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Archiv-Artikel

Dann eben allein

WAHLKAMPF In den Bundestag kommt man über die Partei. Konkurrenten ausstechen, Lager mobilisieren. Wolfgang Neskovic, einst Linksfraktion, versucht es als Einzelkämpfer in der brandenburgischen Lausitz. Kann das klappen?

Alleingänge

■ Der eine: Wolfgang Neskovic wurde 1948 in Lübeck geboren. Der Jurist und ehemalige Richter kandidierte 2005 für die Linkspartei und zog in seinem Wahlkreis in Brandenburg in den Bundestag ein. Im Jahr 2012 trat er wegen eines Streits um die brandenburgische Energiepolitik aus der Linksfraktion aus. Jetzt kandidiert er als Einzelbewerber.

■ Die vielen: In diesem Jahr bewerben sich so viele Kandidatinnen und Kandidaten als Unabhängige wie nie zuvor. 81 Bewerber versuchen, es ohne ihre Partei ins Parlament zu schaffen. Darunter Siegfried Kauder, der Bruder des CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der wegen seines Alleingangs vom Kreisverband Schwarzwald-Baar aus der Partei ausgeschlossen werden soll. Kauder hat aktuellen Umfragen zufolge kaum eine Chance gegen seinen Konkurrenten von der CDU. Er käme auf nur 12,5 Prozent. Auch der Frankfurter SPD-Politiker Michael Paris will es alleine schaffen. Paris hatte den Kampf um die Nominierung für eine SPD-Direktkandidatur für den hessischen Landtag verloren.

AUS DER LAUSITZ UND BERLIN ANJA MAIER (TEXT) UND JENS GYARMATY (FOTOS)

Wolfgang Nešković hat schon angefangen zu packen. Gleich hinter der Tür in seinem Bundestagsbüro steht sein offener Reisekoffer. Heute Abend will er mit dem Zug von Berlin nach Lübeck. Nach Hause. Man sieht Papiere, ein Deo, es bleibt noch Platz für ein paar von Neškovićs Kleidungsstücken, die am Garderobenständer hängen. Roséfarbene oder weiße Hemden, dunkle Jacketts. Wertiges Understatement.

Es ist der Nachmittag des 28. Juni, der letzte Sitzungstag vor der Sommerpause. Das Parlament hat an diesem Freitag das Ehegattensplitting für Homopaare beschlossen. Es hat die Genitalverstümmelung für Frauen und Mädchen unter Strafe gestellt und acht Milliarden Euro Flutopferhilfe abgesegnet.

Gegen zwölf Uhr, zur umstrittensten Abstimmung, ist Wolfgang Nešković von seinem Büro Unter den Linden hinüber zum Reichstagsgebäude gelaufen, um mit seinen ehemaligen Fraktionskollegen von der Linken über das Betreuungsgeld abzustimmen. Dagegen natürlich.

So wie es aussieht, war das eine der letzten Abstimmungen des Abgeordneten Nešković im Deutschen Bundestag.

Wolfgang Nešković, 65 Jahre alt, kandidiert zwar erneut fürs Parlament. Aber seine Wiederwahl ist unwahrscheinlich. Nešković, der einstige Linkspartei-Abgeordnete, tritt als Einzelbewerber im Brandenburger Wahlkreis 64, Cottbus, Spree-Neiße an. Er hat ihn schon einmal direkt gewonnen, 2005 war das. Als parteiloser Abgeordneter der Linken hatte er einem SPD-Mann die Lausitz abgenommen. Aber diesmal liegt die Sache anders, diesmal tritt er als „Unabhängiger“ an, wie er das gern nennt. Er muss nun lernen, ohne einen Apparat, ohne die üblichen Unterstützer und ohne Parteigelder zu kämpfen.

Er wird diesmal wohl auch lernen zu verlieren. Seit 1949 hat es kein Einzelbewerber in den Deutschen Bundestag geschafft.

Wolfgang Nešković sagt: „Die Lausitz kann Geschichte schreiben.“

Vor allem, weil das eigentlich eben anders läuft. „In Deutschland werden traditionell Parteien gewählt, nicht die Kandidaten“, sagt Matthias Micus vom Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Und trotzdem bewerben sich am 22. September 81 Einzelkämpfer um einen Platz im Parlament. Sie wollen ein Direktmandat, ohne Fraktion im Rücken, sie brauchen die Erststimmen ihrer Wähler. Weil sie etwas verändern wollen. Politisch.

Es ist alles andere als ausgemacht, dass diese 81 Bewerber allesamt Querulanten sind, die den Spielraum des deutschen Wahlrechts ausnutzen, um irrwitzige persönliche Interessen durchzusetzen oder ihre Profilneurosen auszuleben. Sie wollen, das darf man im Fall Nešković annehmen, als Politiker weiterführen, was sie begonnen haben.

Einzelkandidaten, zumal wenn sie wie in diesem Wahlkampf Wolfgang Nešković, der CDU-Mann Siegfried Kauder aus Baden-Württemberg oder Hessens SPD-Kandidat Michael Paris bereits eine gewisse politische Prominenz erreicht haben, werden von ihren einstigen Fraktionskollegen gern als guten Argumenten schwer zugänglich beschrieben. Als Querulanten, die sich der Fraktionsdisziplin nicht unterordnen wollen. Nešković selbst sagt es ja: „Ich war stets mir selbst treu und meinen Wahlversprechungen.“ Na also.

Es geht bei derlei Selbstbehauptungsversuchen auch um die Bewahrung des Eigenen. Politik ist ein Beruf, der seinen Mann, seine Frau und gegebenenfalls auch die Familie ernährt. Ein Beruf, der einen über die Jahre entfremdet von dem, was und wer man mal war – Anwalt, Ärztin, Kaufmann. Politik ist ein Beruf, der dem, der ihn ausübt, mitunter das Gefühl geben kann, es ginge diesem Land besser, weil man in diesem oder jenem Ausschuss an diesem oder jenem Antragspapier mitgearbeitet hat. Weil man der politischen Konkurrenz in einer scharfsinnigen Rede den Spiegel vorgehalten hat oder nach einer Wahlkreisreise vom Seniorchef des örtlichen Mittelstandsunternehmens gebeten wurde, sich ins lederne Gästebuch einzutragen.

Die vornehmste Aufgabe des Abgeordneten ist es, für seine Leute im Wahlkreis da zu sein. Viele Parlamentarier tun das auch. Auch Nešković. Sie halten Sprechstunden, geben Rat bei Mietstreitereien, helfen, Ansprechpartner im Pflegefall zu finden, oder schreiben einen Brief mit dem Bundestagskopf.

Sie verrichten die Kärrnerarbeit des parlamentarischen Betriebs. Sie müssen sich beschimpfen lassen, sich ansprechbar, verfügbar halten und haben zu schweigen über die Demütigungen und Ränke in solch einer Fraktion mit ihren Flügeln, Konkurrenzen und Abneigungen.

Aber seltsam, beim Bürger scheint dies Engagement keinen allzu großen Eindruck zu hinterlassen. Bei der letzten Bundestagswahl haben 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht abgestimmt. Der höchste Nichtwähleranteil in der Geschichte der Bundesrepublik. Bis jetzt.

Das Streiten, das Beharren. Man spürt sich so großartig

In Wolfgang Neškovićs Berliner Abgeordnetenbüro hängt ein Zettel an der Tür: „Wenn du gewinnen willst, darfst du nicht verlieren!“ Mit Ausrufezeichen.

Er müsste nicht mehr, er ist im besten Rentenalter. Aber er will.

Nešković, dieser Mann mit dem grauen Haar und der modischen Brille, kennt sich aus mit Siegen und Niederlagen, privat, beruflich, politisch. Er war Richter am Bundesgerichtshof. Zuvor, ab Anfang der Neunzigerjahre, Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck.

Er war einer, das erzählt er an diesem Nachmittag in seinem Büro, der sich als Sohn eines Zuwanderers immer gegen Widerstände durchsetzen musste. Der es allen zeigen wollte und der für das von ihm als richtig Erkannte vehement streitet. Gegen den Kosovokrieg, für die Kontrolle der Geheimdienste, gegen Privatisierungen. Irgendwann mag er begriffen haben, dass auch das Streiten und das Beharren großartige Möglichkeiten sind, sich zu spüren.

„Mich kann nur das gute Argument beugen, jedoch nicht irgendeine Hierarchie“, sagt Wolfgang Nešković und lehnt sich in seinem dunklen Bürostuhl zurück. Immer sei er unbeugsam gewesen. So wie sein Vater. Der, ein serbischer Maurer, war „ein unheimlich stolzer Mann“. Als Kriegsgefangener war er nach Deutschland gekommen und dann geblieben. Er hat Neškovićs Mutter, eine Schneiderin, getroffen. Ihr Kind, das im Sommer 1948 in Lübeck geboren wurde, nannten sie Wolfgang-Dragi Willi Nešković. Dragi: Der Teure.

Wenn Wolfgang Nešković von den Demütigungen erzählt, die er als „Ausländerkind“ ertragen musste, wird seine Stimme brüchig. „Du alter Russe!“, haben ihm andere Kinder nachgerufen. Du alter Russe. „Das war das Schimpfwort schlechthin.“ Erst als junger Mann bereist er Jugoslawien und lernt nach vielen Jahren den anderen Teil seiner Familie kennen. Als er sich erinnert, ringt er um Fassung. Ein stiller Moment. Nur das Vibrieren der S-Bahn ist zu hören, die unter dem Bürogebäude durch Berlin rattert.

Er sagt dann, sein Vater sei ja auch einer gewesen, der geweint hat. „Ich hatte einen Vater, den ich umarmen konnte, den ich geliebt und verehrt habe.“ Und doch sei er damals wegen ihm gekränkt worden – „von Kindern, deren Eltern das Schicksal meines Vaters zu verantworten hatten. Das hat ganz früh meinen Widerstandsgeist geweckt und auch meine Bereitschaft, Ungerechtigkeit bekämpfen zu wollen.“ Er hat das durchgezogen.

Er studierte in Hamburg Jura, ab Ende der Siebzigerjahre arbeitete er als Rechtsanwalt, dann als Richter. Im Jahr 1990 wird er Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck und 2002 gegen erhebliche Widerstände Richter am Bundesgerichtshof.

In all den Jahren hat er auch Politik gemacht. Die Mitgliedschaften haben gewechselt, nur links blieb er. Fünfzehn Jahre SPD, zehn Jahre bei den Grünen, für die Linke sieben Jahre im Bundestag, zuletzt fraktionsloser Abgeordneter – Wegmarken, die seinen Kritikern sicherer Beleg dafür sind, dass diesen Nešković keine innere Überzeugung leitet. Sondern dass da einer unbedingt Politiker bleiben will, der Parteien nurmehr als Plattform braucht. Nešković selbst bestreitet das erwartungsgemäß: „Ich muss mir nichts mehr beweisen.“

Und er sagt: „Seit meinem Austritt aus der Linksfraktion kommen mehr Leute, auch aus den Medien, auf mich zu und interessieren sich für die Inhalte meiner Arbeit.“ Also: Ohne Fraktion läuft es besser. Er will jetzt für seine neue Unabhängigkeit gewählt werden.

Gregor Gysi hat den prominenten Bundesrichter 2005 ins Parlament gebracht. Der sorgte immer wieder für Irritationen. Mal forderte er öffentlich die Reform der Geheimdienste, obwohl seine Fraktion sie abschaffen wollte. Dann, als die Linke sich nach schweren inneren Kämpfen im Juni 2012 eine neue Führung wählte, schmähte er – als Nichtmitglied – den Reformerkandidaten Dietmar Bartsch als „Sprechblasenfacharbeiter“ und „Herr des Hinterzimmers“. Bartsch, der sich noch 2005 für Nešković stark gemacht hatte, sagt heute, sein einstiger Fraktionskollege sei bei der Linken „auf ein Boot aufgesprungen, das von anderen flott gemacht worden ist“.

Im Dezember 2012, nach tiefen Zerwürfnissen mit seinem Brandenburger Landesverband, verließ Wolfgang Nešković die Bundestagsfraktion. Es ging um die Braunkohle, das große Thema in seinem Wahlkreis. Nešković ist für den Ausstieg, doch die Brandenburger Linke ordnet sich Koalitionszwängen unter. Als die Cottbusser Linken auch noch beschlossen, nicht den ewigen Querschläger Nešković, sondern ihre Landtagsabgeordnete Birgit Wöllert im Wahlkreis 64 antreten zu lassen, schmiss er hin.

In seiner Austrittserklärung schrieb Nešković, die Täuschung als „Wesensmerkmal der Parteienpolitik“ passe nicht zu seinem politischen Selbstbild.

Nun tritt er an gegen eine Linke, gegen einen Gewerkschafter von der SPD und den gut vernetzten CDU-Bürgermeister von Spremberg.

Im Wahlkampf lädt er zu Diskussionen, bei denen er andere Abgeordnete mit „dressierten Meerschweinchen“ vergleicht.

Diese Verheißung der Ungebundenheit kommt gut an bei den Lausitzern. Vielen gilt das Parlament als Schwatzbude, in der sich keiner mit ihren Sorgen zu befassen scheint. Die Leute erleben, dass Abgeordnete gegen ihre eigene erklärte Überzeugung mit der Fraktion für höhere Diäten oder sauteure Rettungsschirme stimmen. In den Abendnachrichten sehen sie schwarze Limousinen vorfahren. Ein Gefühl der Vergeblichkeit macht sich breit. Wohl auch deshalb gibt es in diesem Bundestagswahlkampf so viele Einzelbewerber. Die, das sagt der Politikwissenschaftler Matthias Micus, „verkörpern, was wir uns manchmal ersehnen: ergebnisoffene Debatten, Authentizität“. Doch im politischen Alltag komme es nun mal darauf an, Mehrheiten zu organisieren, die Reihen geschlossen zu halten und Schwächen des Gegners auszunutzen. Also das glatte Gegenteil von Unabhängigkeit.

Es ist ein schwülheißer Abend in der Niederlausitz. Im alten Schafstall, dem Gemeindehaus von Gosda, haben sich die Dörfler versammelt. Sie sitzen an langen Tischen vor Bier und Limo. Es gibt Neuigkeiten. Vattenfall – der Energiegigant in der Region – ist bereit, die Kosten für das Brauchwasser der Gosdaer zu achtzig Prozent zu subventionieren, vorerst. Die Anträge auf „Gießwasserbegünstigung“ können beim Versammlungsleiter abgeholt werden. „Und das haben wir wirklich dem Herrn Nešković zu verdanken“, sagt Peter Schiemann von der Bürgerinitiative. Der Herr Nešković habe sich leider etwas verspätet, werde aber gleich aus Berlin eintreffen. „Wenn’s konkret wird“, sagt Schiemann noch, „hilft uns hier doch keiner, das hat die Wassergeschichte gezeigt. Bis auf den Herrn Nešković, der ist ein absoluter Glücksgriff.“ Dann warten die Dörfler auf ihren Glücksgriff.

Auf dem Dorf ist er der, der beim Brauchwasser hilft

Bis 1980 wurde gleich neben Gosda, im nahen Jänschwalde, Braunkohle abgebaut. Der Grundwasserspiegel sank, in den Dörfern ringsum wurde das Brauchwasser knapp. Die Bergbau-Verwaltungsgesellschaft des Bundes sollte durch Renaturierung dafür sorgen, dass Gärtner und Bauern ausreichend Wasser bekommen. Aber Gosda ist klein und vielleicht auch nicht so wichtig. Plötzlich war man in der Position von Bittstellern gegenüber einer Behörde, die eigentlich dafür da ist, den durch den Bergbau Geschädigten zu helfen, deren Heimat weggegraben und zerstört worden war.

Das letzte Angebot der Behörde lautete, man verkaufe den Gosdaern Brauchwasser zum Preis von 1,04 Euro netto pro Kubikmeter, der Grundwasserspiegel werde eh bald wieder steigen. Die Gosdaer lachen bitter, wenn sie das hören. Gleich in der Nähe, an den Klinger Teichen, kann man es ja sehen, wie niedrig der Wasserspiegel noch immer ist. Bis der steigt, sind ihre Gärten vertrocknet und das Vieh kriegt teures Trinkwasser. Brav füllen sie ihre Anträge auf „Gießwasserbegünstigung“ aus.

Durch die offene Tür kommt nun Wolfgang Nešković. Alle Köpfe wenden sich. Im schwarzen Anzug setzt er sich nach vorn zum Versammlungsleiter. Es sind mehr als 30 Grad im alten Schafstall, sein Jackett behält er an. Er berichtet von seinem Treffen mit dem Chef der Sanierungsgesellschaft und wie man zu einer Lösung gekommen sei. Achtzig Prozent Subvention, immerhin. „Sie sollten nicht diese horrenden Gebühren bezahlen“, sagt Nešković. „Die Lausitz darf nicht das Indianerreservat von Vattenfall werden.“

Und dann erzählt er, worum er sich hier im Wahlkreis sonst noch so auf dem kurzen Dienstweg kümmert, noch ist er ihr Abgeordneter. Morgen trifft er sich mit den Verantwortlichen, um über eine neue Umgehungsstraße zu reden. In Cottbus hat er eine Verabredung mit dem Oberbürgermeister, es geht um die Änderung der Gewerbeordnung. Und ja, er habe ein Elternpaar rechtlich beraten, deren Tochter im zurückliegenden Winter tragisch in einem abgestellten Zug erfroren war. „Ich kann Menschen helfen.“ Ihnen, den Gosdaern, hat er schon geholfen, konkret geholfen. Politik kann so was erstaunlicherweise.

Er erklärt nun sein Anliegen und er zeigt sein Besteck. Er will gewählt werden.

„Die Lausitz kann Geschichte schreiben“, sagt Wolfgang Nešković. Immer wieder dieser Satz.

Er, Wolfgang Nešković, der Maurersohn aus Lübeck, wäre dann Teil dieser Geschichte. Er wirbt um die Stimme von jedem, der ihm zuhört. Ob hier in Gosda oder neulich beim Spremberger Bürgerverein. Oder in Guben, wo er im City Treff im wabernden Bratkartoffelduft 30 schläfrigen Rentnern einen lauten Vortrag über den Rechtsstaat im allgemeinen und das Versagen der Brandenburger Linken im besonderen hält. Und auch im Berliner Reichstag, wo er eine Besuchergruppe aus seinem Wahlkreis trifft. „Wenn wir 20, 30 Unabhängige im Parlament hätten“, sagt er ihnen, „könnte die Politik anders aussehen.“

Eine Frau meldet sich. Sie möchte wissen, was ein Alleinkämpfer wie er in einem fraktionierten Parlament denn überhaupt erreichen könne. Wolfgang Nešković zählt auf. „Ich kann zu jedem Thema reden. Ich könnte sogar unmittelbar auf die Kanzlerin reagieren. In einer Fraktion ist das im Regelfall nur dem Vorsitzenden vorbehalten. Ich kann Änderungsanträge im Gesetzgebungsverfahren einbringen und Mitglied eines Ausschusses sein. Außerdem hätte das Direktmandat eines Unabhängigen ein größeres demokratisches Gewicht.“

Dass er als Fraktionsloser nur beratend in Ausschüssen mitarbeiten könnte und lediglich ein Kurzrederecht hätte, sagt er nicht. Aber auf die Kanzlerin reagieren, das klingt nach Klartext. Früher, als Linke-Abgeordneter, fährt Wolfgang Nešković fort, habe er im Bundestag einen Stempel gehabt, der sei endlich weg. Nun könne er auf andere Fraktionen zugehen und Verbündete suchen, „ohne dass ich mich mit Hierarchien herumschlagen muss“. Und dann: „Eigentlich bin ich kein Politiker, sondern ein Richter, der nach den Maßstäben seines Berufes Politik macht.“

Das gefällt den Leuten. Ein Mann, den sie wählen können, und der sich um ihre Belange vor Ort kümmert. Einer, der was Neues versucht. Unabhängigkeit. Das klingt anders als das Gewohnte, Eingeübte und Enttäuschende.

Nešković, der Westler im Osten mit dem Beharrungsvermögen, verkörpert die Verheißung der Piraten in Einzelausführung. Unangepasstheit, Wagemut, Beharrungsvermögen.

Dass ihm die Leute überhaupt aufmerksam zuhören – mal mehr wie im Reichstag, mal weniger wie im Gubener City Treff – ist ein Zeichen, dass sie bereit sein könnten, ihm ihre Stimme zu geben.

Im Jahr 2009 bekam Nešković dreißig Prozent der Erststimmen. Der Zweite, ein SPD-Mann, 27,9 Prozent. Die CDU-Kandidatin erhielt 24,1 Prozent der Stimmen. Es könnte auch diesmal knapp werden. Aber für wen?

 Anja Maier, 47, ist Parlamentskorrespondentin der taz