: Eine Baustelle für die Kunst
MUSIK Seit fünf Jahren macht der Bremer Ein-Mann-Betrieb Gunner Records unermüdlich Musik und Literatur aus dem Untergrund zugänglich – mehr als ein Vollzeitjob
kommen aus dem tiefsten us-amerikanischen Süden. Dort sitzt die musikalische Tradition beinahe schon in den Genen, weshalb sich noch in den Werken brachialer Hardcore-Bands oft mehr als nur Spurenelemente von Blues und / oder Country finden lassen. Bei Ninja Gun ist die Ausgangsbasis so genannter „Power Pop“, was im Allgemeinen die Aufladung klassischer Pop-Songs (Beatles und so) mit der Energie des Punk bedeutet. Die archaischen Formen der amerikanischen Musik, aus denen sich in den fünfziger Jahren der Rock‘n‘Roll entwickelte, bilden bei Ninja Gun eine zusätzliche musikalische Schicht.
von ANDREAS SCHNELL
Einerseits ist heute ja nun wirklich jede/r, der/die etwas auf sich hält und sich im Sinne der digitalen Boheme durchschlagen möchte, im Internet vertreten, zumindest mit einer Myspace-Seite, wenn er oder sie Musik macht. Allerdings ermöglicht das noch lange keine Infrastruktur, die mit denen der Plattenindustrie konkurrieren könnte. Also muss man sich durchbeißen, Selbstausbeutung „galore“.
Weshalb es auch gelinde gesagt problematisch ist, auf die Schnelle den Mann, um den es hier eigentlich gehen soll, über sein Label, um das es hier auch gehen soll, zu befragen. Dieses Label wiederum ist nicht einfach nur eine kleine Plattenfirma, sondern „klebt“ sowohl auf einer Buchveröffentlichung wie auch auf den europäischen Konzertplänen der famosen Vaudeville-Punks der World / Inferno Friendship Society aus Brooklyn, New York.
Das klingt nach einer Menge Arbeit für einen Menschen. Und ist es auch. Derzeit zum Beispiel ist Gunnar Christiansen, um endlich den Namen des Mannes zu nennen, von dem die Rede ist, auf Tour mit der Band Ninja Gun, die heute Abend (Samstag) auch in Bremen Halt macht. Kein eifriger Promoter ist da, der im Eifer des Gefechts noch beflissentlich darauf bedacht ist, dass der Journalist noch einen „Phoner“ mit Band oder Labelmacher bekommt, keine „Presselounge“ auf der Website der Firma, die im Fall von Gunner Records, um endlich auch den Namen des Labels zu nennen, um das es hier gehen soll, lediglich einen Link zu einer Myspace-Seite enthält. Und den Hinweis: „Website coming soon…“.
Das Leben, eine Baustelle. Und auf dieser hier wird eben weniger Wert auf einen glanzvollen Werbeauftritt gelegt, sondern alle Energie zuerst einmal in das gesteckt, worum es eigentlich gehen sollte: die Inhalte. Sei es ein Buch mit Geschichten des Sängers der erwähnten World / Inferno Friendship Society, Jack Terricloth, sei es die Suche nach neuen, ebenso aufregenden wie integeren Bands aus dem globalen Punk-Untergrund, sei die Organisation einer Tournee oder die Tourbegleitung für die Bands, mit denen man arbeitet.
Angefangen hat das alles vor fünf Jahren. Gunnar Christiansen wollte eigentlich damals nur eine Schallplatte veröffentlichen und eine Tour für die Band Mischief Brew buchen, weil offenbar sonst niemand daran interessiert zu sein schien. Dann aber klopften deren Kumpels an die Tür, weil auch sie Hilfe brauchten. Der Name für das Unternehmen war schnell gefunden: Die Bands mit denen Gunnar arbeitete, hatten Schwierigkeiten, seinen Namen auszusprechen. Weshalb das Kind kurzerhand „Gunner“ getauft wurde.
Was eigentlich ganz hübsch zu der Band passt, die heute Abend in der Tower-Bar auftritt. Denn auch die haben gewissermaßen eine Pistole im Namen. Und auch bei ihnen löst die Musik die aggressive Assoziation nicht ein (siehe Kasten). Subversion wird im Hause Gunner Records zwar durchaus groß geschrieben, erschöpft sich aber nicht im nihilistischen Punk-Protest oder einschlägigen „Smash the state“-Parolen – es darf als programmatisch bezeichnet werden, dass der Hand im Label-Logo die Pistole aus der Hand fällt. Bands wie die Auxes, The Gaslight Anthem, die Cobra Skulls, Saint Alvia, Frank Turner (übrigens am 3. April in Bremen zu Gast) oder eben die World / Inferno Friendship Society kleiden ihre Haltung in ganz unterschiedliche Klangkonzepte: Vom klassischen Singer / Songwriter-Modell über stürmischen Post-Hardcore bis zu solidem Power-Pop mit Country- oder Rock-Einflüssen reicht das Spektrum und darüber hinaus.
Und weil das sympathisch und unterstützenswert ist, macht der Tower aus dem Bremer Konzert von Ninja Gun ein Freikonzert. Und weil das eben auch ziemlich arbeitsintensiv ist, finden Sie in diesem Text nicht die eigentlich obligatorischen O-Töne von Protagonisten, immerhin aber eine ansatzweise Erklärung für deren Fehlen.
■ heute, Samstag, ab 22.30 Uhr, freier Eintritt bis 23 Uhr, Tower-Bar