: Die ungeliebten Bayern-Fans
Sie sind die berühmt-berüchtigte Fangruppierung des FC Bayern München – doch ihr Verein hat sie ausgesperrt
■ Ultras: Zur Ultrabewegung zählen sich zumeist junge Fans, die sich zusammenschließen, um ihre Lieblingsmannschaft durch Gesänge und einstudierte Choreografien zu unterstützen. Sie stehen mit den Ultras der jeweiligen Gegner im Wettstreit um die originellste Unterstützung ihres Teams.
■ Hooligans: Eine Kultur der Gewaltverherrlichung pflegen die Fans, die sich am Rande von Fußballspielen treffen, um sich mit den Anhängern der gegnerischen Mannschaften zu prügeln. Diese Kultur findet in den letzten Jahren immer weniger Anhänger.
■ Hooltras: Gewaltsame Aktionen, die im Umfeld der Ultras ihren Ursprung haben, häufen sich. Der Fanforscher Günther A. Pilz hat für die daran Beteiligten den Begriff Hooltras geprägt. Die Polizei hat darauf zum Teil sehr heftig reagiert und ist zum Feindbild Nummer 1 vieler Ultras geworden. (arue)
AUS MÜNCHEN ANDREAS RÜTTENAUER
Die Hamburger kommen. Sie rennen. Sie werden immer schneller. Sie sind nur noch 100 Meter weg von den Bayern. Die reagieren. Gut 80 junge Männer werfen sich den Hamburgern entgegen. Ein Kommando zum Loslaufen hat keiner gegeben. Kommt es zur Schlacht? Wo ist die Polizei? Die Hamburger greifen sich Absperrgitter und werfen sie in Richtung der anstürmenden Feinde. Jetzt bewegt sich auch die Polizei. Ein kleiner Stoßtrupp gut gepanzerter Beamten steht schnell zwischen den brüllenden Banden. Berittene Beamte in riesigen Ledermänteln galoppieren herbei. Da schleichen die Feinde schon auseinander. Bundesligaspieltag. In zwei Stunden ist Anpfiff. Bayern spielt gegen den HSV. Die Hamburger ziehen weiter über das weitläufige Gelände vor der Arena im unwirtlichen Norden Münchens. Die Bayern ziehen sich zurück auf ein kleines Rasenstück am Randes des Parkplatzes vor dem Stadion.
„Das war jetzt schon krass.“ Simon Müller sagt das, als wäre ihm peinlich, was gerade passiert ist. Er gehört zu den Bayern. Er ist Ultra. Vor gut acht Jahren war er einer der Initiatoren, als sich die Schickeria gegründet hat, die berühmteste Ultragruppierung des FC Bayern München. Berüchtigt ist sie auch. Seit dem Mai 2007 gilt die Schickeria als eine der übelsten Fangruppen im Land. Auf einer Autobahnraststätte bei Würzburg war es zu einer Auseinandersetzung mit Fans des 1. FC Nürnberg gekommen. Bierflaschen flogen durch die Luft. Die Frau des Busfahrers, der die Fans aus Franken chauffiert hat, wurde im Gesicht getroffen. Seitdem kann sie auf einem Auge nichts mehr sehen. Es kam zu Festnahmen und Anklagen. Drei Bayernfans wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. „Gar keine Frage, so etwas darf nicht sein“, sagt Simon Müller. Er war dabei damals an der Raststätte. „Die Flaschen sind in dem Fall eine Waffe gewesen. So etwas lehnen wir eigentlich grundsätzlich ab.“ Er hat dennoch einen Strafbefehl akzeptiert. Als derjenige, der den Bus organisiert hat, mit dem die Schickeria unterwegs war, sei er mitverantwortlich, hieß es. Natürlich hat er Stadionverbot wie Dutzende anderer, die auch in dem Bus waren. Drei Jahre lang dürfen sie in kein Bundesligastadion.
Hausverbot vom FCB
Der FC Bayern hat das noch ausgeweitet. In der Fröttmaninger Arena hat Müller auch Hausverbot. Das ist der Grund, warum er und 80 andere an diesem Tag auf dem Rasenstreifen am Rande des Parkplatzes stehen. Die asphaltierte Fläche gehört zum Stadion, die begrünte Böschung der Zufahrtsstraße nicht. Es ist der Platz, an dem sich vor jedem Heimspiel die versammeln, die nicht reindürfen ins Stadion. SVler nennen sie sich selbst, Stadionverbotler. Da steht Müller jetzt und denkt noch einmal nach über den Zwischenfall von eben. „Ehrlich gesagt“, meint er, „wenn ich jetzt nicht hier mit Ihnen geredet hätte, ich wäre mitgelaufen.“ Es gehe darum, Präsenz zu zeigen, sein Gebiet zu verteidigen.
„Das ist wie im letzten Jahr, da sind die Hamburger auch von dieser Seite gekommen. Und trotzdem war erst mal keine Polizei da.“ Ein Mann mit lederner Schiebermütze ist auf Müller zugekommen und sagt das. Wie Feldherren schauen die beiden über den Parkplatz. Müllers Gesprächspartner ist Thomas Emmes. Er ist beim Fanprojekt München für die Anhänger des FC Bayern zuständig. Müller ist ein wenig genervt von dem Streetworker. „Wir sehen uns nicht unbedingt als Zielgruppe für Sozialarbeit“, sagt er. Emmes kennt seine Klientel. „Die Bayern-Ultras kommen eher aus der Mittelschicht. Gymnasiasten und Studenten oft. Fast kann man von einer intellektuellen Fanszene reden“, sagt er. Emmes ist kein gelernter Sozialpädagoge. Er kommt aus der Fanszene der 80er-Jahre. „Damals ist es noch anders zugegangen.“ Es war die Zeit der Hooliganschlägereien. Das erzählt er noch schnell. Dann geht er. Er weiß, dass die Schickeria es nicht mag, wenn das Fanprojekt versucht, mitzumischen.
Student ist auch Simon Müller. Politikwissenschaft studiert er. Politisch motiviert ist auch seine Anhängerschaft zum FC Bayern. Die Geschichte des Klubs als kosmopolitische Gruppierung findet er faszinierend. Jedes Jahr organisiert die Schickeria ein antirassistisches Fußballturnier, das Kurt-Landauer-Turnier. Es soll erinnern an den Präsidenten des FC Bayern, der die Münchner 1932 zum ersten deutschen Meistertitel führte. Im März 1933 zwangen die Nazis den Juden Landauer zum Rücktritt, 1938 wurde er ins Konzentrationslager Dachau gesperrt, sollte dann unverzüglich das Land verlassen und ging ins Exil in die Schweiz.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1947 wurde Landauer wieder zum Präsidenten gewählt. Stolz auf den FC Bayern ist die Schickeria vor allem wegen dessen Geschichte. Aus ihr leiten sie einen politischen Auftrag ab. In ihrem Fanzine, dem Südkurvenbladdl, betreiben sie antirassistische Aufklärungsarbeit. Sie organisieren Infoabende zur Geschichte des Klubs in der NS-Zeit. Zusammen mit der „Karawane München“, einer Vereinigung, die für „soziale und politische Rechte, Gleichheit und Respekt der Menschenwürde“ eintritt, haben sie Flüchtlingen den Stadionbesuch ermöglicht. Seit sich Rechte in der Bayernkurve so gut wie nicht mehr äußern, wenden sie sich anderen Themen zu. Sie kämpfen gegen Homophobie im Stadion und gegen die Übermacht der Männer in der Kurve. „Schauen Sie sich um“, sagt Müller, „auch bei uns gibt es kaum Frauen.“
Bei anderen Bayernfans kommt das Engagement der Schickeria nicht nur gut an. Fanbusse aus Traunstein, Cham oder Günzburg fahren am Hügel der Stadionverbotler vorbei. Die Männer und Frauen schauen mit Befremden auf die unter Kapuzenpullis und hinter riesigen Sonnenbrillen kaum erkennbaren Gesichter der Ultras. Müller: „Die kommen von einem anderen Planeten.“
Da leben für die Schickeria auch die Macher des FC Bayern. Simon Müller erzählt von Raimond Aumann, dem ehemaligen Torhüter, der jetzt als Fanbeaufrtagter des Klubs arbeitet. Der habe zunächst gar nichts anfangen können mit den Ultras. „Mittlerweile weiß er, wer wir sind“, sagt Müller. Sprechen darf Aumann nicht über die Schickeria. „Sie werden dazu keine Statements des FC Bayern erhalten“, sagte Markus Hörwick, der Pressechef des Klubs, auf Nachfrage. 2007, als alle Welt über die Brutalität der Schickeria berichtet hat, forderte der damalige Manager des Vereins „eine neue Südkurve“ und kündigte an, Leuten aus dem Umfeld der Schickeria keine Jahreskarten mehr zur Verfügung zu stellen.
Mittlerweile ist der Klub milder geworden. „Viel ist ja sonst nicht los in der Südkurve“, sagt Müller. Manchmal gibt es sogar kleine Kooperationen. Die Schickeria hatte Ende Januar Uri Siegel zu einer Veranstaltung eingeladen, einen, der dabei war, als Bayern 1932 Meister wurde. Auf Anfrage stellte der Verein dem Neffen von Kurt Landauer Eintrittskarten für ein Bayern-Heimspiel zur Verfügung. Da saß er dann. Unter denen, die für die Schickeria vom anderen Planeten kommen, den Sitzplatzzuschauern.
Freundschaft mit St. Pauli
Doch auch in der Stehplatzszene versteht nicht jeder die Schickeria. In Bordeaux beim Auswärtsspiel in der Champions League ist es gar zu einer Schlägerei gekommen. Ein paar Fans wollten nicht akzeptieren, dass die Schickeria auf einem Transparent ihre Freundschaft zu Anhängern des FC St. Pauli, des Hamburger Klubs mit der alternativen Fanszene, zum Ausdruck bringen wollte. Für Simon Müller und die seinen gibt es dagegen keinen Zweifel. FC Bayern und St. Pauli – das passt. Die Fans des Hamburger SV wissen um diese Fanfreundschaft. Deshalb seien sie in Richtung Wiese losgestürmt, glaubt Müller.
Jetzt schleicht sich der Mann vom Fanprojekt wieder ran. „Ein SKBler hat gemeint, dass es zum Kessel kommen könnte, vielleicht sollten die SVler jetzt einfach gehen, aber nicht in der Gruppe.“ SKBler, die szenekundigen Polizeibeamte in Zivil, haben durchblicken lassen, dass es gleich zu einer Polizeiaktion gegen die Stadionverbotler kommen könnte – wegen der Rennerei gegen die HSV-Fans vorhin. Die SVler machen sich jetzt auf den Weg in die Kneipe, in der sie das Spiel anschauen wollen. Ein paar gepanzerte Beamte stiefeln ihnen nach. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass es Einsatzleiter gibt, die ihren speziellen Krieg gegen uns führen“, sagt Müller.
Ein Polizist pro Fan
Die Ultras, die noch kein Stadionverbot haben, marschieren Richtung Arena. Beinahe für jeden Fan läuft ein Polizist mit. „Wir sind wahrscheinlich die einzigen Fans einer Heimmannschaft, die nach dem Spiel in einem Polizeikessel weggeführt werden“, sagt Müller. Ist das berechtigt? Wie gewaltbereit ist denn die Kurve? Müller ist sich sicher: „Das nimmt zu. Vor allem gegenüber der Polizei. Da gibt es immer mehr eine Art Wurstigkeitshaltung unter den Fans, weil die über die Jahre immer mehr kriminalisiert worden sind.“
Eine Stunde ist es noch bis zum Spiel. Kaum ein SVler ist noch auf der Wiese. „Räum noch die Flaschen weg“, ruft Müller einem seiner Freunde zu. Ordnung soll sein auf dem Hügel der Verbannten. Dann geht er in die Kneipe zu den anderen. Fußball schauen.