: Superstar a. D.
Heute Abend wird auf RTL ein neuer „Superstar“ gekrönt. Wie es weitergeht mit der Karriere, kann man an Alexander Klaws, 22, dem Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“ aus dem Jahr 2003, beobachten
AUS KÖLN MARTIN WEBER
Der junge Mann hat ohne Frage ein Näschen dafür, Talente zu erkennen. Wenn nicht sogar ein Händchen, potenzielle Gewinner auszumachen. „Seine Stimme, seine Performance, seine Ausstrahlung stimmt“, ließ der junge Mann Anfang Februar in einer Berliner Zeitung verlauten, und er lobte noch mehr: „Nichts an ihm ist gespielt.“
Adressat der Preisung ist Mike Leon Grosch, der an diesem Wochenende tatsächlich im Finale der aktuellen Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS)steht, und das Erstaunliche dabei ist nicht, dass die RTL-Vermarktungsmaschine auch im dritten Aufguss auf Hochtouren rattert: Die Quoten für die so genannten Mottoshows sind gut, mit ihrem Debütalbum „Love Songs“ landeten die „Superstar“-Anwärter in der Version 2006 auf Platz eins der Charts – Massengeschmack ist und bleibt eben eine hässliche Angelegenheit. Und die Zeitung, in der nicht einmal tote Fische gern eingewickelt werden, inszenierte, Boulevard as usual, brav und pflichtschuldigst die Gossip-Sättigungsbeilagen zu dem „Superstar“-Gewese. Mal wollen Mike Leon Grosch und seine Herzdame, die unlängst bei „DSDS“ ausgeschiedene Vanessa Jean Dedmon, demnächst heiraten, obwohl es zwischen den beiden noch nicht mal zum zünftigen Austausch von Körperflüssigkeiten gekommen sein soll; anderntags bekennt er, noch nicht ganz „Superstar“, aber schon ganz und gar Boulevardschranze, reumütig in der Bild: „Ich liebte diese Hure!“, derweil neben dem Geständnis ein gepixeltes Foto zu sehen ist, hinter dem sich auch Pinocchio verbergen könnte.
Womit wir wieder beim dem jungen Mann sind, der der Absender der Lobeshymne ist. Alexander Klaws ist 22, hat 2003 die erste RTL-Runde gewonnen und deshalb ohne Frage im extrem schnelllebigen Casting-Gewerbe den DSDS-Dinosaurierstatus inne. Und als er in einem Kölner Hotel sitzend Mike Leon Grosch noch einmal das Echtheitszertifikat verpasst, wächst ihm wider Erwarten keine Pinocchio-Nase.
Denn selbstverständlich ist so ziemlich alles an Mike Leon Grosch gespielt, und genau darum geht es bei einem Format mit genau festgelegten Regeln wie „DSDS“. Vollkommen egal, wer in der Jury neben dem immer noch sehr lästigen Dieter Bohlen sitzt: Sie ist dazu da, die Kandidaten dezent zu bauchpinseln respektive tüchtig runterzuputzen. Komplett irrelevant, wer nach dem schmerzhaft talentfreien Duo Hunziker/Spengemann als Moderatorenpaar dilettiert (akut: Tooske Ragas & Marco Schreyl): Es ist dazu da, die Kombattanten zu trösten und, wenn es gar zu arg wird, der Flennerei Einhalt zu gebieten. Bleiben die Kandidaten: Die müssen vom Formatradio längst hingerichtete Lieder singen, weil das Geschmackszentrum der RTL-Kundschaft am Samstagabend nun mal nichts frisst, was es nicht kennt. Und so scheitern die „Superstar“-Azubis in schöner Regelmäßigkeit an dem zwar schwer zu singenden, aber doch seelenlosen Liedgut von Xavier Naidoo, Anastacia, Mariah Carey und Whitney Houston. Und neuerdings auch jenem des Emotions-Beamten James Blunt. Ein Abend in einer gewöhnlichen Karaoke-Bar kann auch nicht grausamer sein als das, was RTL als Farbfernsehen am Samstagabend offeriert.
Holger Strecker, Geschäftsführer von RTL Enterprises, fasst den Sachstand kurz und knapp so zusammen: „Die Nummer eins der Charts zeigt, dass nicht nur die Show, sondern auch der Tonträger zur Sendung wieder hervorragend funktionieren.“ Alexander Klaws, anlässlich der Veröffentlichung seines dritten Albums „Attention!“ mit einer neuen Frisur ausgestattet, die so szenenasig verwuschelt aussieht, als sei er gerade frisch aus dem Bett gehopst, müht sich da deutlich mehr. „Ja, schon“, sagt er nach einigen Anläufen, „es ist – in Anführungsstrichen – schon ein Spiel bei ‚DSDS‘. Und ich sag mal – in Anführungsstrichen: Man verkauft sich bei der Show schon. Aber die ganzen Trailer, die da im Programm laufen, das ist ja nicht so aus der Hand gezogen, jeder hat da plötzlich ein Image. Als Musiker, als der Sänger – das Image ist natürlich erst mal ein aufgesetztes, den Menschen an sich lernt man erst nach ‚DSDS‘ kennen, wenn's um die Karriere geht.“
Nach zwei Alben, die Platz eins der Charts erreichten, fünf Singles, die in den Top Ten landeten und 1,7 Millionen verkauften Tonträgern in Deutschland hat Alexander Klaws nunmehr für sich entschieden, dass es allerhöchste Eisenbahn ist: Seine Kundschaft soll den „Menschen an sich“ kennen lernen. Im Prinzip ein guter Ansatz – wenn sich das bei dem jungen Mann aus dem westfälischen Sendenhorst nicht so kläglich anhören würde. „Bitte nicht das schlimme Wort ‚Produkt‘ sagen“, lässt Alexander Klaws den Journalisten wissen und dreht hernach die eine oder andere verbale Pirouette. „Das war vielleicht mal so, mit dem Produkt“, erklärt Alexander Klaws, „ist aber jetzt nicht mehr so. Deswegen heiße ich als Künstler ab sofort nicht mehr Alexander, sondern Alexander Klaws. Weil ich der Mensch bin, der Typ, der jetzt wirklich …“ Der Superstar a. D. hält inne, zögert, spricht nicht weiter, lässt den Satz versanden. Möglicherweise ist dies auch die größte – weil: einzige – Chance, die dieser Satz jemals hatte. Und Klaws und der Satz haben sie genutzt. Potzblitz! Anderen Sängern kommt ein Name im Laufe der Karriere vorübergehend abhanden (Witt sein Joachim, Westernhagen zeitweilig der komplette Vor- und ein Teil des Nachnamens); Alexander Klaws gewinnt mir nix, dir nix einen dazu. Wahnsinn.
Und eben der setzt sich fort. So sehr man sich auch in der Rolle des Fragestellers gewünscht hat, dass Alexander Klaws einen gesunden Abstand zwischen sich und die „DSDS“-Blase gelegt und vor allem einen kernigen Blick auf die Mechanismen der Musik verarbeitenden Industrie gewonnen hätte – viel ist da nicht. Seinen vorletzten Platz, den er bei der Wahl zum „World Idol“ belegte, kann Alexander Klaws mittlerweile solide einsortieren – „Die haben mich zurecht so beurteilt, ich war einfach schlecht“ –, und auch seinen Erfahrungen im Musicbiz verpasst er im Nachhinein keinen Zuckerguss: „In den letzten drei Jahren hab ich gelernt, das es nicht hart genug geht, wenn man dabei bleiben will.“ Aber sonst: Alexander Klaws feuert auswendig gelernte Plattitüden ab.
„Mir war wichtig zu zeigen, jetzt der Mensch Alexander Klaws zu sein, der sich verändert hat, der sich weiter entwickelt hat, der nicht mehr – ich sag das mal in Anführungsstrichen – die Figur ist von ‚DSDS‘, die gesteuert wird“, sagt Alexander Klaws. Und weil Alexander Klaws ab sofort ganz doll Alexander Klaws und somit hochgradig eins mit sich selbst ist, redet er fortan weiter von sich in der dritten Person.
Alexander Klaws, laut Reklamezettel der Plattenfirma ein „Top-Ten-Sureshot“ und ab sofort mit einem Tonträger unterwegs, für den gilt „Hier ist Hören angesagt“, nimmt den nächsten Anlauf: „Es ist wichtig, keine Marionette des Business zu werden, sondern sich selbst treu zu bleiben, darum geht's.“ Weil Alexander Klaws keine Marionette des Business ist, sitzen beim Interview gleich zwei Anstandswauwaus mit am Tisch: Seine Managerin ist dabei und auch ein Promoter von der Plattenfirma. Mit seinen 22 Jahren ist Alexander Klaws zwar durchaus in der Lage, allein Gassi zu gehen, aber es ist doch sicherer, wenn man ihn im Notfall an die Leine nehmen kann.
„Ich hab mir im letzten Jahr sehr viel Zeit genommen, um mir über vieles klarer zu werden“, sagt Alexander Klaws, „ich habe mich gefragt, was ich meinen Fans und denen, die es vielleicht noch werden wollen, mitteilen möchte. Setz dich hin, mach die Tür zu, hab ich zu mir gesagt, nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, mach dir deine Gedanken. Ich bin einfach stolz drauf, dass mir meine Plattenfirma diese Zeit auch zur Verfügung gestellt hat.“ Auch wenn die Arbeit an Alexander Klaws' neuem Album „Attention!“ über ein Jahr dauerte, ist eines klar: Plattenfirmen stellen alles Mögliche zur Verfügung – Schwanz verlängernde Autos, die bei Preisverleihungen am Roten Teppich Musiker ausspucken, Deals mit der Musik- und Boulevardpresse, Stylingexperten –, Zeit gehört trotz allem nicht dazu. Dann eher doch die Produzenten- und Songwriterschar, die unter anderem schon für Sweet und Racey, Britney Spears, Celine Dion und Bryan Adams erfolgreich zugange war. Was zur Folge hat, dass der Duft, den „Attention!“ mit seiner seifigen achtzigerjahrelastigen Produktion verströmt, das Parfüm unfassbarer Langeweile ist. Der Radau der verhaltensaufälligen Nervensägen von Tokio Hotel riecht immerhin noch nach präpubertärem Schweiß, der Sound von Alexander Klaws müffelt in seinen besseren Momenten höchstens nach „My Melody“. Musik essen Hirn auf.
Alexander Klaws ist dennoch hochzufrieden. „Auf der Special Edition ist auch ein Song von mir drauf, und die anderen Lieder wurden mir auf den Leib geschrieben. Es gab ein Briefing, und deswegen kann ich sagen, es sind meine Songs.“ Dass Pop per se erst einmal ein offenes System ist, und dass man auch in eine noch so maßgeschneiderte Form nicht unbedingt reinpasst – davon weiß Alexander Klaws nichts. „Ich höre gern Coldplay, und ‚How To Dismantle An Atomic Bomb‘ von U2 find ich auch klasse. Das sind Alben und Musik, wo Wumm hintersteckt, das sind Leute, zu denen man hochschaut.“ Auch das noch.
Einer wird gewinnen, auch bei der dritten Staffel. Ob Mike Leon Grosch oder Tobias Regner, ist schnurz. So schnurz wie die Alternative, die auch keine ist: Kerner oder Beckmann.