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Archiv-Artikel

Mieter unter Druck

VERDRÄNGUNG Um ihre alten Mieter loszuwerden, lassen sich Hausbesitzer so einiges an Drohgebärden einfallen. Der ganz alltägliche Entmietungswahnsinn auf einem überhitzten Immobilienmarkt

Entmietungen, Milieuschutz

■ Entmietungen: Die Nachfrage nach Immobilien in Berlin ist hoch, dementsprechend teuer werden sie verkauft und die Zahl von Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen steigt. 2011 waren es rund 4.740, im Jahr 2012 schon mehr als 7.260.

■ Milieuschutz: Gemeinden in Deutschland können in einzelnen Gebieten baurechtliche Erhaltungssatzungen erlassen, um die städtebauliche Eigenart eines Gebiets und die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen. Die Verwaltungen können dann jede Modernisierung genehmigungspflichtig machen. Allein in Pankow gibt es elf Erhaltungsgebiete, in Friedrichshain-Kreuzberg acht. Auch der Bezirk Tempelhof-Schöneberg will für zwei Gebiete in Schöneberg eine soziale Erhaltungssatzung erlassen, hieß es am Mittwoch.

■ Mietrechtreform: Am 1. Mai 2013 trat auf Bundesebene eine Reform des Mietrechts in Kraft. Dabei wird unter anderem das Mietminderungsrecht bei energetischen Modernisierungen geschwächt. Auch dürfen Mieter Modernisierungsmaßnahmen nur noch ablehnen, wenn sie sich auf Härtegründe wie etwa niedriges Einkommen berufen.

■ Umwandlungsverordnung: Bausenator Michael Müller (SPD) erarbeitet derzeit eine Senatsvorlage für eine Umwandlungsverordnung, nach der die Bezirke die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindern könnten. Bislang lehnt die CDU eine Umwandlungsverordnung ab. Trotzdem hat der Senat am 13. August beschlossen, die Schutzfrist gegen Eigenbedarfskündigungen ab 1. Oktober von sieben auf zehn Jahre zu erhöhen.

VON SUSANNE MESSMER

Schon der Weg zu Frank Kallinowski entpuppt sich als Herausforderung. „Baustelle betreten verboten, Eltern haften für Kinder“, so das erste Schild am ersten Zugang zum Haus. „Kein Durchgang für Mieter“ steht auf einem zweiten Schild am zweiten Zugang.

Der Innenhof des Hauses am Stuttgarter Platz 2 in Charlottenburg wird von einem monströsen Betonsockel eines Krans ausgefüllt. Rein ins Haus und raus gelangen die Mieter über einen leeren Laden. Er strotzt vor Dreck. Überall Essenreste und menschlicher Kot. Auch weiter oben werden die Wohnungen entkernt, es gibt keine Fenster, keine Türen und Fußböden mehr. Der Baulärm ist ohrenbetäubend.

Kurz bevor die ersten Zweifel aufkommen, ob hier überhaupt noch ein Mensch wohnen kann, öffnet ein lächelnder Frank Kallinowski die Tür zu seiner verstaubten Einzimmerwohnung mit Blick auf Baugerüst und Kran.

Kallinowski, von Beruf Schauspieler, strahlt eine geradezu buddhistische Gelassenheit aus. Er und seine fünf Mitstreiter sind die letzten Verbliebenen. Sie haben sich bislang nicht aus dem Mietshaus mit den über 20 Parteien vergraulen lassen. Seit Herbst vergangenen Jahres lebt Kallinowski in diesem Chaos. Er hat, sagt er, weder Abfindung noch Umsetzwohnung angeboten bekommen – auch wenn dies ein Sprecher der Hausbesitzer, der Stuttgarter Platz 2 GbR, dementiert und den Umgang mit Herrn Kallinowski als „grundsätzlich nicht einfach“ bezeichnet. Nach Einführung eines neuen Mietrechts im Mai wird Kallinowski die langwierige Modernisierung der Wohnung mindestens teilweise dulden müssen. Könnte gut sein, dass sich seine Miete danach fast verdoppelt.

Frank Kallinowski hat den Mut, dem ganz alltäglichen Entmietungswahnsinn in Berlin die Stirn zu bieten. Seine Situation hat er in einem humorvollen Blog und in einem Film verarbeitet. „Ich will hier wohnen bleiben“, sagt der 49-Jährige mit dem ironischen Lächeln, der den Rücken stets ganz gerade hält.

„Herr Kallinowski ist eine große Ausnahme“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. „Die meisten gehen nämlich schon nach der ersten Modernisierungsankündigung, ohne Abfindung und trotz der Anspannung auf dem Wohnungsmarkt“, berichtet er. Die Mieter fürchten den Kampf, der besonders bei Modernisierungen unübersichtlich ist, hart und zermürbend. Der aber nichtsdestotrotz gekämpft werden muss.

Denn der Wohnungsmarkt in Berlin ist überhitzt. Es gibt genug Interessenten, die bereit sind, viel Geld für Immobilien hinzublättern. Altmieter stören da erheblich. Wer sie rauskriegt, kann eine Wohnung deutlich teurer neu vermieten. Oder besser verkaufen – und dabei satte Gewinne einstreichen. Dementsprechend steigt die Zahl der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen rapide: 2011 waren es rund 4.740, ein Jahr später schon mehr als 7.260.

Man kann davon ausgehen, meint auch Reiner Wild, dass sich die Lage weiter verschlimmern wird. „Der Druck steigt“, sagt er – und es gilt dem standzuhalten. Man muss sich wehren.

Rabiate Methoden

Jedoch ist das mit dem Wehren oft leichter gesagt als getan. Auch Wild bestätigt, dass die Entmietungspraktiken bei zunehmender Anspannung auf dem Markt in Berlin rabiater werden – und zwar so, wie sie zuletzt etwa im Fernsehen in Reportagen wie „Betongold“ auf Arte und „Mieten rauf, Mieter raus“ in der ARD über Entmietungen in Berlin und Hamburg gezeigt wurden. Es häufen sich Berichte über Entmietungsfirmen aus Russland und der Ukraine, die notfalls auch mal mit dem Schlagring kommen. Man erfährt von Mietern, die durch nächtliche SMS terrorisiert werden und durch Baustellen, scheinbar zufällig geplatzte Wasserrohre oder herunterkommende Zimmerdecken mürbe gemacht werden. Und von Hausbesitzern, die auf Gerüste klettern, um von außen einen Blick in die Wohnung zu werfen, oder Wasser im Hausflur ausschütten, um so den Zugang zur Wohnung zu erzwingen.

Man könnte auch sagen, dass dieser Terror ins Absurde kippt, wenn man im Innenhof der Winsstraße 59 in Prenzlauer Berg steht. Es ist dies eines der letzten Häuser, wie man sie Anfang der Neunziger noch öfter in diesem Viertel fand, das heute zu den teuersten der Stadt gehört: letztmals saniert vor dem Zweiten Weltkrieg, die Fassade nur noch eine Erinnerung an den Charme der Gründerzeit.

Vor wenigen Wochen haben die Mieter, die nicht beim Namen genannt werden wollen, eine Modernisierungsankündigung bekommen. Seit 15 Jahren wohnen sie im Schnitt im Haus. Bis heute sind aus ihnen keine Besserverdiener geworden, meinen sie. Die Modernisierungsankündigung ist eine der bizarrsten, die auch Reiner Wild vom Berliner Mieterverein je untergekommen ist.

Das Haus, teilweise noch mit Außenklos, soll energetisch saniert werden. Neue Bäder soll es nach der ersten Ankündigung allerdings keine geben. Eine Mieterin soll danach statt der bisherigen 700 mehr als 2.000 Euro Miete zahlen, ein anderer mehr als 1.000 statt 200 Euro – trotz Außenklo, das bleiben soll. Noch ist unklar, welche der Maßnahmen die Mieter werden dulden müssen und welche nicht, die Ankündigung liegt beim Anwalt. Und doch sind die Mieter guter Dinge. Nicht dass ihnen nicht auch angst und bange wäre – ein wenig lächerlich aber finden sie trotzdem, wie da versucht wird, mit ihnen umzuspringen. „Ein bisschen wie im Film“, sagt einer.

Reiner Wild vom Mieterverein vermutet: Es könnte sein, dass die Besitzer des Hauses in der Winsstraße 59, die Christmann Gruppe in der Wilmersdorfer Wielandstraße, bluffen. Möglich, dass sie auf viele Mieter gehofft haben, die schon bei dieser wilden Drohung, deren gesetzliche Zulässigkeit noch geprüft werden muss, das Weite suchen – so wie viele Mieter in Berlin. Noch vor wenigen Tagen jedenfalls ließ die Christmann Gruppe über ihre Sprecher und Anwälte verlauten, die hohen Mieten seien auch deshalb notwendig, weil in den letzten zwölf Jahren nicht erhöht worden sei. Dabei wurde unterschlagen, dass im Brief an die Mieter ausschließlich die Modernisierung auf die Miete umgelegt wird. Außerdem hieß es, auf individuelle Lösungsvorschläge seien die Mieter kaum eingegangen.

Als wenig später die B.Z. und der Kurier über die neuen Dreistigkeiten der Vermieter berichteten, brachte noch am gleichen Abend ein Bote einen vier Tage zurückdatierten Brief an die Mieter. Das Schreiben der Hausverwaltung Immofinanz Management versucht plötzlich Beschwichtigung. Es werden jene individuellen Lösungsvorschläge unterbreitet, die laut Mieter bislang nicht stattgefunden hatten. Man möchte auf einmal wissen: „Kommen für Sie Grundrissänderungen in Frage? Hätten Sie lieber eine Dusche oder eine Badewanne?“ – und betont gegenüber der taz das Angebot „persönlicher Gespräche“ mit einer Projektbetreuerin, die sich den Mietern als Deeskalationsbeauftragte vorgestellt hat.

Die Mieter der Winsstraße 59 – sie sind zu Recht alarmiert. Auch ihnen sitzt das gerade in Berlin umgehende Gespenst Entmietung so spürbar im Nacken, dass es real sein muss. Die Wohnung, das ist das Intimste. Aus einem Kiez verjagt zu werden, ist Entheimatung. Darum verfolgen die Mieter der Winsstraße 59 jeden Film und jeden Bericht über Entmietungen mit größter Aufmerksamkeit. Alle von ihnen wissen von Fällen in der Nachbarschaft, wo ebenfalls Mieter von Entmietung bedroht sind. Fälle wie dem der „Wins Twins“, die ein paar Häuser weiter aus zwei unsanierten Häusern gemacht werden sollen.

Immer droht Verdrängung

Auch hier in der Winsstraße 25 droht Verdrängung: Die Historikerin Ines Garlisch, 48 Jahre alt und seit zwanzig Jahren im Kiez, wohnt mit drei Kindern in ihrer Dreizimmerwohnung auf 98 Quadratmetern. Ginge es nach dem Willen der Besitzer, der Winegg Berlin Realitäten GmbH, würde ihre Bleibe demnächst in eine großzügige Zweizimmerwohnung mit Wohnküche und fensterlosem Bad umgewandelt. Abfindung wurde ihr bislang keine angeboten. Sie könne die Wohnung selbst kaufen, für knapp 380.000 Euro – oder sie müsse über 1.000 Euro Kaltmiete statt der bisherigen 390 zahlen, heißt es.

In diesem Fall müssten sich die drei Kinder ein Zimmer teilen. Es ist Ines Garlisch ein Rätsel, dass der neue Grundriss überhaupt vom Bezirk genehmigt wurde – in diesem Teil der Winsstraße, wo Milieuschutz gilt, ein städtebauliches Instrument, das eigentlich verhindern soll, dass die angestammte Klientel verjagt wird. Nun werden Familien durch betuchte Singles und Paare ersetzt – ein Vorgang, den auch Jens-Holger Kirchner (Grüne), Bezirksstadtrat und Leiter der Abteilung Stadtentwicklung in Pankow, bedauert. Die recht strenge Reform seiner Erhaltungssatzung Anfang des Jahres, die den Milieuschutz beinhaltet, sei ein halbes Jahr zu spät gekommen.

So oder so: Um Ines Garlisch herum sind längst alle ausgezogen, die sozial schwächer sind als sie. Garlisch weiß von einer alten Frau, der sie „das Herz gebrochen haben“, weil sie nach Lichtenberg musste, von einem alten Mann, der jede Woche aus seiner neuen Wohnung in Spandau anreist, „um in seinem alten Kiez zu flanieren“ – aber auch von Jüngeren, denen der Konflikt über den Kopf gewachsen wäre. Jedes Mal, wenn die Verkäufer Ziegert Immobilien zu einer weitere Massenbesichtigung laden, wird Ines Garlisch, die Frau, die sich sonst so leicht von niemandem etwas vormachen lässt, nachdenklich. Ob der Kiez, für den sie kämpft, noch lange der ihre bleibt?

Das Misstrauen unter Berliner Mietern wächst. Das zeigen Fälle wie die am Stuttgarter Platz und in der Winsstraße. Das zeigen aber auch Fälle wie der im Haus der Linienstraße 118 in Mitte. Zwar scheint die Entmietung hier noch menschliche Züge zu tragen. Und doch ist der Dialog zwischen den Eigentümern und Mietern in Gefahr.

Mehr als nur Worthülsen

Martina Hill ist Geschäftsführerin der Jachimowicz Group, die das Haus Anfang des Jahres gekauft hat. Anders als andere Eigentümer in Prenzlauer Berg und Charlottenburg, deren Rückrufe auf sich warten lassen oder die sich mit Worthülsen herausreden, verabredet sich Hill spontan zum persönlichen Gespräch im Café in Mitte.

Hill weiß genau, was derzeit los ist auf dem Berliner Markt. Sie weiß von den Entmietungsfirmen, dem Psychoterror. „Wir haben dagegen immer den persönlichen Kontakt gesucht“, sagt sie und berichtet von einem anderen Objekt in der Linienstraße, wo sie alte Mieter zur Wohnungsbaugesellschaft begleitete. Sie half ihnen, sagt sie, eine günstige Wohnung um die Ecke zu finden, zahlte und koordinierte den Umzug. Martina Hills Firma bietet Mietern bei Auszug bis zu 350 Euro pro Quadratmeter Entschädigung – eine durchaus respektable Summe im Berliner Vergleich.

Und doch sind die Mieter der Linienstraße, die ebenfalls nicht beim Namen genannt werden wollen, in höchster Alarmbereitschaft. Zu viel haben sie gehört und gesehen. Als die Vorbesitzer modernisieren wollten, starb ein alter Nachbar am Herzinfarkt. Nun wurde die Fassade zum zweiten Mal in zwei Jahren gestrichen, und die Bäume im Innenhof wurden gefällt.

Das Gespenst Entmietung in Berlin, es ist Wirklichkeit.