: Reif fürs kollektive Gedächtnis
ERINNERUNG AN RIO REISER
Wenn man Rio Reiser wirklich nahe sein will, legt man sich vielleicht am besten doch eine alte Platte auf. Um ihn zu hören, wie er da singt. Sehnsuchtsvoll. Zornig. Zum Beispiel das bekannte Lied vom Mariannenplatz, mit Rio vorneweg: „Ich schrei’s laut: Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus …“
Da ist schon noch was von den Leidenschaften jener Zeit zu hören in dem „Rauch-Haus-Song“.
Wer es aber gern ein wenig amtlicher will, geht ans Tempelhofer Ufer 32, wo eine Berliner Gedenktafel daran erinnert, dass in diesem Haus Rio Reiser Anfang der Siebziger mal gewohnt hat mit seiner Band Ton Steine Scherben. Am Dienstag wurde das gute Stück aus Porzellan dort angebracht, anlässlich Rio Reisers 17. Todestags.
Eine Gedenktafel. Das heißt ja wohl, dass damit auch das, was mal Alternativkultur genannt wurde, als reif für das kollektive Gedächtnis erachtet wird und anerkannt in seiner Bedeutung. So wie es in der Richtlinie für das Berliner Gedenktafelprogramm heißt: „Einziges Kriterium der zu Ehrenden sind die Leistungen für oder in Berlin … Grundsätzlich sollen nur Personen bzw. Institutionen mit einer Gedenktafel bedacht werden, die auch von überregionaler Bedeutung sind.“ Was bei Rio Reiser allemal in Ordnung geht, war er doch einer der ganz wenigen wirklichen Rockstars, die sich Deutschland bis dato gegönnt hat. Nicht zu unterschätzen auch die Wirkmacht der Scherben, von denen man sich erzählt, dass zumindest bei ihren frühen Touren durch Westdeutschland nach einem Konzert in der betreffenden Stadt immer auch gleich ein Haus besetzt war.
Mit der Zeit und in der Rückschau beruhigt sich manches. Irgendwann wird es in Berlin bestimmt auch eine Gedenktafel geben, die an die Haus- und Instandbesetzer erinnert. Schließlich haben sie mit ihrer Arbeit ihren Teil dazu beigetragen, dass von dem alten Berlin, das bis heute den Reiz der Stadt nicht nur für die Touristen ausmacht, überhaupt etwas übrig geblieben ist.
Ein wenig muss man die Gedenktafel für Rio Reiser suchen. Das liegt daran, dass das Haus momentan eingerüstet ist. Einen neuen Anstrich kann es durchaus vertragen. Die Altmieter, so hört man, sollen aus dem Haus gemobbt werden.
Und Rio Reiser singt, in dem Lied „Durch die Wüste“, sehnsüchtig, zweifelnd: „Hilf mir! Hilf mir! Zeig mir den Weg hier raus!“ THOMAS MAUCH