: Muslime unter Generalverdacht
Hamburger Senat beschließt behördenübergreifendes Maßnahmenbündel zur Abwehr islamistisch motivierter Gewalttaten. Opposition rügt „unverantwortliche“ Gleichsetzung von Islamismus und Terrorismus durch Innensenator Udo Nagel
Von MARCO CARINI
Hamburg rüstet auf im Kampf gegen den „islamistischen Terrorismus“. Informationen über Muslime und deren Aktivitäten, die einzelnen Ämtern vorliegen, sollen in Zukunft besser vernetzt, Anhänger des Islam stärker kontrolliert werden. Ein entsprechendes „ganzheitliches“ und „behördenübergreifendes“ Konzept beschloss gestern auf Initiative von Innensenator Udo Nagel (parteilos) der Senat.
Das Sicherheitskonzept sieht vor, dass künftig alle Sozialämter, Meldebehörden, Finanzbeamte und Stadtplaner enger mit der Polizei und dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten müssen, um ein lückenloses Kontrollsystem aufzubauen.
So sollen etwa Sozialamtsmitarbeiter ihre muslimischen „Kunden“ genauer unter die Lupe nehmen, um dann „Verdachtsfälle an die Ausländerbehörde“ zu melden. „Die Radikalisierung geht oft mit einem Wandel der Persönlichkeitsstruktur einher“, weiß Nagel: „Die Menschen verändern sich, sprechen und kleiden sich anders.“ Diese Entwicklungen gelte es nun bereits im Sozialamt zu erkennen.
Daneben soll die Stadtentwicklungsbehörde Polizei und Verfassungsschutz über beabsichtigte Baumaßnahmen islamistischer Organisationen informieren. Einwohnerämter müssen erst einmal den Aufenthaltsstatus von Ausländern überprüfen, bevor sie Meldebestätigungen ausstellen. Die Finanzämter dürfen islamistischen Vereinen nicht mehr die Gemeinnützigkeit bescheinigen, bevor sie sich mit dem Verfassungsschutz ins Benehmen gesetzt haben. Zudem sollen Muslime, die etwa im Bereich der Gas- und Wasserversorgung oder im öffentlichen Nahverkehr arbeiten wollen, künftig zuvor auf Herz und Nieren durchleuchtet werden.
Das Konzept geht auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz zurück, nachdem „staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Institutionen“ im „Antiterrorkampf“ besser vernetzt werden sollen. Mit dem „ganzheitlichen“ Hamburger Paket liege die Hansestadt jetzt bei der Umsetzung dieser Vorgaben, so Nagel, „zusammen mit Bayern“ ganz vorn. Der „islamistische Terrorismus“ bleibe die zentrale Bedrohung für die Sicherheit weltweit. Auch wenn es gegenwärtig keine Hinweise auf konkret geplante Anschläge gebe, bleibe Hamburg „Teil eines weltweiten Gefahrenraums“.
Dabei betont der Innensenator: „Wir wollen Muslime nicht unter Generalverdacht stellen“. Das sei ihm „ganz wichtig“. Dagegen warnte der Bremer Rechtsanwalt und Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“, Rolf Gössner, bei früherer Gelegenheit davor, dass Muslime durch solche Maßnahmen sehr wohl „unter Generalverdacht gestellt, zu Sicherheitsrisiken erklärt und einem noch rigideren Überwachungssystem unterworfen“ werden. Gössner betont, dass die Muslime in Deutschland schon heute und ohne zusätzliche Maßnahmen, „zu der am intensivsten überwachten Bevölkerungsgruppe“ gehören würden.
Der Hamburger SPD-Innenexperte Andreas Dressel wirft Nagel zudem, „eine unverantwortliche Stigmatisierung“ orthodoxer Moslems vor. Der Innensenator hatte bei der Präsentation des Maßnahmenbündels „Islamisten“ und „Terroristen, die auf islamistischer Basis“ agieren, gleichgesetzt und später betont, der Islamismus sei mit seinen „Methoden und Zielen eindeutig nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu vereinbaren“. „Nach Nagels Definition haben wir in Hamburg mehrere Tausend Terroristen“, empört sich Dressel.
Auch das Nagel unterstellte Landesamt für Verfassungsschutz widerspricht den Ausführungen seines Chefs vehement. Hier heißt es, „die weitaus größte Zahl von Islamisten“ distanziere „sich von Gewalt und jeglicher Form von Terrorismus“ und verfolge ihre Ziele „mit legalen Mitteln und innerhalb der bestehenden Rechtsordnung“.
Das Konzept ist ein weiterer Reflex der Innenbehörde auf das „Trauma Marienstraße“. In einer in Hamburg-Harburg liegenden Wohnung wurde der Anschlag auf das World-Trade-Center unter Federführung des „Todespiloten“ Mohammed Atta mit vorbereitet. Nach dem Anschlag baute die Hamburger Innenbehörde spezielle Dienststellen in der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes und beim Verfassungsschutz auf, die sich ausschließlich mit „islamistischem Terrorismus“ beschäftigen.
Eine groß angelegte Rasterfahndung, bei der rund 1.000 männliche Hamburger islamischen Glaubens „gerastert“ wurden, führte zwar zu keinen messbaren Erfolgen, brachte aber Einzelne, ins Fadenkreuz der Behörden geratene Muslime um Wohnung oder Arbeitsplatz. Zudem richtete die Hansestadt im vergangenen Jahr eine zentrale „Anti-Terror-Koordination“ ein, bei der alle sicherheitsrelevanten Informationen zusammenlaufen sollen. Mit dem neuen Konzept setze man nur „Maßnahmen fort, die wir bereits entwickelt hatten, um Hamburg noch sicherer zu machen“, betont Nagel.