: Klassik verkauft Uhren, Rock das Bier
MANIPULATION Um das Image ihrer Produkte zu prägen, setzen die Hersteller immer stärker auf Musik in der Werbung. Die Komponisten haben dabei zu funktionieren, nicht zu entscheiden – Hauptsache, der Sound passt zur Marke
Werbekomponist Steven Schwalbe
VON PAUL WRUSCH
Werbung ist Manipulation. Schöne Menschen, traumhafte Landschaften und einprägsame Slogans sollen dem Konsumenten die beworbenen Produkte schmackhaft machen und ein bestimmtes Image vermitteln. Die Bedeutung von Musik – besonders in der TV-Werbung – hat in den vergangenen Jahren zugenommen.
Es gibt ganze Abhandlungen darüber, wie Musik die Werbebotschaft verstärken kann. In Tabellen wird aufgezeigt, welche Genres und welche Instrumente für welche Produktgruppen verwendet werden sollen. Mit Klassik wird beispielsweise Qualität und Präzision verbunden, auch Eleganz und Reife. Deshalb werden Spots für Autos, Uhren, Wein und Sekt oft mit klassischer Musik vertont. Rockmusik dagegen wird mit Protest und Selbstbewusstsein assoziiert und daher für Bier- oder Jeanswerbung benutzt – Joe Cockers „Sail Away“ in der Beck’s-Werbung machte es vor. Volksmusik bedeutet Bodenständigkeit und regionale Verbundenheit und ist damit das Genre für Nahrungsmittel und regionale Spezialitäten.
Der Trend heißt Audiobranding
Hersteller überlassen Musik in der Werbung nicht dem Zufall. Der Trend heißt Audiobranding, also der Prozess, Musik zum Teil des Markenimages zu machen. Dazu gehört neben den Songs in Werbespots auch die akustische Gestaltung des Webauftritts, die Musik, die in Telefonwarteschleifen gespielt wird oder bei Messeauftritten läuft.
Steven Schwalbe ist einer von denen, die Musik speziell für die Werbespots komponieren. Einen Schreibtisch, einen Rechner, zwei große Monitore, etliche Boxen und ein E-Piano. Mehr braucht er nicht. Sein Studio ist im Dachgeschoss, an den Wänden hängen viereckige, dunkle Polster. Die sollen die Akustik des Raumes verbessern.
Auf zwei Etagen in einem Altbau nahe dem Hackeschen Markt in Berlin verteilen sich noch vier weitere Studios, in denen seine Kollegen Musik komponieren. „In fast jedem Werbeblock im deutschen Fernsehen ist ein Spot dabei, den wir vertont haben“, sagt Steven. Mit „wir“ meint er die Firma Audioforce.
„Manchmal basteln wir drei Wochen an der Musik und am Ende wirft der Kunde alles um“, sagt Steven. Der 31-Jährige hat klassische Komposition studiert, absolvierte später ein Aufbaustudium an der Filmakademie Ludwigsburg. „Ich wollte immer Filmmusik machen“, sagt er. Jetzt ist er seit zweieinhalb Jahren bei Audioforce und hat Musik für wenigstens zwölf TV-Werbespots komponiert. Für namhafte Autohersteller, die Sparkasse und Bitburger etwa.
Für einen Spot des Bierherstellers von vor zwei Jahren, in dem die deutsche Fußballnationalmannschaft beim Lauftraining im Wald, später in der Umkleide und beim Spiel gezeigt wird, haben er und drei Kollegen 25 Musikstücke komponiert. Klassik, Rock und Pop. „Es musste um Einfachheit gehen, einen klaren Spannungsbogen hin zum Finale geben, wenn Podolski das Tor schießt und die Fans jubeln“, sagt Steven. Die Musik sollte Euphorie erzeugen, unterstützt von der deutschen Synchronstimme von Robert De Niro. Aus den 25 Kompositionen wurde letztlich die von Steven ausgewählt. Ein klassisches Streicherarrangement, von 20 Musikern eingespielt. Viel Aufwand für 47 Sekunden.
Es gibt kaum mehr einen Werbespot ohne Musik. Häufig wird in Werbefilmen – etwa denen von Obi, Ebay oder Volvo – auch ganz auf Wortelemente verzichtet, die Botschaften also nur über Bild und Musik vermittelt. Dass Musik das kann, ist schon lange bekannt. Schon bei einigen der Spots vor 75 Jahren lief Musik. Allerdings dezent im Hintergrund.
Heute ist der Einsatz von Musik in der Werbung vielfältiger geworden. Die einfachste und zugleich wichtigste Form ist das Audiologo – vergleichbar mit dem visuellen Markenlogo – eine kurze, einfache Tonfolge, die am Ende jedes Spots gespielt wird.
C-C-C-E-C – die Tonfolge erkennt jeder sofort
Die Deutsche Telekom verwendet eines der bekanntesten. C-C-C-E-C. Zwei Töne, fünfmal gespielt. Eine Tonfolge, die jeder kennt. Jingles sind etwas länger und werden meist von Gesang begleitet. „Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso“. Oder auch: „Nichts ist unmöglich – Toyota“. Die zentrale Botschaft wird gesanglich verpackt. Selten, aber wirkungsvoll sind Werbelieder, die den gesamten Spot dominieren. „Du bist der schöne Augenblick, der nie verfliegt. Merci, dass es dich gibt“. Entscheidend ist, dass dieselbe Musik dauerhaft verwendet werden. Nur so prägt sie sich ein.
„Menschen können die Augen verschließen, die Ohren aber nicht“, sagt Musikwissenschaftler Stefan Strötgen, der gerade zum Thema Audiobranding promoviert. Musik in der Werbung soll Erinnerungen aktivieren. „Wenn ich während der Werbepause etwa zum Kühlschrank gehe und die Töne C-C-C-E-C höre, weiß ich, dass gerade für die Telekom geworben wird“, sagt Strötgen. Werbemusik soll außerdem Aufmerksamkeit erregen, etwa wenn bekannte Songs zum Einsatz kommen. Letztlich hat Musik auch eine Imagefunktion und damit eine leicht manipulierende Wirkung. Im besten Fall führt die Nutzung eines als positiv bewerteten Musikstücks dazu, dass auch das Produkt selbst positiv bewertet wird. Ähnlich der klassischen Konditionierung nach Pawlow.
Die Werbeindustrie weiß um die Wirkungsmacht von Musik. Zwischen sechs und zwölf Monate planen große Unternehmen für die Entwicklung von Audiobrandings ein. „Das Gesamtkonzept muss stimmen und zur Marke passen“, sagt Stefan Strötgen. Neu ist, dass viele Firmen die von ihnen verwendete Musik aktiv bewerben, etwa auf Youtube. Oder sie bieten die Songs aus den Spots als Klingeltondownload an. Inwieweit stimmige Konzepte den Verkauf fördern, darüber gibt es keine harten Zahlen. Studien belegen aber, dass durch den Einsatz von Musik die Erinnerung an Werbespots gesteigert werden kann.
Werbekomponist Steven Schwalbe hat ein eher distanziertes Verhältnis zu seinen Auftraggebern. „Ich bin kein Freund von Werbung“, sagt er. In letzter Zeit hätten die Komponisten immer weniger Freiheiten. Vieles ist vorgegeben, ihre Kompetenz nur noch selten gefragt.
Manchmal wundert er sich, wie viel Aufwand betrieben wird für einen einzigen Spot. Für manche schämt er sich. Immer dann, wenn seine Komposition so verunstaltet wurde, dass er sie kaum wiedererkennt. Die letzte Entscheidung haben Leute, die von Musik und Harmonie kaum Ahnung haben. Das frustriert.
Ist er aber zufrieden mit dem Ergebnis und sieht die Werbung im TV, ist er stolz. Ein Gefühl, das schnell wieder verfliegt. „Die Spots kommen und gehen.“