: Radikaler glauben
Selbstbewusst mit Sätzen schießen: Im HAU 3 inszeniert Neco Çelik „Schwarze Jungfrauen“, ein sprachmächtiges Theaterstück über Neomusliminnen von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Hat tatsächlich noch jemand Angst vorm schwarzen Mann? Drauf geschissen, würden sie sagen. Es gibt mehr Anlass, Angst vor uns zu haben, liebe Schweinefresser, Arschlecker und Pornonutten, vor uns, den schwarzen Jungfrauen! Denn wir, wir sind gebildet, wir sprechen ein ausgesucht gutes Deutsch – und wir sind eine Bewegung!
Gemeinsam mit Günther Senkel hat der Autor Feridun Zaimoglu wieder einen Kunstgriff getätigt: Wie schon für „Kanak Sprak“ und „Abschaum“ hat er Gespräche geführt und daraus etwas Neues zusammengesampelt. Diesmal interviewte er junge Neomusliminnen und collagierte deren Statements zu einem Theaterstück, das Neco Çelik im Rahmen von „Beyond Belonging[2]“ im HAU 3 zur Uraufführung brachte. Schwarz sind die fünf Protagonistinnen nur am Anfang: Da stehen sie, mit dem Rücken zum Publikum, wie in einem Setzkasten: jede in einer Box, drei unten, zwei oben. In Stroboskopblitzen und subsonisch dräuendem Grollen ziehen sie sich die schwarzen Mäntel mit integriertem Kopftuchfortsatz von den Körpern und zeigen sich: junge Frauen in fleischfarbenen Kostümen, die Lippen schmal rot geschminkt, die Köpfe zur Glatze maskiert. Wie Maden mit hübschen Gesichtern starren sie aus ihren Kästen, blickdicht verpackt in der Farbe der Nacktheit.
Was sie sagen, hat für alle, die unter dem Kopftuch ein unterdrücktes Duckmäuschen vermuten, die Qualität eines halben Kulturschocks. Denn messerscharf artikulieren sie, mit starker Stimme und vor Selbstbewusstsein strotzend, ihre radikale Hinwendung zum islamischen Glauben. Da ist die toughe Bosnierin, die sich nach der großen Liebe sehnt und nicht für jeden zu haben sein will: „Was glaubt der Scheißkavalier? Dass ich mich in die blickdichten Hüllen zwänge – nur so? Wenn du ficken willst – geht nicht, ich bin ein Moslemmädchen.“ Mit dem Ficken hat das Partymädchen dagegen kein Problem. Sie nimmt sich viele Männer, weil sie weiß: Ihrem Glauben schadet das nicht, gerade ihre Unanständigkeit macht sie zur „radikalen Brut“. Der zum Islam konvertierten Deutschen gibt perverserweise gerade die Striktheit ihres Glaubens ein Recht auf ausländerfeindliche Tiraden: „Ich lasse es nicht zu, dass mir irgendwelche dahergelaufenen Türken meinen Glauben kaputtstinken.“ Dann ist da die Studentin, die aus Überdruss den Männern und dem Alkohol abgeschworen hat, sich seitdem mit eremitischer Strenge auf ein „extremes Coming-out“ vorbereitet und die Einebnung der Zwillingstürme als „Heldentat“ rühmt. Und der verbitterten Deutschtürkin im Rollstuhl beschert die von gegenseitiger Abscheu motivierte Affäre mit ihrem Pfleger ein doppeltes Lusterlebnis.
Der Regisseur Neco Çelik, selbst gläubiger Muslim, Kreuzberger Filmemacher und Sozialarbeiter in der Naunynritze, hat die Inszenierung zugesagt, bevor er Zaimoglus Text kannte. Wie er der Berliner Zeitung sagte, war die erste Lektüre „ein Schock“. Gut, dass er der Sprache Zaimoglus den Raum gelassen hat – dass die cleane Inszenierung den geschossartigen Sätzen niemals in die Quere kommt. Nur so behalten die fünf sich abwechselnden Monologe ihr Irritationspotenzial: junge Frauen, die im radikalen Glauben eine Waffe gefunden haben – gegen die Langeweile, gegen das Anything goes der Europäer, gegen unterwürfige „Pornonutten“, gegen den Machismo und gegen bigotte muslimische Männer. Das muss man dann erst mal schlucken: Der Islam wird in „Schwarze Jungfrauen“ zum Instrument weiblicher Selbstbestimmtheit, vor allem der sexuellen.
Es bleibt unentscheidbar, ob die jungen Frauen, wenn sie Sätze sagen wie „Es lebe der Gottesstaat!“, wirklich etwas anderes meinen als „Ich will tanzen, ich will ficken“ – mit mehr oder weniger sublimierten Sehnsuchtsvorstellungen. Zum Glück. Denn so werkelt das Stück weder an einem neuen Bedrohungsszenario noch an bagatellisierender Erklärerei. Es lässt den Frauen einfach nur ihr Selbstbild: straight, artikuliert, gebildet, vital, selbstbewusst – und gefährlich. Vor diesen Jungfrauen soll man ruhig ein bisschen Angst haben.
„Schwarze Jungfrauen“: 20., 22.–25. und 27./28. 3., 20 Uhr im HAU 3