: Die coolen Typen aus der Raucherecke
SKATEN Eine Ausstellung im Stattbad Wedding zeigt die ganze Geschichte des Rollbrettsports. Geht’s nach den Machern, soll aus dem Ganzen ein Museum werden
VON JENS UTHOFF
An sein erstes Mal kann Jürgen Blümlein sich gut erinnern. „Das war 1987, ich war 14 Jahre alt“, erzählt er. Er tat es mit einem bunten Plastikbrett. „Das hab ich leider nicht mehr. Ich weiß nur noch: Ich hatte noch nie vorher einen Gegenstand, der mich in so kurzer Zeit so sehr geflasht hat.“ Später stieg er um auf ein besseres Brett und verkaufte das Einsteigergerät für zehn D-Mark.
Es geht ums Skateboardfahren, natürlich. Die einzige Sportart, die Ende der 80er oder Anfang der 90er als cool galt. Konnte man vorweisen, einen Ollie* über die Parkbank oder einen Kickflip** gestanden zu haben, stieg das soziale Ansehen unter den Jungs auf dem Schulhof rapide, zumindest bei den Typen in der Raucherecke. Skaten war zu jener Zeit eine rein männliche Angelegenheit.
Mittlerweile ist die Geschichte des Rollbrettsports und dessen enorme Anziehungskraft auf Jugendliche reif fürs Museum. Jürgen Blümlein, der gemeinsam mit Daniel Schmid das bislang einzige Skateboardmuseum Europas zwischen 2003 und 2012 in Stuttgart betrieb, will die Musealisierung der Subkultur nun in Berlin fortführen.
Nach Problemen mit der Immobilie im Schwabenland ziehen Blümlein und seine Sammlung derzeit an die Spree. Im Stattbad Wedding zeigen sie in den kommenden beiden Wochen unter dem Titel „The Culture and Art of Skateboarding“ bereits Teile der Kollektion. Dort, wo das Museum voraussichtlich 2014 seine Pforten öffnen soll.
Die Schau im Stattbad teilt sich auf mehrere Räume auf. In einem davon erzählen die Exponate die geschichtliche Chronologie des Skatens und Skateboardbaus: Hier finden sich etwa Rollschuhe von 1886, Holzroller aus den 1930ern sowie frühe Skateboards aus den 1950ern und 1960ern. Auch skurrile Formen sind zu sehen: ein Board mit Marge-Simpson-Konterfei, eine skiartiges Board, eines mit kleinen Truckreifen.
In diesem Raum ist auf der einen Seite auch ein „Rollbrettl“ mit der Aufschrift „Made in Germany“ aus den 1960ern zu sehen, und auf der anderen Seite prangt ein DDR-Board an der Wand. Signum: „VEB Schokoladenverarbeitungsfabrik Wernigerode“. Das „Germina Speeder“ war das einzige je maschinell gefertigte Board in der DDR.
Des Weiteren sind Rollen, Schrauben, Achsen, Griptapes (die Beschichtung der Boards), Klamotten und Schuhe zu sehen – eben alles, was damals in der Raucherecke oben auf der Agenda stand. Auch Schallplattencovers, auf denen Skateboards zu sehen sind, sind Teil der Ausstellung. Darunter ein Album der Berliner Hardcoreband Disaster Area, die den Szenehit „Skateboarding is not a crime“ schrieb.
Im ehemaligen Schwimmbecken steht eine als große Kunstskulptur getarnte Rampe. Sie ist befahrbar, aber wohl eher für Fortgeschrittene: „Da wird’s viele Slams*** geben“, sagt Blümlein. Auf der Empore im Bad ist eine Fotoausstellung aufgebaut, die analog aufgenommene urbane Skate-Bilder zeigt. Eine Fotoserie begleitet Streetskating-Ikone Mark Gonzales alias „The Gonz“ über Jahre hinweg.
Blümlein ist wichtig, dass die Ausstellung nicht die Privatsammlung eines Nerds ist. „Wir sind keine Sammler, wir sind Historiker“, sagt er. Ihn interessieren die Ausprägungen des Skateboardsports in Europa und darüber hinaus: „Neulich habe ich so ein Billigboard aus Indien bekommen – totaler Trash, aber geil.“
Zur Zukunft des Museums kann er noch nicht allzu viel sagen. Die Finanzierung sei unklar, er könne in Berlin aber „touristischer“ denken als in Stuttgart. Erst wollte er das Museum mit Skate- und Sportfirmen als Sponsoren realisieren, was misslang. Nun sollen Lottomittel her. Die jetzige Ausstellung wird von einer Sportartikelfirma mitgetragen. Blümlein stellt sich dauerhaft etwa 1.000 Quadratmeter Fläche vor. Es soll ein offener Ort für alle werden: „Man muss kein Skater sein, um zu uns zu kommen.“
Blümlein, 40, ist Filmemacher und Künstler, er hat auch schon in der Werbung gearbeitet. Er hat Ausstellungen zu Skaten und Street Art in Barcelona, London und Bregenz kuratiert. Zuletzt publizierte er gemeinsam mit anderen das Buch „Made for Skate“. Die Idee für ein Skatemuseum kam ihm, als er in seiner allerersten Ausstellung als Grafikkünstler ein Board installieren wollte. „Der Kurator hat no way gesagt“, erinnert er sich, „und ich hab mich geärgert.“ Der Rest ist sehenswerte Geschichte.
* Basistrick des modernen Skateboardens
** Sprung, bei dem sich das Board sich in der Luft dreht
*** Stürze
■ „The Culture and Art of Skateboarding“: Stattbad Wedding, Gerichtsstraße 65, bis 31. August, Di.–So. 15–20 Uhr