Protokoll eines Flurschadens

Durch die „Protokoll-Affäre“ schlittert der Hamburger Senat in seine erste ernste Krise. Ermittlungen gegen Behördenmitarbeiter, Entlassungen und Versetzungen im Regierungsapparat prägen das Bild

von MARCO CARINI

Es geht nur noch um Schadensbegrenzung. Mit einem Staatsratswechsel samt Neuordnung des Zuschnitts zweier Behörden bemühte sich Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gestern verzweifelt, den politischen Flurschaden einzudämmen, den die so genannte Protokoll-Affäre ausgelöst hat. Gesundheitsstaatsrat Dietrich Wersich (CDU) wird den am Montag in den einstweiligen Ruhestand versetzten Sozialstaatsrat Klaus Meister (SPD) im Amt beerben. Das bisher der Wissenschaftsbehörde unterstellte Gesundheitsressort wird zudem mit Wersich in die Sozialbehörde wechseln.

Doch die Protokoll-Affäre ist damit nicht erledigt. Im Gegenteil: Nachdem Meister als Bauernopfer vom Feld genommen wurde, attackiert die rot-grüne Opposition nun zwei „Offiziere“ der schwarzen Führungsriege: Die CDU-SenatorInnen Birgit Schnieber-Jastram (Soziales) und Roger Kusch (Justiz).

Die Protokoll-Affäre hat sich längst zur Regierungskrise ausgewachsen. Erstmals in dieser Legislaturperiode stehen Ole von Beust und sein Senatsteam unter dem Dauerbeschuss der Opposition. Weil sowohl in der Sozial- wie in der Justizbehörde geheime Unterlagen aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum umstrittenen „Kinderknast“ in der Feuerbergstraße kursierten, wird mittlerweile gegen 19 BehördenmitarbeiterInnen straf- oder disziplinarrechtlich ermittelt. Die Protokolle der Ausschusssitzungen unterliegen denselben Geheimhaltungsvorschriften wie offizielle Mitschriften von Strafverfahren und dürfen nur den PUA-Mitgliedern, nicht aber den Behörden zugänglich gemacht werden.

Zu den Beamten, gegen die von der Senatskanzlei mittlerweile wegen der Aktenweitergabe Anzeigen vorbereitet werden, gehören mit der persönlichen Referentin Schnieber-Jastrams und der Leiterin der Präsidialabteilung der Sozialbehörde die beiden engsten Mitarbeiterinnen der Senatorin. Beiden droht nun die Versetzung. Schnieber-Jastram könnte damit ihre gesamte Kommandobrücke verlieren. Die Sozialsenatorin selbst rettet nur ihre angebliche Ahnungslosigkeit vor der Entlassung: Ausgerechnet sie will nichts davon gewusst haben, dass die PUA-Protokolle über die Tische und Monitore ihres gesamten Führungsstabes gegangen sind.

Für den Hamburger Chef der Jungsozialisten, Philipp-Sebastian Kühn, ist bereits klar, dass Schnieber-Jastram „die Übersicht und Kontrolle über ihre Behörde verloren“ hat. Da die „Senatorin Ahnungslos“ (Bild) die politische Verantwortung für die Vorfälle in ihrem Amt trage und zudem zur Aufklärung bislang nichts beitrug, verlangt die rot-grüne Opposition vehement die Entlassung Schnieber-Jastrams.

Auch die Ablösung von Roger Kusch steht im Forderungskatalog der Opposition. Der Justizsenator ist ohnehin wegen mehrfacher politischer Alleingänge vor wenigen Wochen von seinem früheren Studienfreund von Beust zusammengefaltet und letztmalig verwarnt worden. Kusch hat unlängst eingeräumt, dass PUA-Protokolle widerrechtlich an seine Behörde gelangt waren – mit seinem Wissen.

GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch warf Bürgermeister von Beust gestern vor, er schrecke „immer noch vor den notwendigen Entlassungen zurück“. Kusch sei „überfällig“, Schnieber-Jastram „vollständig verzichtbar“. Dass die „Unfähigkeit und Überforderung der Sozialsenatorin“ statt zu ihrem Abgang jetzt zur Übernahme des Gesundheitsressorts und damit zu mehr Kompetenzen führe, sei „kaum zu glauben“.