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Archiv-Artikel

Im Norden bleibt der Himmel leer

GOTTLOS GLÜCKLICH Viele Redaktionen haben eine Heidenangst vor Atheisten. Deshalb ist das breite Spektrum laizistischer Organisationen so unbekannt wie deren Ziele: Das Ende überkommener Privilegien, historische Gerechtigkeit und die Freiheit von Dogmen

Ausgerechnet Hildesheim – katholischer Bischofssitz, keine 100.000 Einwohner, sonntags läuten die Glocken, bis die Ohren bluten. Und hier hat also der Landesverband Niedersachsen/Bremen des IBKA seinen Sitz, seit der Gründung 2006. IBKA heißt Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten, und „das ist hier ein hartes Pflaster für uns“, räumt der Landesvorsitzende Hans-Jürgen Rosin ein: „Wir werden geschnitten.“

Heißt: Veranstaltungsankündigungen, Hinweise auf Diskussionsrunden – so was fällt in der Hildesheimer Allgemeinen seltsam häufig untern Tisch. Bischof Norbert Trelle dagegen muss nur mal das Weihrauchfässchen linksherum schlenkern oder einen Schweinebraten anschneiden, schwupps!, steht er in der Zeitung. Unfair. „Aber letztlich“, sagt Rosin, „ist das überall so.“

Also verpuffen selbst plakative Aktionen oft ungehört – wie etwa, anlässlich der 850-Jahr-Feier des Klosters Loccum, die Erinnerung an die Hinrichtung vermeintlicher Hexen und Hexer: Mindestens 33 Menschen wurden im Bereich des Klosters zwischen 1581 und 1661 unter diesem Vorwand hingerichtet. „Bisher sind die Opfer nicht rehabilitiert“, hat Rosin dem lutherischen Landesbischof Ralf Meister geschrieben und ihn aufgefordert, öffentlich Buße zu tun. Tatsächlich fiele das in dessen Kompetenz, obwohl ja nach der kaiserlichen Rechtsordnung gefoltert wurde: Die Kloster-Chefs waren im Gebiet auch weltliche Machthaber.

Von Meisters Kanzlei „gab’s einen netten Brief“, sagt Rosin, mit Hinweisen auf eine Diskussionsveranstaltung im Festprogramm. „Dabei ist doch klar, dass die unschuldig waren“, so Rosin. „Da gibt’s doch nichts zu diskutieren.“ Naja, vielleicht schon, aber das wenigstens hätten die Medien ja machen können. Aber nichts da. Rosin will die Sache trotzdem weiterverfolgen, verspricht er.

Das ist eine symptomatische Erfahrung: Viele JournalistInnen haben, scheint’s, eine Heidenangst vor Atheisten. Also bekommt, wer ein laizistisches Anliegen hat, keine Presse, egal wo. Zum Beispiel Horst Isola, eine in Bremen prominente Figur: Der 74-Jährige war mal Landesvorsitzender der SPD. Er war Senatsrat, war Abgeordneter, spielt bundespolitisch mit – eine Stimme von Belang.

Wenn Isola aber Pläne kritisiert, den örtlichen Dom für ein Unesco-Siegel zu nominieren, bleibt das ungedruckt. Dabei soll das Siegel den Bremer Dom als wichtigen Ausgangspunkt der Christianisierung Nordeuropas würdigen. Und Isola hatte daran erinnern wollen, dass diese gerade in der Region durch grausame Ereignisse geprägt ist – angefangen mit dem Verdener Blutgericht, also der Ermordung von 4.500 taufunwilligen Sachsen durch den Karolinger-König Karl. „Bei der Beantragung eines Europäischen Kulturerbesiegels sollte der historische Hintergrund nicht ausgeblendet werden“, hatte der Politiker in einem Leserbrief an den Weser-Kurier angemerkt. „Andernfalls läuft die Aktion auf Geschichtsklitterung hinaus.“ Zu lang, beschied ihm die Chefredakteurin. Kann nicht erscheinen.

Fast 35 Prozent der Bevölkerung sind konfessionsfrei. Katholisch und evangelisch sind jeweils unter 30 Prozent, und von denen gehen keine zehn Prozent in die Kirche: Macht also knapp sechs Prozent Gläubige. Deren Zahlen sinken weiter – aber nicht in den gesellschaftlich relevanten Gremien. Und immens ist der Einfluss der Gläubigen in den Parteien: Die CDU, klar, wegen des C, ist logisch. Aber auch die Grünen-Spitzen sind oft nebenher noch EKD-Synodale. Und einen offiziellen laizistischen Arbeitskreis haben Isola und Co. in ihrer Partei bislang nicht gründen dürfen. Den der ChristInnen in der SPD gibt’s schon seit 2007. „Wenn ich mit zusehen muss“, sagt Rosin, „wie der Bundestag aus Glaubensdogmen heraus über Sterbehilfe oder Präimplantationsdiagnostik entscheidet, ärgert mich das.“ Schließlich „bestimmen die, wie wir leben.“ Findet er undemokratisch. Will er sich nicht gefallen lassen.

Das ist im Kern die Antwort, wozu es so etwas gibt, wie einen Atheisten-Verband: um diese Vormacht zu brechen. Denn Gott ist Atheisten egal. „Eine Glatze ist keine Haarfarbe“, sagt Rosin. Und der IBKA vertritt ja keine Weltanschauung – anders, als etwa der Humanistische Verband Deutschlands: Der ist in Niedersachsen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt, mit Staatsvertrag ausgestattet und hat dadurch sogar Sendezeit auf NDR-Kultur ergattert, ein eigenes Format, sonntags – zu unchristlicher Zeit: um 7.15 Uhr.

In Hannover hat der HVD fast 1.000 Mitglieder. In Bremen aber, wo man sich gerne weltoffen und ach, sehr liberal gibt, hält man solche Bewegungen mit Schikanen klein. So ist das über fast ein Jahrzehnt betriebene Projekt einer Humanisten-Schule „mittlerweile gestorben“, sagt die Bremer HVD-Vorsitzende Ursel Leitzow, „nachdem wir in zweiter Instanz verloren haben“. Katholiken, Protestanten und kreationistisch-verdrehte Evangelikale – alle dürfen in Bremen ran an die Kinder. Vom Humanismus als Weltanschauung will der Senat aber nichts hören. Vielleicht weil die so undogmatisch daherkommt, als „das Bild eines aufgeklärten Menschen“, wie Leitzow sagt. „Einer, der sein Handeln selbständig und stets neu befragt.“

Für den veranstaltet man säkularisierte Namens-, Ehe-, Trauer- und Jugendfeiern, „früher hieß das Jugendweihe“, klang aber zu sehr nach DDR. „Menschen brauchen solche Rituale“, sagt sie: Sie dienen zur Besinnung – um sich zu fragen, was wirklich wichtig ist im Leben. Bis in die ’70er waren das fast exklusiv Veranstaltungen der Arbeiterbewegung. „Das hat sich komplett gewandelt“, so Leitzow. Heute treffen sich hier eher die Söhne und Töchter der Bildungseliten – die früher zur Konfirmation geschickt wurden, ob sie dran glaubten oder nicht.

Auch Hans-Jürgen Rosin hatte schon damals keinen Sinn für die Gott-Idee. War evangelisch. Ist kurz nach der Konfirmation raus aus der Kirche. Hat sich dann jahrelang gar nicht gekümmert. Es ist im auch weiterhin egal, wenn andere was glauben. Sollen sie doch – bloß ohne Glockengeläut. Und ertragen, dass Glaubensgemeinschaften die Kinder an den Schulen indoktrinieren, dass sie als Arbeitgeber einen Sonderstatus haben, dass ganze Fakultäten, Bischöfe und Militärpfarrer staatlich bezahlt werden – darauf hat er keine Lust. Ziel und Antrieb der Verbandsarbeit ist es, solche Vorrechte abzuschaffen, „die mit gesellschaftlicher Wirklichkeit nichts zu tun haben“.

Manchmal gebe es deshalb Schwierigkeiten mit Neulingen, „die kommen dann und fragen: Was habt ihr denn statt Gottesdienst im Programm“. Denen müsse man dann erklären, dass der Verband letztlich an seiner eigenen Auflösung arbeitet, was aber immerhin ein erreichbareres Ziel scheint, als Himmel, Ewigkeit und Paradies.

BENNO SCHIRRMEISTER