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Archiv-Artikel

„Gefährliche Vermischung“

Selbst weltoffene Journalisten vermischen in ihrer Berichterstattung nur allzu oft das Thema Migration mit Terrorismus und innerer Sicherheit, meint der Politologe Christoph Butterwegge

INTERVIEW TILL HOPPE

taz: Herr Butterwegge, nehmen wir an, Sie würden sich Ihr Bild von Zuwanderern ausschließlich über die Medien machen. Wie sähe es aus?

Christoph Butterwegge: In den Medien werden Migranten stark nach ihrem Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft beurteilt. Auf der einen Seite stehen jene Zuwanderer, die als Belastung oder Bedrohung gelten, auf der anderen Seite jene, die eher als Bereicherung erscheinen. Dadurch wird im Massenbewusstsein eine problematische Hierarchie bestätigt, die sich nach dem „Wert“ der Zuwanderer richtet.

Welche Zuwanderer werden denn als nützlich und welche als Belastung dargestellt?

Seit der im Frühjahr 2000 von Altkanzler Schröder gestarteten Green-Card-Initiative gelten hauptsächlich jene Migranten als nützlich, die in der High-Tech-Industrie arbeiten, hoch qualifiziert und bereit sind, sich anzupassen, das Land aber nach spätestens fünf Jahren wieder verlassen. Da erfand die Bild-Zeitung den „Computer-Inder“ Surjit Singh Suri, der sich im Titel des Berichts „auf das saubere Deutschland“ und „einen BMW“ freut. Im Gegensatz dazu werden Flüchtlinge, „illegale“ Einwanderer und häufig auch Aussiedler negativ dargestellt, weil sie angeblich der Gesellschaft auf der Tasche liegen.

Für die Boulevardmedien überrascht einen dieser Befund ja nicht sonderlich. Aber gilt er auch für die sogenannten seriösen Medien?

Natürlich darf man nicht alle Medien über einen Kamm scheren. Es gibt große Unterschiede zum Beispiel zwischen der Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der taz. Allerdings haben wir große Überschneidungen, zum Teil sogar die gleiche Wortwahl, bei den Boulevardzeitungen und den seriösen Nachrichtenmagazinen festgestellt. Beispielsweise finden sich in Spiegel wie Focus zahlreiche Berichte über das Treiben von Schlepperbanden, Menschenhändlern und Kriminellen aus verschiedenen Ländern. Darin wimmelt es von Ausdrücken wie „Knochenbrecher“ und das „schwarze Dreieck Moskau–Minsk–Kiew“. Auch in vielen Regionalzeitungen dominiert die negative Berichterstattung über Zuwanderer.

Die Anschläge in den USA vom 11. September 2001 haben auch in Deutschland große Ängste vor Terrorakten durch muslimische Extremisten geweckt. Wie hat sich das auf die Berichterstattung über Muslime ausgewirkt?

Vor dem 11. September wurden Zuwanderer häufig unter dem Stichwort „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ als Belastung für die Bundesrepublik und als Bedrohung für die Arbeitsplätze von Deutschen dargestellt. Nach den Anschlägen hat dieses Szenario dadurch an Brisanz gewonnen, dass besonders muslimische Zuwanderer zusätzlich als Gefahr für die innere Sicherheit wahrgenommen werden.

Wie sieht das konkret aus?

Die Zuwanderungsdebatte wurde mit den Diskussionen über Terrorismus und innere Sicherheit verbunden, ja sie ging manchmal darin förmlich auf. Diese sehr gefährliche Vermischung haben wir besonders im Spiegel beobachtet, aber auch in anderen seriösen Medien.

Aber sind die Medien hier nicht nur Vermittler der in der Bevölkerung laufenden öffentlichen Debatten und kursierenden Meinungen?

Natürlich sind Medien häufig nur Transporteure der Äußerungen von Vertretern der politischen Klasse, aber oft lassen sie sich auch vor den Karren der Scharfmacher spannen und tragen selbst aktiv zur Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte bei.

Sie spielen auf den Konflikt um die Mohammed-Karikaturen an?

Ja. Da ging es plötzlich gar nicht mehr um die Pressefreiheit und ihre Grenzen im Hinblick auf die Verletzung religiöser Gefühle von Muslimen, sondern angeblich um den „Kampf der Kulturen“. Dieses überhöhende Deutungsmuster hat sich seit dem 11. September in vielen seriösen Medien durchgesetzt. Dadurch wird aber der völlig falsche Eindruck vermittelt, dass die westliche Kultur und der Islam unvereinbar sind und das friedliche Zusammenleben mit Muslimen unmöglich ist.

Sie zeichnen ein sehr kritisches Bild von der Berichterstattung. Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für die Defizite?

Nach meinem Eindruck sind die meisten Journalisten weltoffener und der Einwanderung gegenüber insgesamt positiver eingestellt als die Bevölkerungsmehrheit. Aber durch ihre Berichterstattung – selbst wenn diese Migration als kulturelle Bereicherung für die Aufnahmegesellschaft versteht – erreichen Medienmacher häufig das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigen.

Und woran liegt das?

Das Problem ist der Maßstab, nach dem man Zuwanderer beurteilt: Was bringen sie uns? Oder: Bekennen sie sich zu unserer Nation? Als mit Gerald Asamoah zum ersten Mal ein Schwarzer deutscher Nationalspieler wurde, titelten Bild und Spiegel fast gleichlautend „Mein Herz schlägt für Deutschland“ beziehungsweise „Ein Herz für Deutschland“. Dadurch werden die nationale Identifikation und der Nutzen des Zuwanderers für „uns“ betont – ein Denkschema, das sehr gefährlich ist. Denn durch die Gegenüberstellung der beiden Kollektive „wir“ und „sie“ wird im Endeffekt der Rassismus geschürt.

Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hrsg.): „Massenmedien, Migration und Integration“. VS-Verlag Wiesbaden, 19,90 Euro