Der Wadenbeißer von der Waterkant

Ob Einwanderungstest oder Tarifverhandlungen: Ralf Stegner, SPD-Innenminister in Schleswig-Holstein, geht auf Distanz zu seinem Koalitionspartner CDU. Die wirft ihm Ehrgeiz vor. Stegner selbst sucht längst Applaus auf bundespolitischen Bühnen

von Esther Geißlinger

„Wir werden in der großen Koalition nicht der brave Juniorpartner, sondern müssen das politische Gegengewicht sein“, erklärte Ralf Stegner im Mai 2005. „Notfalls um den Preis eines Koalitionskrachs.“ Da wurde der Sozialdemokrat gerade Innenminister der neuen Koalition mit der CDU in Schleswig-Holstein. Ein Jahr später hält Stegner Wort. Es knirscht es im schwarz-roten Gebälk.

„Schleswig-Holstein wird zu Einbürgerungstests niemals die Hand heben“, verkündet Stegner – und brüskiert damit Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Der hält einen Test für gut, nur über die Form – den Fragebogen etwa – müsse diskutiert werden. Stegner findet den Test schlicht töricht. Der Union wirft er vor, sie wolle „am rechten Rand Ressentiments gegen Ausländer abgreifen und ins eigene Lager umlenken“.

Klare Worte – und nicht zum ersten Mal in diesen Tagen. Ralf Stegner, der gern im eleganten Dreiteiler und mit Fliege auftritt, wurde schlagartig bundesweit bekannt, als er sich im laufenden Tarifkonflikt gegen den Verhandlungsführer Hartmut Möllring (CDU) aus Niedersachsen stellte. Stegner schlug ein Schlichtungsverfahren vor, Möllring warf ihm vor, er sei illoyal. Und nannte einen Grund: Stegner sei „jung und ehrgeizig“, es gehe ihm nicht um die Sache, sondern darum, SPD-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein zu werden.

Der CDU in Kiel war Stegner von Anfang an ein Dorn im Auge. Seiner Regierung solle Stegner nicht angehören, hatte Carstensen sich vor einem Jahr gewünscht – nach dem Sturz von Heide Simonis, der Schwarz und Rot in Koalitionsverhandlungen zwang, weil andere Mehrheiten in Kiel nicht zu beschaffen waren. Dass Carstensen sich gegen Stegner, einen erklärten Gegner einer großen Koalition, und für den früheren SPD-Minister Bernd Rohwer aussprach, trug ihm Unwillen ein: Über Inhalte darf gestritten werden, Personalfragen entscheidet in einer Koalition jede Partei für sich. So rückte Stegner doch in die neue Regierung ein. Er wechselte nur den Amtsbereich: Unter Heide Simonis war er für die Finanzen zuständig, unter Carstensen übernahm er das Innenressort.

46 Jahre ist Ralf Stegner, also im besten Politikeralter. Bisher lief seine Karriere bilderbuchmäßig ab: Er studierte in Freiburg und an der University of Oregon Politik, Geschichte und Deutsch, war Stipendiat in Havard, erlangte einen Doktortitel in Hamburg. Der SPD gehört er seit 1982 an, war auf der Kreisebene aktiv. 1990, direkt im Anschluss an die Habilitation, wechselte er ins Arbeits- und Sozialministerium in Schleswig- Holstein, wurde Staatssekretär in verschiedenen Ministerien, später Finanzminister – der Posten, den Heide Simonis inne hatte, bevor sie zur Ministerpräsidentin aufstieg.

Er galt als ihr Kronprinz, und hätte der „Heide-Mörder“ vor einem Jahr nicht zugeschlagen, Stegner hätte Simonis vielleicht in der laufenden Regierungsperiode beerben können. Das macht das Gerücht sehr unwahrscheinlich, er sei derjenige gewesen, der Simonis durch Stimmenthaltung aus dem Amt kippte. Wenn der Kronprinz die Königinmutter abgelöst hätte, wäre das die beste aller Lösungen gewesen: Denn Stegner, der messerscharfe Denker und bissige Redner, kann vieles. Aber eines kann der amtierende Ministerpräsident Carstensen besser: Wahlkämpfen, Bierzelte zum Toben bringen, Massen mitreißen.

Als der neue Innenminister sich im vergangenen Jahr bei der Polizei vorstellte, sei das abgegangen wie auf einem Kasernenhof, erzählt einer, der dabei war: Zwei, drei Sätze, dann die Aufforderung, wieder an die Arbeit zu gehen. Fehlte nur, dass Stegner, ehemaliger Wehrdienstleistender, die Truppe zum Wegtreten aufgefordert hätte. Dass Stegner Witze erzählen kann, mag kaum einer glauben. Kann er aber. Nur: Wie sagt er das seiner Partei?

Dem Mann mit dem Bürstenhaarschnitt fehlt die Gabe der Volkstümlichkeit. Könnte sein, dass er sogar ein bisschen stolz darauf ist, aber es erschwert einiges. Denn die SPD im Norden muss auf Kurs gebracht werden, damit sie in der Koalition mit der CDU nicht untergeht. „Die SPD braucht sehr schnell ein Gesicht“, sagte ein Abgeordneter dem Flensburger Tageblatt, das nach dem Sturz von Simonis spekulierte, wer die Führungsrolle unter den „Halbwaisen“ übernehmen könnte. Eine Antwort lautet: Ralf Stegner. Und der sucht sich heute Bühnen, auf denen er Beifall ernten kann – die sonntäglichen Runden bei Sabine Christiansen gehören dazu. Und klare Aussagen zu bundespolitischen Themen. Denn falls es in Kiel zu eng wird, wartet vielleicht Berlin.