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Archiv-Artikel

portrait Verantwortungsträger am Kanthaken

Viel reden möchte Klaus Konrad über „früher“ nicht mehr. „Ich gebe keine weiteren Auskünfte“, wiegelt er ab. Angestrengt bestätigt der 91-Jährige am Telefon auch nur, dass „die Verhandlung wohl eröffnet“ sei. Eine „Vorladung“ zum Militärtribunal in La Spezia will der frühere Wehrmachtsoffizier und spätere SPD-Politiker aus Scharbeutz nicht erhalten haben. „Und wenn“, dann „wäre ich eh nicht gefahren.“

So begann gestern in Abwesenheit des Angeklagten der Kriegsverbrecherprozess. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Träger des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse vor, 1944 in der Toskana an der Folterung und Ermordung von mindestens 54 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Konrad fühlt sich bis heute unschuldig, Verantwortung will der einstige Verantwortungsträger nicht übernehmen. „Unglaublich, immer nachzufragen“, sagt er, bevor er auflegt.

Gegenüber dem ARD-Magazin „Kontraste“ hatte Konrad 2004 erklärt, er bedaure, dass „die Italiener mich am Kanthaken haben“. Am 13. Juli 1944 griff das 274. Infanterieregiment, zu dessen Führungsstab Konrad gehörte, vermeintliche Partisanen im Dorf Pietramala an. Mehr als 17 ältere Männer, Frauen und Kinder ermordeten sie, und 48 Männer verschleppten sie zum Stabssitz in dem Dorf San Polo. Im Weinkeller der Villa leitete Konrad die „Verhöre“. Die Soldaten folterten und vergewaltigten einige der Verschleppten, die sie später alle erschossen. 16 ihrer Opfer begruben sie lebendig.

Bis 1945 erreichte Konrad den Rang eines Oberstleutnants. Nach dem Krieg lebte er ein gutbürgerliches Leben, inklusive SPD-Karriere. Von 1962 bis 1969 saß der Jurist im Kieler Landtag, danach bis 1980 im Bundestag. Als juristischer Berater diente er SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. Seine Karriere stoppt 1972 auch nicht die Ermittlung der Staatsanwaltschaft Gießen wegen des Massakers. Sie stellte die Untersuchung ein, da der Vorwurf des Totschlags verjährt war.

Seit mehr als 55 Jahren gehört der dreifache Vater Konrad der SPD an. Als die Vorwürfe 2004 durch die Medien gingen, legte er das Amt des SPD-Ehrenkreisvorsitzenden nieder. Die Genossen waren entsetzt: „Das soll Konrad gewesen sein“ – kaum vorstellbar – so nett, so anerkannt war er. SPD Landeschef Claus Möller erklärte damals: „Wir werden Konrad nicht vorverurteilen.“ Mittlerweile ruht die Parteimitgliedschaft. „Der Landesvorstand traf diese Entscheidung“, so Landesgeschäftsführer Christian Kröning. Ein Parteiordnungsverfahren folge. Seit längerem wird auch wieder in Gießen gegen Konrad ermittelt. Ein Ende sei nicht absehbar, sagt Oberstaatsanwalt Reinhard Hübner: „Wir warten das Urteil in Italien ab.“ ANDREAS SPEIT