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Archiv-Artikel

ALTER MEISTER Die Manning-Hände

So nonchalant hat selten jemand seine Fesseln präsentiert. Mit übereinandergelegten Händen nimmt Bradley Manning am Mittwoch dieser Woche vor dem Militärgericht von Fort Meade das Urteil entgegen. Die Handschellen erkennt man erst auf den zweiten Blick. 35 Jahre Haft und die unehrenhafte Entlassung aus dem Militärdienst: Das ist die Strafe für die Weitergabe von Tausenden internen Dokumenten an die Enthüllungsplattform Wikileaks, darunter Informationen über die Kriegsführung im Irak und in Afghanistan sowie Depeschen von US-Diplomaten.

Erinnern Sie diese Handhaltung? Für Angela Merkels Raute wenigstens gibt es weniger Vorbilder. Die Manning-Hände dagegen sind in der Kunstgeschichte oft zu sehen. Von Hieronymus Bosch über Caravaggio und Dürer bis zu Lovis Corinth bilden sie den festen Bestandteil fast aller berühmter „Ecce homo“-Gemälde. „Seht, der Mensch“, so überschrieben Künstler nicht nur ihre Darstellungen der Schmerzensgestalt Jesu Christi am Ende des Kreuzwegs mit der Dornenkrone. Es ist genauso oft Titel für eine Szene aus dem Johannes-Evangelium, die sogenannte Schaustellung Jesus, in der zugleich sein Todesurteil fällt. Der rebellische Wanderprediger, den die Hohepriester der Gotteslästerung beschuldigen, wird mit gekreuzten, gefesselten Händen dem Volk von Jerusalem präsentiert. Roms Statthalter Pontius Pilatus will selbst kein Urteil fällen und lässt den Mob entscheiden. Wie die Geschichte weiterging und wer bald seine Hände in Unschuld wusch, ist wahrscheinlich bekannt. JÖRN KABISCH