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Archiv-Artikel

Abseits im Diesseits

MAERZMUSIK Zum Ende des Festivals ging es ins Jenseits: Das „Wüstenbuch“ des Komponisten Beat Furrer, inszeniert von Christoph Marthaler. Die Inspiration lieferte der Ägyptologe Jan Assmann

Durch das patinierte Niemandsland irren Frauen in hochhackigen Schuhen

VON TIM CASPAR BOEHME

Die Szenerie ist angemessen trist. Eine leicht verwaschene Hausfassade, die schon mal bessere Tage gesehen hat, ragt bedrohlich in den Publikumsraum. Am vorderen Bühnenrand sitzen die Musiker, wie die Schauspieler in 50er-Jahre-Kostüme gesteckt, die Männer tragen Hornbrille, die Frauen Trenchcoat. Das kantig abweisende Gebäude in ihrem Rücken erstreckt sich über zwei Etagen, oben blickt man in anonyme Hotelzimmer, unten in einen verschmuddelten Proben- oder Warteraum mit phänomenal zerschlissenem Sofa. Auch wenn man diesen Orten ansieht, dass sie viel benutzt wurden, wirken sie unbewohnt.

Heimeligkeit kommt in Beat Furrers Musiktheater „Wüstenbuch“, das am Samstag unter seiner Leitung im Rahmen von MaerzMusik an der Schaubühne am Lehniner Platz seine deutsche Premiere feierte, nirgends auf. Durch das patinierte Niemandsland auf der Bühne irren Frauen in hochhackigen Schuhen, verharren unschlüssig im Raum oder verrenken sich auf diversen Sitzgelegenheiten zu absurden Positionen. Die Inszenierung trägt die typische Handschrift Christoph Marthalers, der in seinen Arbeiten Wiederholung vor Erzählung stellt und eher Stillstand als Entwicklung vorantreibt. Mit Marthaler hat Furrer den kongenialen Partner für seine Meditation über das Fremde, die Ortlosigkeit und den Tod gewählt. Sein narrationsfreies Theater gibt auch in der Musik keine eindeutige Bewegung zu erkennen und liefert mit seiner Wüstenmetapher das passende Bild zum programmatischen Titel „Utopie (verloren)“ der neunten Ausgabe von MaerzMusik.

Libretto als Collage

Furrer ließ sich für das „Wüstenbuch“ von dem Ägyptologen Jan Assmann inspirieren. Dieser hatte in der Studie „Tod und Jenseits im alten Ägypten“ einige altägyptische Texte zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt und Kontakt zu dem Komponisten aufgenommen. Furrer war begeistert, entschied sich aber gegen eine Dramatisierung der antiken Vorlagen und erarbeitete mit dem Schriftsteller Händl Klaus ein Libretto in Collagenform. Neben Klaus’ eigenen Texten, Auszügen aus Ingeborg Bachmanns „Todesarten“-Projekt oder Lukrez’ „De rerum naturata“ ist auch eine Passage aus dem ägyptischen „Papyrus Berlin 3024“ in der Übertragung Assmanns zu hören. Der Ägyptologe war bei der Berliner Premiere zugegen.

In Furrers Musiktheater laufen Text und Musik selten miteinander, es sind vielmehr parallele Ereignisse, die auch in Konkurrenz zueinander treten können. Einzelne Abschnitte werden klar deklamiert, die Musik beschränkt sich in diesen Momenten auf leiseste Akzente. An anderer Stelle und durchaus häufig überlagert die Musik die Worte oder sie werden so rasch durcheinandergesprochen, dass sie sich auf die bloße Anwesenheit von Sprache beschränken. Nicht so beim „Papyrus Berlin 3024“.

Der Auszug, den Furrer für das Libretto wählte, beginnt mit dem klar vernehmlichen Satz „Der Tod steht heute vor mir“. Es sind die Worte eines Sterbenden, der sich im Dialog mit seiner Seele zunächst von dieser entfernt und wieder versöhnt mit seinem „Ba“, dem Jenseits, gelassen und freudig entgegenblickt. Sein nahendes Ende erscheint dem Erzähler wie der Duft von Myrrhen oder Lotusblüten. Der Schauspieler Ueli Jäggi spricht die Verse mit leicht schweizerischem Zungenschlag, was etwas komisch wirkt, zugleich jedoch verhindert, dass die Worte mit dramatischem Pathos aufgeladen werden. Überhaupt erhalten Fremde und Tod in Marthalers Gestaltung etwas Beiläufiges. Sein Jenseits kommt als Abseits im Diesseits daher, als eine Wüste aus Steinen und Stubenstaub, durch die er seine namenlosen Protagonisten schickt.

Die Spannung entsteht in der Musik, die von zart flirrenden Klangfarben bis zu schrillen perkussiven Attacken reicht. Es ist, als wolle Furrer mit seinen schroffen Ausbrüchen die Fremde selbst zum Sujet der Musik machen. Die Musiker hingegen leisten einen bescheideneren Beitrag zur Inszenierung des Jenseits: Wenn sie nichts zu spielen haben, stellen sie sich schlafend.

Zu den schönsten musikalischen Momenten gehört ein Duett der beiden Sopranistinnen, auf die zwei äußeren Hotelzimmer verteilt. Aus ihrem Wechselgesang mit kurzen Staccato-Tönen bildet sich ein flatterndes Echo, zu denen die Flöten und Violinen kaum hörbare Töne spielen, bis sich Gesang und Musik immer bedrohlicher steigern. Wovon sie singen, kann man beim besten Willen nicht verstehen. Doch selbst wenn sie bloß sinnlose Laute singen würden, täte dies der spröden Poesie von Furrers Musik nicht den geringsten Abbruch.