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Archiv-Artikel

Braucht Deutschland Coffeeshops?Ja

KIFFEN Im Görlitzer Park in Berlin wird zu viel gedealt. Die Lösung: Coffeeshops – das findet zumindest die Bezirksbürgermeisterin

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Monika Herrmann, 49, ist Bürgermeisterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg

Seit Jahrzehnten verfolgt Deutschland erfolglos eine ideologisch restriktive Verbotspolitik von Cannabis. Inzwischen sind Milliarden in die strafrechtliche Verfolgung gesteckt worden. Jüngst zu beobachten im Görlitzer Park. Tägliche Razzien der Polizei konnten dem erhöhten Kauf- und Verkehrsaufkommen nichts anhaben. Cannabis ist längst eine Alltagsdroge, der einzige Unterschied zu Alkohol und Tabak: Es ist verboten und steuerfrei. Mit der Einführung von Coffeeshops wollen wir dem Gesetz tatsächlich genüge tun, denn wir können weder die Abgabe steuern noch den Gesundheits- und vor allem nicht den Jugendschutz gewähren, wenn wir den Verkauf dem Schwarzmarkt überlassen. Ein Coffeeshop reicht natürlich nicht, sonst konzentriert sich der Verkauf nur an einem Ort.

Marc Josemans ist 53. Er sitzt der Maastrichter Coffeeshop-Vereinigung vor

Seit es Menschen auf diesem Planeten gibt, werden auch Drogen konsumiert. Es wäre also viel schlauer, ein transparentes System in Produktion, Verkauf und Konsum von Cannabis einzuführen: Kunden könnten in einen Coffeeshop gehen, ohne kriminalisiert zu werden, Cannabis würde unter strengen Bedingungen angebaut und die Gesellschaft würde von den Extrasteuereinnahmen profitieren. In Holland zahlen die 630 Coffeeshops etwa 430 Millionen Euro jährlich an den Staat. Ob dann nicht jeder anfängt, Cannabis zu rauchen, wenn man Coffeeshops in Deutschland einführt? Die Ergebnisse von mehr als 35 Jahren Coffeeshop-Praxis in den Niederlanden zeigen, dass der Konsum unter dem Europäischen Durchschnitt liegt. Also ist am Ende die Regulierung der weichen Drogen eine Win-Win-Situation für die Gesellschaft, aber ein großer Verlust für den illegalen Umlauf.

Andreas Teuchert, 42, leitet das Berliner Projekt „Unser Görli – einer für alle“

Das Verbot von Cannabis für erwachsene Menschen im Gegensatz zu überall verfügbaren alkoholischen Getränken kann ich nicht nachvollziehen. Im Görlitzer Park wird manche Härte unserer Gesellschaft sichtbar (unmenschliche Flüchtlingspolitik, irrationale Drogenpolitik, Übernutzung aufgrund des Ausverkaufs urbaner Freiräume…). Nichtkonventionelle Maßnahmen wie Coffeeshops könnten zumindest den Kundendruck auf den Park verringern, sollten aber eher bei den umliegenden Clubs und Bars angesiedelt sein anstatt im ohnehin überfüllten Park. Welche künftigen Einkommensquellen sich allerdings die Flüchtlinge suchen werden, die von Illegalisierung, Arbeitsverbot und verfassungswidrig niedrigen Zuwendungen betroffen sind, bleibt offen.

Gundula Barsch, 54, ist Soziologin, Drogenforscherin und Mitglied im Schildower Kreis

Marihuana und Haschisch gehören in Deutschland noch immer zu den illegalisierten, psychoaktiven Substanzen, die am meisten konsumiert werden. Etwa jeder dritte Jugendliche zwischen 12 und 25 Jahren probiert Cannabis. Auch wenn manch Alt-68er weiter gern seinen Joint schmaucht, ist der Konsum klar ein Phänomen der Jugend. Deshalb befürworte ich, dass unsere Jugend durch einen mutigen drogenpolitischen Entscheid aus dem Verweis auf einen Schwarzmarkt mit unberechenbaren Beimengungen herausgeholt wird und nicht durch Vermerke in polizeilichen Führungszeugnissen einen Makel bekommt, der Zukunftschancen verbaut. Sie sollte vielmehr in entsprechenden Clubs eine sachgerechte Anleitung für ihr Tun bekommen und hier lernen, angemessen mit diesen Substanzen umzugehen.

Nein

Mechthild Dyckmans, 62, FDP, ist die Drogenbeauftragte der Bundesregierung

Die gesundheitlichen Gefahren durch häufigen Cannabiskonsum sind nicht zu unterschätzen. Das bestätigen aktuelle Studienergebnisse und die vielen Menschen, die sich wegen Cannabis in Behandlung begeben. Die Einführung von Coffeeshops würde das völlig falsche Signal an Jugendliche senden, dass Cannabisprodukte unbedenklich seien. Cannabis ist eine illegale Substanz nach dem Betäubungsmittelgesetz. Handel treiben und Inverkehrbringen der Substanz sind daher nur zu wissenschaftlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken möglich. Das sehe ich hier nicht erfüllt. Deutschland braucht keine Coffeeshops.

Hubert Wimber, 64, ist seit 1998 Polizeipräsident von Münster

Ich bin kein Befürworter von Coffeeshops nach niederländischem Vorbild, weil hierdurch der Drogenmarkt nicht entkriminalisiert wird. Notwendig ist vielmehr, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass Repression kontraproduktiv ist und die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Der Umgang mit psychoaktiven Substanzen gehört in den Bereich der Gesundheitspolitik und nicht der Strafverfolgung. Insofern sind Coffeeshops nicht die Lösung, sondern am Ende notwendig ist ein „Drogenladen“, in dem einschlägige Substanzen unter staatlicher Lizenzierung und Kontrolle sowie staatlicher Distribution, verbunden mit einem Beratungsangebot zu Gefahren und Suchtpotenzialen des Konsums, verkauft werden.

Katharina Oguntoye, 54, leitet das interkulturelle Netzwerk Joliba in Berlin

Ich denke nicht, dass wir zu diesem Zeitpunkt einen Coffeeshop in Kreuzberg brauchen. Ich finde es richtig, die User und die kleinen Dealer zu entkriminalisieren, doch ein Coffeeshop am Görlitzer Park würde die dramatische Situation nicht entschärfen. Die Ursache für die steigende Zahl der Afrikaner im Park, einige davon sind Dealer, andere aber auch nicht, ist die Politik gegenüber Flüchtlingen und Migranten. Menschen sind gezwungen, ihre Heimatländer zu verlassen. Hier angekommen, erhalten sie keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu sichern, weil sie keine Arbeitserlaubnis bekommen. Sinnvoll fände ich deshalb Unterstützungsangebote, damit sie sich in ihrer neuen Lebensumwelt zurechtfinden. Coffeeshops sind nur dann eine Option, wenn sie Teil eines Gesamtkonzeptes sind, welches Informations- und Hilfsangebote einschließt. Neue Ansätze benötigen einen breiten gesellschaftlichen Konsens, zu dem die aktuelle Diskussion beitragen kann.

Der User „cannabaer“ hat unseren Streit als Gast auf taz.de kommentiert

Coffeeshops sind keine Lösung. Besser wäre es, wenn der Staat wie bei anderen Genussmitteln eine unabhängige Kontrollinstanz ist und kommerzieller Vertrieb der Substanzen nach strengen Qualitätsstandards erfolgt. Die Qualität des Cannabis in den Niederlanden entspricht beispielsweise nicht den Anforderungen des deutschen Arzneimittelrechts, 90 Prozent der Proben aus Coffeeshops sind mit Schimmel durchsetzt. Die Legalisierung wie in Uruguay mit der Möglichkeit eines Anbaus zum Eigenbedarf ist die einzig wirkliche Lösung und führt zur Entkriminalisierung der Nutzer. Eine Cannabiskonsumlizenz wie in den USA ist eher eine Fortsetzung des „Don’t ask – Don’t tell“-Prinzips unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Erkrankung. Die Frage einer Integration (ehemaliger) Dealer in die Gesellschaft ist ein anderes Spielfeld. Da braucht es eher eine Reform des Straf- und Aufenthaltsrechtes. Coffeeshops sind keine Lösung der akuten Situation.