: Tod für die Welt
KRIMISTAR Ostern laufen gleich drei Mankell-Verfilmungen im Ersten – für beide Seiten ein sehr gutes Geschäft
HENNING MANKELL
VON JENS MÜLLER
Krimihelden sind wie Vampire, Untote. Sie kommen wieder, auch wenn ihre Autoren sie längst beerdigt haben. So war es einst mit Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes, so ist es heute mit Wolf Haas’ Brenner und mit Henning Mankells Wallander. Acht Jahre nach dem neunten Wallander-Buch erscheint in diesem Monat die deutsche Ausgabe von Band zehn der Reihe um den Kommissar aus der südschwedischen Provinz, deren exemplarischer Werteverfall und idyllische Verkommenheit eine stattliche Fangemeinde unterhält. Auf den letzten folgt der nun wirklich allerletzte Wallander. Der Kommissar werde nicht sterben, aber, was er sich ausgedacht habe, mache eine weitere Fortsetzung schlicht unmöglich, verkündet der Autor nebulös: „You will see!“
Aber warum nun noch dieser zehnte Wallander? Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die Eltern aller Schwedenkrimis, haben ihre ab 1965 erschienene Serie um Kommissar Beck ebenso auf zehn Bände angelegt wie später Håkan Nesser seinen Zyklus über Kommissar Van Veeteren; auch die „Millennium-Trilogie“ des verstorbenen Stieg Larsson war als Dekalog geplant.
Henning Mankell selbst sagt hingegen: „Ich wusste von Anfang an, dass ich keinesfalls zehn Bücher schreiben würde. Das ist inzwischen so ein Klischee!“ Deswegen zählt er neuerdings „Vor dem Frost“, den Roman um Wallanders Tochter Linda, mit und kann so behaupten, mit „Der Feind im Schatten“ nun den elften Wallander vorzulegen. Außerdem ist es ja so: Henning Mankell kann schreiben, was er will, nichts verkauft sich so gut wie Wallander. Der Kommissar lehrt seinen Schöpfer die Gesetzmäßigkeiten des Marktes.
Davon wiederum versteht hierzulande die Degeto eine Menge. Die Filmbeschaffungsorganisation der ARD mit einem jährlichen Budget von mehreren hundert Millionen Euro ist eine Weltmacht. Sie setzt an diesem Osterwochenende ganz auf Henning Mankell; am Samstag mit 180 wallanderlosen Minuten in „Kennedys Hirn“, am Ostersonntag und -montag mit je einer neuen Folge von „Mankells Wallander“. Beide Projekte sind internationale Koproduktionen, aber der Hauptfinanzier ist immer die Degeto. Deren Chef Hans-Wolfgang Jurgan hat es sonst nicht leicht. Allzu gern sehen die Kritiker in ihm die personifizierte Anspruchslosigkeit des Fernsehmediums. Für die Süddeutsche Zeitung ist er „der Märchenonkel der Generation 60 plus, die er in den Schlaf wiegt, indem er schöne Landschaften mit etwas Handlung garniert“.
Zumindest Landschaften finden sich auch in den Osterfilmen reichlich. In „Kennedys Hirn“ darf der Zuschauer – neben der malerischen Topografie des südlichen und östlichen Afrika – ein modernes schwedisches Ferienhaus auf einem Eiland im Meer bewundern, ein Musterbeispiel des nüchtern-gemütlichen skandinavischen Einrichtungsstils.
Dies ist wohl auch ein ganz wesentlicher Grund für den Erfolg der schwedischen Krimischreiber. Wer mit den Büchern von Astrid Lindgren aufgewachsen ist, mit „Karlsson vom Dach“ und den „Kindern von Bullerbü“, den zieht es dann als Erwachsenen an die Sehnsuchtsorte der Kindheit zurück. Nur können die jetzt nicht mehr ganz so heil sein, weshalb nun ein auf sympathische Weise mediokrer Kriminaler die ideale Identifikationsfigur ist.
„Ich habe versucht, über einen Typen wie dich und mich zu schreiben“, so simpel erklärt sich Mankell selbst seinen Erfolg: „Im vierten Buch bekam Wallander Diabetes und das machte ihn nur noch beliebter – weil die Menschen im wirklichen Leben Diabetes bekommen. James Bond hingegen nicht.“ Hans-Wolfgang Jurgans Erklärung für das Mankell-Phänomen sind „natürlich auch die sozialkritischen Themen. Er schildert keine losgelösten Verbrechen, die wie Fettaugen auf der Suppe schwimmen. Wer hat keine Meinung zum Beispiel zu Kindesmissbrauch?“ Einer der neuen Wallander-Filme wartet mit der Charakterstudie eines Pädophilen auf, im anderen liefern die Mohammed-Karikaturen scheinbar das Mordmotiv. Mankell, Ideengeber und finaler Abnicker der Produktionen, greift die aktuelle Paranoia auf, ohne sie zu bedienen. Ausgestoßene und Minderheiten haben in dem Moralisten Mankell einen loyalen Fürsprecher.
Wie viel Geld genau der Degeto die Zusammenarbeit mit Mankell wert ist, will Jurgan nicht preisgeben. Auch der Hinweis auf die scharfe Kritik an der Degeto macht ihn erst mal sprachlos: „Was soll ich dazu sagen?“ Ein tiefer Seufzer, eine lange Pause, dann: beredtes Schweigen.
Zu den Vorwürfen an die Degeto-Filme gehört auch, dass sie immer alles auserzählen müssen. Immer? „Mankells Wallander“ kann mit einer spektakulären Leerstelle aufwarten. In der ersten Staffel der Reihe war Linda Wallander die wichtigste Polizistin an der Seite ihres Vaters, gespielt von Krister Henriksson, einem von inzwischen drei Wallander-Mimen. Linda Wallander wurde von der jungen Schauspielerin Johanna Sällström verkörpert, sie ist vor drei Jahren gestorben. Für die neuen Filme wurde die Rolle der Linda nicht neu besetzt, sie ist auch nicht etwa umgezogen oder tot. Sie ist einfach nicht mehr da. Ohne Erklärung. „Herr Mankell hat ein anderes Figurenkonzept erarbeitet“, sagt Jurgan.
Herr Mankell ist übrigens ein überaus höflicher und gelassener Zeitgenosse. Hat man erst einmal seine Privatnummer in Erfahrung gebracht, darf er ihn auch anrufen, in seinem Haus am Meer. Er lässt sich dann selbst durch die Frage nicht aus der Ruhe bringen, ob er nun mehr Geld mit Filmen oder Büchern verdiene – als Antwort demonstratives Grübeln, solche profanen Dinge treiben ihn doch nicht um! Kritik an seiner Arbeit kontert Mankell erst mit Argumenten und fragt dann höflich nach dem Wetter in Berlin. Ein echter Profi.
Dass sein Herz in Afrika schlägt, wissen wir nicht erst, seit er voriges Jahr mit Dunja Hayali vom „heute-journal“ quer durch den Schwarzen Kontinent gereist ist, um vor berückend schöner Landschaft unser Problembewusstsein zu schärfen. Gerade ist er zurück aus Maputo, Mosambik, seinem zweiten Wohnsitz.
„Der Rest der Welt begreift immer noch nicht, was hier vor sich geht“, so belehrt Heino Ferch Iris Berben in „Kennedys Hirn“, einem gut gemeinten Thriller über die dunklen afrikanischen Machenschaften zynischer Pharmamanager. Nach der Ausstrahlung des Films werden es immerhin ein paar Millionen Menschen mehr begriffen haben.
■ „Kennedys Hirn“, Sa., 20.15 Uhr, ARD; „Mankells Wallander – Rache“, So., 21.45 Uhr, ARD; „Mankells Wallander – Die Schuld“, Mo., 21.45 Uhr, ARD