: Wulff droht mit Tarif-Austritt
Niedersachsen will bei einem „katastrophalen“ Tarifabschluss mit der Gewerkschaft ver.di aus der Tarifgemeinschaft der Länder aussteigen
Von JAN KAHLCKE
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) will eine Verlängerung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst offenbar um jeden Preis durchdrücken. Dazu droht er nun offen mit dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft der Länder. In einem heute erscheinenden Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus sagte Wulff zum aktuellen Tarifkonflikt: „Für ein katastrophales Verhandlungsergebnis reiche ich meine Hand nicht. Dann muss Niedersachsen die Tarifgemeinschaft der Länder verlassen wie Hessen und Berlin zuvor schon. Wir dürfen nicht immer mehr Geld ausgeben, als wir haben.“ Der Fraktionschef und neue Vorsitzende der mitregierenden FDP, Philipp Rösler, stimmte Wulff zu.
Der Ministerpräsident stellte gleichzeitig den 130.000 niedersächsischen Landesbeamten und jenen Angestellten, für die bereits die 40-Stunden-Woche gilt, eine zweiprozentige Erhöhung ihrer Bezüge zum Jahreswechsel in Aussicht: „Die Beamten verzichten seit Jahren auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und arbeiten bereits 40 Stunden pro Woche.“ Sie leisteten ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung und arbeiteten „exzellent“.
Die Verantwortung für ein mögliches Zerbrechen der Tarifgemeinschaft sieht Wulff beim stellvertretenden Verhandlungsführer der Länder, dem schleswig-holsteinischen Innenminister Ralf Stegner (SPD): „Stegner hat die Axt an die Tarifgemeinschaft gelegt“, sagte Wulff. „Intern darf er alles sagen, aber öffentlich die Verhandlungslinie zu schwächen, ist skandalös.“ Stegner hatte in der vergangenen Woche Kompromisslinien aufgezeigt und dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), der die Verhandlungen für die Länder führt, vorgeworfen, an einer Einigung nicht interessiert zu sein.
Der Gewerkschaft ver.di wirft Wulff in dem Focus-Interview vor, mit ihrem Beharren auf einer 38,5-Stunden-Woche für die Angestellten des öffentlichen Dienstes den Stellenabbau zu beschleunigen. „Die Zahl der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst muss schrumpfen. Aber je konkurrenzfähiger er ist, desto weniger dramatisch fällt die Entwicklung aus.“
Der niedersächsische ver.di-Sprecher Ulf Birch sagte dazu: „Damit hat Wulff endlich offen gesagt, worum es wirklich geht: Nicht um 18 Minuten Mehrarbeit in der Woche, sondern um Arbeitsplatzabbau.“ Ver.di-Landesleiter Wolfgang Denia sieht in Wulffs Vorstoß eine „verzweifelte Reaktion“, nachdem mit den Kommunen im Lande eine „für beide Seiten erträgliche“ Einigung im Tarifstreit gefunden sei. Wenn in Baden-Württemberg die Kommunen nun einen Schlichterspruch annähmen, wüchse der Druck auf die Länder. „Dann kann es schnell passieren, dass sich in der Tarifgemeinschaft der Länder die Vernünftigen parteiübergreifend für eine Einigung zusammenfinden“, sagte Denia gegenüber der taz.
Der Gewerkschaftsfunktionär schätzt Wulffs Austrittsdrohung als Signal zur Aufkündigung der Tarifgemeinschaft der Länder ein. Wulff als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender und Niedersachsen als zweitgrößtes Flächenland hätten ein entsprechendes Gewicht. Außerdem würden die Süd-Bundesländer auf so ein Signal nur warten. „Das ist doch Wahnsinn: Ein Nehmerland im Länderfinanzausgleich setzt die Einheitlichkeit im Öffentlichen Dienst auf die Tagesordnung“, sagte Denia. „Das ist eine Steilvorlage für Stoiber und Oettinger.“ Die Geberländer würden nicht länger dulden, dass quasi aus dem Länderfinanzausgleich die öffentlich Beschäftigten genauso entlohnt würden wie in Bayern oder Baden-Württemberg und bei den Verhandlungen um die Ausgleichszahlungen Tarifabsenkungen bei den Nehmerländern fordern. Die reichen Länder, so die Befürchtung der Gewerkschaft, würden die Chance nutzen, um sich mittels der Tarifpolitik Vorteile bei der Anwerbung qualifizierter Kräfte für ihren Landesdienst zu sichern. „Als Erstes wird Stoiber von Wulff die 42-Stunden-Woche fordern, wie in Bayern “, so Denia.
Der ver.di-Landeschef gibt sich indes kämpferisch: „Wulff hat deutlich gemacht, dass Möllring sich in seinem Auftrag bewegungsunfähig gestellt hat. Um es zynisch zu sagen: Jetzt ist das Feinbild klarer“, sagte Denia. „Das erleichtert uns die Mobilisierung unter unseren Mitgliedern erheblich.“