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Archiv-Artikel

Kein Platz für alte Kameraden

Handwerkskammer lädt SS-Veteranenorganisation HIAG kurzfristig wieder aus. Früher hatte man am Holstenwall nichts gegen die braunen Mieter

Eine fristgerechte Einladung hatte der Vorstand nicht verschickt. Diesen formalen Akt zur gestrigen Jahreshauptversammlung hielten die rüstigen Herren der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG) nicht für nötig. Hatte diese doch vor kurzem auch die Rechtsform als eingetragener Verein abgelegt. Der Grund: Die Proteste gegen ihr 55-jähriges Jubiläum im vergangenen Jahr führten zu einer Finanzüberprüfung.

Trotz der Niederlage in Sachen Vereinsstatus zieht sich die HIAG nicht in ein abgelegenes Hinterzimmer zurück: Im „Remter“, der Gaststätte der Hamburger Handwerkskammer am Holstenwall, wollte die kämpferische Truppe sich gestern treffen – und das nicht zum ersten Mal. Als aber gegen 14.15 Uhr die ersten Gäste ankamen, mussten sie gleich wieder kehrtmachen: Gut 70 Gegendemonstranten versperrten ihnen den Weg. „Bei den Nürnberger Prozessen 1946 wurde die Waffen-SS zur verbrecherischen Organisation erklärt“, sagte Felix Krebs vom beteiligten Aktionsbündnis. Trotzdem könnten sich „diese unverbesserlichen Nazis“ treffen.

Einige der rund 70 erwarteten HIAG-Damen und -Herren hatten bereits im „Zunftsaal“ Bier und Kaffee geordert, auch Käse- und Butterkuchen waren schon bereitgestellt. Zum Austrinken und Aufessen kamen sie nicht: „Bitte verlassen Sie sofort unsere Räumlichkeiten“, forderte der Pressesprecher der Hausherren, Peter Haas – nachdem taz und NDR bei den Kammer-Verantwortlichen nachgefragt hatten. „Dass die HIAG sich in unserem Haus trifft, wussten wir nicht“, räumte Rainer Gliem ein, mitverantwortlich für die Raumvermietung. Eine Privatperson, so Haas, habe den Raum angemietet. Nach Rücksprache mit dem Kammerpräsidenten erging Hausverbot für die alten Kameraden. „Solche Veranstaltungen dulden wir hier nicht“, erklärte Haas den Demonstranten – und äußerte seine Verwunderung, nicht frühzeitig von den Behörden informiert wurden zu sein.

Verwunderlich ist aber auch, dass der Kammer die rechten Stammgäste bisher nicht aufgefallen sein sollen. Kamen sie doch bis gestern regelmäßig im „Remter“ zusammen. Dem Vereinsregister zufolge kehrte die HIAG erstmals am 4. Februar 1975 in dem gutbürgerlichen Restaurant ein. Seit längerem fanden ihre Monatstreffen unter dem Dach der Handwerkskammer statt, trafen sich hier bis zu 80 SS-Freunde.

Im „Remter“ tauschten sich Anfang dieses Jahres auch rund 50 HIAG-Mitglieder darüber aus, dass die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrer Nominierung einer exklusiven Versammlung von hochkarätigen Vertretern aus Hochfinanz, Industrie und Medien ihre Aufwartung habe machen müssen. Alles unter „absoluter Geheimhaltung“. „Wir wissen, von wem wir regiert werden“, sagte ein Kamerad – „nicht von Frau Merkel.“ Ein zweiter: „Rothschild und wie die alle heißen.“ Ein dritter ergänzte, auch Helmut Kohl trage „den Blutorden der Juden“.

Ins Lamentieren gerieten die Kameraden über die Meldung, dass britische Behörden jetzt verstärkt nach früheren Waffen-SSlern suchen. „Nach 60 Jahren fangen die wieder an“, schimpfte einer. Eines allerdings, so war zu vernehmen, gefiel den Anwesenden am „Ausland“: Dort könnten sie immerhin in schwarzer SS-Uniform mit weißem Koppel und weißen Handschuhen unter der Hakenkreuzfahne zusammenkommen.

Gestern wollten die Kämpfer – den erweiterten SS-Treuschwur „Ehre, Treue, Kameradschaft ist weiter unser Ziel“ auf den Lippen – den Rauswurf zunächst nicht wahrhaben. „Unglaublich“, klagte ein Herr im Saal. Seine Begleiterin schimpfte: „Soweit ist es mit dem Vaterland gekommen.“ Und vor der Tür wollte somanch rüstiger Herr mit seinem Gehstock auf die Demonstranten losgehen. Die eilig herbeigerufene Polizei musste aber nicht einschreiten. Andreas Speit