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Archiv-Artikel

Es wird noch Suppe geben

Die Utopie in den Stadtraum tragen: Auf der „Globale“ wird Peter Watkins’ Historienfilm „La Commune“ an öffentlichen Orten gezeigt. Doch dann ist es vor allem kalt und die Prozession entwickelt sich wie ein St.-Martins-Zug

Ein Filmbild flimmert eingefroren auf dem Eingangsdach zum Neues-Deutschland-Haus am Franz-Mehring-Platz. Allmählich sammelt sich ein kleiner Haufen, um der Open-Air-Aufführung des Films „La Commune“ beizuwohnen. Der 364 Minuten lange Film ist von dem englischen Regisseur Peter Watkins, altes Schlachtross für ein unabhängiges Kino, die anzuschauende Kopie ist ein Mitschnitt einer Ausstrahlung auf Arte. Es geht um Aufstand und Gründung der Pariser Kommune 1871, und die Aufführung ist Teil der diesjährigen „Globale“, des „globalisierungskritischen Filmfestivals“.

Nach der Antrittsrede des Organisationsleiters Tobias Hering geht es los. Laienschauspieler geben die Protagonisten von damals, Zwischentafeln klären über Zusammenhänge auf. Französisch ist eine schöne Sprache. Es gibt Untertitel.

Der Projektor steht auf einer Aluleiter. Die Boxen, auf einer Handkarre, haben einen bemerkenswert guten Klang. Ein langes Kabel führt in das Haus des ehemaligen SED-Organs. Immer wieder quietscht die Eingangstür, gelegentlich finden sich ein paar Neugierige ein. Die Preußen im Film haben gerade den Krieg gewonnen, die „deutsche Armee“, wie es in dem Film heißt, marschiert in Paris ein; was mit der Bevölkerung passierte, war ihnen leider egal. „Rote Klubs“ machten auf.

„Hundehirn“ schien damals in Paris eine akzeptierte Nahrung gewesen zu sein, „Grubenentleerer“ ein veritabler Beruf. Ein Hund schnüffelt zwischen den Zuschauern herum, ein Globale-Aktivist trägt ein Kleinkind vor dem Bauch, zwei junge Frauen halten sich an ihren Hollandrädern fest. Ein wackerer Polizist – man ist geneigt, ihn einen „Schutzmann“ zu nennen – gibt per Funk die Ausmaße der angemeldeten Demonstration durch. Kein Scherz. „Sie haben ein Transparent“, sagt er in sein Steckmikro, „gelb, circa 50 mal 50. Aufschrift: ‚Kapitalismus lebt von unseren Enttäuschungen‘.“ Seine Meldestelle versteht nicht. Er wiederholt: „Kapitalismus lebt von unseren Enttäuschungen.“ Im Hintergrund stehen zwei Mannschaftswagen.

Um uns herum liegt Schnee, hinter uns eine nasskalte Straße. Es ist bitterkalt. Zum Glück gibt es Tee und diese grauen Filzdecken, nur dass man damit aussieht wie ein Katastrophenopfer oder ein Pilger bei der Nachtwache. Überhaupt hat die Veranstaltung – halb Kunstvorführung, halb Demo – auch etwas Christliches. Gefragt ist echter Einsatz. Der Film wird an mehreren, „unspektakulären“ Orten gezeigt, also geht es nach einer halben Stunde zu Fuß weiter. Kiezbegehung. „Wir müssen auf dem Bürgersteig bleiben“, sagt Tobias, der Schutzmann begleitet uns, die anderen Polizisten sitzen in den warmen Wannen. Ein kleiner Trauermarsch, eine stille Prozession. Man überquert eine Straße, die Polizei regelt den Verkehr. Seit dem letzten St.-Martins-Zug kam ich mir nicht mehr so albern vor in einer zugedachten Rolle.

Ein rotes Auto fährt vorbei, es hat ein Sofa auf das Dach geschnallt. Die großen Plattenbauten, Mietskasernen im Hintergrund sehen schön aus im Dunkeln, sie leuchten von innen. Auf dem Comeniusplatz findet eine Performance statt, über die jetzt nicht weiter berichtet wird, der Haufen hat sich inzwischen verkleinert, der nächste Filmteil wird hinter dem Kosmos gezeigt. „Die Idee ist, den Film in einem alltäglichen sozialen Umfeld zu installieren und dort wirken zu lassen“, heißt es im Programmpapier. Sitzmatten aus Styropor werden verteilt. Zum Abschluss des Tages soll es noch Suppe zum Selbstkostenpreis geben. Die Veranstaltung selbst ist umsonst.

RENÉ HAMANN

Letzter Teil der Vorführung heute, Treffpunkt Franz-Mehring-Platz 1, 19 Uhr. Mehr zur Globale unter www.globale-filmfestival.de. Globale-Blog unter interventionen.net.