: Der Single-Schwindel
NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann hatte jungen Arbeitslosen massenhaften Missbrauch vorgeworfen. Zahlen belegen: Die Vorwürfe sind falsch – und Christdemokrat Laumann weiß das
VON ANDREAS WYPUTTA
Nordrhein-Westfalens Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) will seine Missbrauchsvorwürfe gegen junge Arbeitslose nicht korrigieren. „Ganze Schulklassen“ würden auf Kosten der Arbeitsverwaltung von zu Hause ausziehen, hatte der Bundesvorsitzende der CDU-Sozialausschüsse im vergangenen November behauptet. Diese „Fehlentwicklungen“ der Hartz-Gesetzgebung müssten dringend korrigiert werden, forderte Laumann: „Wenn jemand 20 Jahre alt ist und kein Geld hat, kann er eben nicht zu Hause ausziehen.“ Das Problem des Ministers: Seine Missbrauchsvorwürfe werden nicht durch Zahlen gedeckt.
Denn im größten Bundesland ist die Zahl der Ein-Personen-Haushalte, die Arbeitslosengeld II beziehen, sogar gesunken. „Nach den revidierten Daten der Bundesagentur für Arbeit betrug in Nordrhein-Westfalen der Anteil von 1-Personen-Bedarfsgemeinschaften im Februar 2005 56 Prozent und im September 2005 55,8 Prozent“, schreibt Laumann in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der grünen Landtagsabgeordneten Barbara Steffens – die genaue Zahl jugendlicher Arbeitsloser, die allein leben, kann selbst die Arbeitsverwaltung bis heute nicht nennen.
Die Verschärfung der Hartz-Gesetze, im Bund von der großen Koalition aus CDU und SPD durchgesetzt, hat Nordrhein-Westfalen auf Laumanns Initiative hin dennoch unterstützt. „Dabei gab es in NRW überhaupt kein Problem“, sagt die grüne Sozialexpertin Steffens. „Jugendliche werden trotzdem gegängelt.“ Und das mit zum Teil fatalen Folgen: Zu Hause ausziehen dürfen junge Arbeitssuchende nur noch mit Sondergenehmigung der Sozialbehörden. „Junge Menschen, die sich etwa von der von Arbeitslosigkeit geprägten Geschichte ihrer Eltern lösen wollten, bleiben chancenlos“, so Steffens. „Selbst junge Frauen, die familiärer Gewalt ausgesetzt sind, müssen dies jetzt in den Arbeitsagenturen diskutieren.“
Vorsichtige Kritik kommt auch von SPD-Fraktionsvize Rainer Schmeltzer: „Laumann muss aufhören, bundespolitische Entwicklungen populistisch zu kommentieren“, sagt der sozialpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Düsseldorfer Landtag. Zur Verschärfung der Hartz-Gesetze, in Berlin besonders von SPD-Vizekanzler und Sozialminister Franz Müntefering vorangetrieben, steht aber auch Schmeltzer: „Es ist doch positiv, dass die Bundesregierung bereits reagiert hat.“
Dabei wird die Gängelung der Jugendlichen auch durch bundesweite Zahlen durch nichts gedeckt: Nach Angaben der Regionaldirektion NRW der Bundesanstalt für Arbeit ist die Zahl der Haushalte, die Arbeitslosengeld II beziehen, wegen der nochmals gestiegenen Arbeitslosigkeit in den vergangenen 12 Monaten um 13,8 Prozent gewachsen. Die Zahl der Ein-Personen-Haushalte dagegen ist in Westdeutschland nur um 13,5, in Ostdeutschland um 14,4 Prozent geklettert.
CDU und SPD betrieben eine „Politik der Realitätsverweigerung“, kritisiert deshalb Thomas Münch, Arbeitsmarktforscher der Fachhochschule Düsseldorf. „Das Motto führender Politiker lautet: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“