AMERICAN PIE
Im Schatten des großen Bruders

Im College-Eishockey wird versucht, Erfolgsrezepte aus dem Basketball zu imitieren

Im März bricht in den USA der Wahnsinn aus. Das liegt daran, dass die Universitäten ihren Basketball-Meister ermitteln und ein ganzes Land andächtig die Spiele des K.-o.-Turniers verfolgt, wie verrückt Wetten abschließt und gern mal die Arbeit liegen lässt. Jenseits dieser „March Madness“ aber laufen auch die Endrunden anderer Sportarten. Aber weder Bowlerinnen, Schwimmer oder Turnerinnen, noch Fechter, Ringer oder Schützen, die allesamt dieser Tage ihre College-Champions suchen oder schon gefunden haben, können mit dem die Nation bewegenden Basketball konkurrieren.

Vergleichsweise viel Aufmerksamkeit erhalten nur noch die Eishockey spielenden Studenten. Dieses Interesse allerdings kommt vorzugsweise von Puristen dieses Sports: Hier nämlich ist die schnellste Mannschaftssportart der Welt noch in der Klimazone zu Hause, für die sie erfunden wurde. Während die Profis von der NHL mit aller Macht versuchen, den Sonnengürtel der USA zu erobern, längst in Florida und Kalifornien unter Palmen der Puck gejagt wird und selbst in der Country-Hochburg Nashville ein NHL-Team vor sich hindümpelt, spielen beim alljährlichen Uni-Turnier vor allem Teams, die in den nördlichen Staaten der USA beheimatet sind, an der Grenze zu Kanada, dem Mutterland des Eishockeys.

In den ersten beiden Runden, die am vergangenen Wochenende ausgespielt wurden, traten die Mannschaften solcher eher weniger bekannter Lehranstalten wie der University of Alaska Fairbanks oder der am Lake Bemidji in Michigan gelegenen Bemidji State University an, allesamt aus Gegenden, in denen um diese Jahreszeit noch ein herzhafter Nordwind um die Eishockeyhallen pfeift. Eine klimatische Ausnahme aber gibt es: Die University of Alabama in Huntsville ist das einzige College in der höchsten Spielklasse, das südlich der Mason-Dixon-Linie liegt, die im Bürgerkrieg die rebellierenden Sklavenstaaten des Südens von den Nordstaaten trennte. Alabama-Huntsville schied denn auch verdientermaßen in der ersten Runde gegen die Miami University aus. Auch die ist nicht etwa, wie der Name vermuten lassen würde, im sonnigen Florida ansässig, sondern in einem Städtchen namens Oxford im ziemlich kalten Ohio.

Ein wenig von der Aufmerksamkeit und nicht zuletzt von den Millionen Dollars, die der Basketball alljährlich für die beteiligten Universitäten generiert, hätten natürlich gern auch die Eishockey-Cracks. Im Kampf um TV-Quoten hat man allerdings mit einem großen Nachteil zu kämpfen: Die talentiertesten Nachwuchshoffnungen sind im universitätsfähigen Alter längst von Profiklubs verpflichtet und spielen in einem NHL-Mannschaft oder deren Farm-Teams. Das allerdings ist ein weiteres Argument für Traditionalisten: Während im College-Basketball manch eigensinniger Jungstar sich zu profilieren versucht, um einen Profivertrag zu ergattern, spielen beim Frozen Four meistens noch lupenreine Amateure um kaum mehr als die Ehre.

Trotzdem wird versucht, Erfolgsrezepte aus dem Basketball zu imitieren. Vor elf Jahren wurde das dem „Final Four“ im Basketball nachempfundene Endturnier der besten vier Teams aus Marketinggründen mit dem markanten Namen „Frozen Four“ versehen. Ebenfalls nach dem Vorbild der großen Brüder vom Basketball präsentiert sich das Highlight der College-Eishockey-Saison nicht mehr in einer schnuckeligen Hochschulsportstätte, sondern in den größten Hallen. Das diesjährige Frozen Four findet ab Donnerstag kommender Woche im Ford Field von Detroit statt, einem gewaltigen Dome, in dem gewöhnlich die Footballprofis von den Detroit Lions vor 70.000 Zuschauern spielen.

Für die vier qualifizierten Mannschaften vom Boston College, der University of Wisconsin, dem Rochester Institute of Technology und aus dem falschen Miami wird die Kapazität allerdings auf 36.000 verringert. Trotzdem wird mit einem neuen Zuschauerrekord für ein Frozen Four gerechnet: Die bisherige Bestmarke stammt aus dem Jahre 2007, als 19.432 zusahen, wie Michigan State 3:1 Boston College besiegte.

In zwei Jahren wagt die NCAA, die den Uni-Sport in den USA organisiert, sogar den Schritt gen Süden. 2012 soll das Frozen Four garantiert schneefrei stattfinden. Spielort ist dann Tampa im von Rentnern bevölkerten Florida. Das wirft allerdings die Frage auf, ob ein solcher Versuch, das von Traditionalisten geschätzte Produkt College-Eishockey im sonnigen Süden des Landes zu etablieren, nicht die falsche Strategie ist. THOMAS WINKLER