertkarten von Dead can Dance, Nigel Kennedy und Eros Ramazzotti um den Spiegel geheftet. Die Wände der Küche sind gelb gestrichen, bunt gesprenkelte Marmorplatten am Boden, es duftet nach Curry, ein angebissenes Stück Brezenstange auf der Anrichte, am Fenster verschiedene Postkarten („Eine Frau ohne Bauch ist wie ein Himmel ohne Sterne“). Das Wohnzimmer sehr clean: weiß gebeizte Dielen („Ludwig“), ein langer Esstisch, ein riesiges schwarzes Sofa mitten im Raum, Flachbildfernseher auf brauner Wand, links und rechts große, dunkle, expressionistische Kunstwerke (Ludwig: „Die Freiheit der Künstler find ich toll“), sowie zwei mannshohe Schwarz-Weiß-Drucke der beiden Töchter. Im Arbeitszimmer nebenan Ludwigs Bücher („Ich lese sehr gerne“), darunter eine Biografie von Rainer Werner Fassbinder. Die Töchter, Nadja und Julia, wohnen in zwei kleinen Wohnungen unterm Dach.
Wer macht was? Ludwig ist Schreiner in einer Schreinerei im Ort („Mein Chef und ich, wir sind Freunde“), Christiane ist Friseurin im eigenen Salon im Erdgeschoss („Ich bin d’ Chefin“), Julia arbeitet bei der Mutter („Eigentlich wollte ich Stewardess werden, aber dafür war ich mit 15 zu jung, und dann hatte die Mama den Salon“), und Nadja ist Arzthelferin beim Internisten im Ort („Wenn’s was Neues gibt, dann wissen wir drei es zuerst“).
Wer denkt was? Christiane: „Meine Kollegin ist schwer krank, das belastet mich sehr.“ Nadja hat sich im Australienurlaub frisch in Michael verliebt. Er kommt auch aus Nittendorf, sie hat ihn besucht. Jetzt hat er seinen Work-and-Travel-Aufenthalt abgebrochen, um bei ihr zu sein („Mir geht’s gut, und ich hoff’, das bleibt so!“). Eigentlich hätte Nadja im Juli heiraten sollen. Ludwig: „Es war schon alles bestellt: die Band, das Aufgebot, das Kleid.“ Dann hat Nadjas Freund einen Rückzieher gemacht. Christiane: „Da ging es uns allen schlecht.“ Julia hat sich gerade die Augen lasern lassen („Minus sechs Dioptrien“). Ludwig: „Mich ärgert die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land und dass nicht jeder von seiner Arbeit leben kann.“ Christiane: „Die Menschen sind einfach nicht bereit, für einen Haarschnitt zu bezahlen.“ Ludwig: „Friseure sind auch Handwerker und machen ihre Arbeit. Es sollte einen generellen Mindestlohn geben.“
Ludwig: Geboren in Nittendorf („Ich war mein ganzes Leben hier im Haus“), Hauptschule, Schreinerlehre („Ich bin noch heute im selben Betrieb“). Das Haus hat die Oma Ludwig und Christiane gemeinsam vererbt („Wenn ich die Christiane verlasse, müssen wir beide ausziehen“). Christiane: „Die Oma war eine tolle Frau. Als es ihr schlecht ging, hab ich sie gerne gepflegt.“
Christiane: Geboren in Nittendorf („drei Häuser weiter“), Hauptschule, Ausbildung zur Bürokauffrau („Eigentlich wollt ich schon immer Friseurin sein“), nach der Geburt der beiden Töchter fing sie als Rezeptionistin in einem Salon in Regensburg an, machte die Lehre und wurde Meisterin. Nun im Haus der eigene Salon („Ich hab 80 Prozent meiner Stammkunden mitgenommen“).
Das erste Date: Ein richtiges Date gab es nie. Christiane: „Das ging los, als wir so 14, 15 waren und anfingen auszugehen.“ Danach waren sie mal zusammen, dann wieder nicht. Christiane: „Man hat es mit anderen probiert, aber immer gemerkt, dass das nicht dasselbe war.“ Ludwig: „In den Regensburger Diskotheken haben wir uns immer wieder gesucht und gefunden.“ Christiane: „Luck war ein echter Revoluzzer, hatte lange Haare und fuhr ein Moped ohne Auspuff.“ Mit 21 Jahren wurde Christiane schwanger. Danach zogen sie zusammen. Christiane: „Alle haben gesagt, wir müssen heiraten, da wollten wir erst recht nicht mehr.“ Als sie 23 war, kam Julia hinterher („Dann wollten wir doch“).
Die Hochzeit: Am 5. August 1989. „Alle haben gesagt, dass unsere Hochzeit die lustigste war!“ Zuerst in der Nittendorfer Kirche, danach in einem Gasthaus in Eilsbrunn, der Sänger der Band war als Nikki verkleidet („Wenn i mit dir tanz, dann vergess’ i die Zeit“). Christiane trug ein weißes Kleid mit Puffärmeln zu kurzem, blondem Haar. Das volle Programm: Brautentführung nach Sinzing, Ludwig musste auf einem Holzscheit vor ihr knien. Ludwig: „Von Anfang bis Ende volle Kanne Stimmung.“ Dann eine Woche Flitterwochen in Bibione. Ludwig: „Nie mehr fahre ich nach Bibione. Da trifft man ganz Nittendorf.“
Der Alltag: Ludwig: „Ich bin der Erste, der aufsteht.“ Kaffee um 5.30 Uhr („Ohne Zeitung geht’s nicht“), 7 Uhr Arbeitsbeginn. Nadja verlässt das Haus um halb acht, Christiane und Julia fangen unten um acht Uhr an. Julia: „Ohne Frühstück.“ Christiane isst eine Scheibe Brot mit Wurst und eine mit Marmelade. Abends kocht montags Christiane, dienstags Ludwig, mittwochs und donnerstags Nadja. Julia: „Und ich nie.“ Ludwig: „Jeder soll seinen Teil beitragen.“ Montags geht Christiane zum Sport („Ich brauch laute Musik und will schwitzen“), mittwochs zum Frauenstammtisch, und einmal im Monat freitags trifft sich ihre alte Berufsschulklasse („seit 27 Jahren“).
Wie finden sie Merkel? Ludwig: „Von der halte ich gar nichts. Die macht keine Politik, sondern sitzt ihre Zeit ab. Ich gehe nicht mehr wählen. Das ist mein politisches Statement.“ Christiane: „Die hat viel zu wenig Pfeffer im Arsch und lullt uns mit ihrer Unscheinbarkeit ein.“ Nadja: „Sympathisch.“ Julia: „Interessiert mich nicht.“
Wann sind Sie glücklich? Ludwig: „Wenn ich zu Hause bin und es allen gut geht.“ Christiane: „Wenn die Sonne scheint und unsere Familie intakt und idyllisch ist, so wie jetzt.“ Julia: „Wenn alles passt, so wie jetzt.“ Nadja: „Gerade besonders, und wenn ich auf Reisen gehe.“
■ Nächstes Mal treffen wir Laurenz Lamberts in Walsrode. Interesse? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de