Das Märchen vom Babyboom

Kinderwagen auf Ökomärkten und Eltern-und-Kind-Kneipen gaukeln eine Familienidylle in Szene-Stadtteilen vor. Die Realität sieht anders aus: Der Anteil Unter-18-Jähriger dort ist unterdurchschnittlich und sinkt. Viele Kinder gibt es in der Peripherie

von GERNOT KNÖDLER

Attraktive Mütter sitzen mit ihren Säuglingen im Szene-Café und nippen am Latte Macchiato. Sie schieben Kinderwagen über den Isemarkt und sehen sich in der Bernstorff-Straße das Spezialprogramm für Eltern mit kleinen Kindern an. Man hört vom Baby-Boom im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg und davon, dass in Hamburg im vergangenen Jahr 19.215 statt wie im Vorjahr nur 19.108 Kinder geboren wurden. Schon schreiben die ersten vom Baby-Boom in Ottensen. Doch der vermeintliche und unverhoffte Kindersegen ist eine Fata Morgana: Der Kinderanteil in den Szenevierteln der Innenstadt ist unterdurchschnittlich und in den vergangenen Jahren gesunken. Die meisten Kinder gibt es in den Randgebieten: in den Walddörfern, in Wilhelmsburg, in Allermöhe.

Nach den Zahlen des Statistikamtes Nord ist der Anteil der Unter-18-Jährigen in Ottensen zwischen 1997 und 2004 von 15 auf 14 Prozent gesunken. In Eimsbüttel ging er von 11,5 auf 10,6 Prozent zurück, in Winterhude von 11,6 auf 11 Prozent. Auch die jüngsten Zahlen lassen keine Trendwende erkennen. Von 2003 auf 2004 ging der Anteil der Kinder und Jugendlichen ebenfalls zurück: In Ottensen von 14,2 auf 14 Prozent, in Eimsbüttel von 10,7 auf 10,6 Prozent, in Winterhude von 11,1 auf 11 Prozent. Ein Blick auf die übrigen angesagten Viertel der Innenstadt liefert das gleiche Bild.

Der gefühlte Baby-Boom in den Szene-Quartieren dürfte einer selektiven Wahrnehmung der gebildeten Mittelschicht geschuldet sein: Baby-Boomer in den 30ern und 40ern, die in diesen Vierteln wohnen, stellen erstaunt fest, dass einige von ihresgleichen doch noch Nachwuchs kriegen. Kinder in der Kneipe sind sie nicht gewohnt.

Doch der Eindruck täuscht darüber hinweg, dass den Hamburgern weniger Kinder geboren werden als den übrigen Deutschen. In den Jahren 2000 bis 2003 lag die Kinderzahl pro Hamburgerin zwischen 15 und 45 Jahren um 13,4 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Die Zahl der geborenen Hamburger – nicht der in Hamburg Geborenen – schwankte in den vergangenen Jahren. 2004 ist sie zwar gestiegen, lag aber noch immer unter dem Niveau von 2000.

Eine hohe absolute Zahl ist zu erwarten, denn schließlich sind die Baby-Boomerinnen noch im gebährfähigen Alter. Trotzdem wächst die Einwohnerzahl Hamburgs im Wesentlichen durch Zuwanderung aus dem übrigen Bundesgebiet: Die Stadt verbuchte 2004 einen Wanderungsgewinn von 2.451 Menschen, aber einen Zuwachs von nur 302, weil mehr Hamburger starben als geboren wurden.

Nach wie vor verliert die Stadt Einwohner an ihr Umland. 1.739 zogen 2004 in die Kreise Harburg und Stade, 4.724 in nördliche Vororte. Das Umland profitiert überdies von einer überdurchschnittlich hohen Geburtenrate: Nach Zahlen der Bertelsmann-Stiftung liegt Buchholz um 8,6 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, Elmshorn 2,5, Winsen 11,1 Prozent.

Letzteres steht der These vom Kinderboom in den Szenevierteln ebenso entgegen wie ein Blick auf die Hamburger Quartiere, in denen überdurchschnittlich viele Kinder leben. Da sind zum einen die Walddörfer wie etwa Duvenstedt, wo der Anteil der Kinder und Jugendlichen zwischen 1997 und 2004 von 24,7 auf 28 Prozent gestiegen ist. In Wilhelmsburg stieg der Anteil von 21,7 auf 22,6 Prozent. Im größtenteils neu errichteten Stadtteil Allermöhe, dessen Bevölkerung sich fast verdoppelt hat, sind 28,6 Prozent der Bewohner jünger als 18 Jahre.