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Archiv-Artikel

Ein flotter Reifen auf dem Parkett

BEWEGUNG Beim Rollstuhltanzfestival in der Max-Schmeling-Halle tanzen Menschen mit und ohne Handicap Tango und Swing

„Wenn Sie Radio hören und mit den Fingern zum Rhythmus schnippen, ist das auch Tanzen“

ANDREA VOLKMANN, ORGANISATORIN

VON FLORIAN WAGENER

Udo Dumbeck hat sich in einen Rollstuhl gesetzt, fährt schnell nach vorn, stoppt abrupt ab und vollzieht eine elegante Drehung. „Schub, steh, greif, dreh, greif“, ruft der Tanzlehrer, der den Tangokurs leitet, rhythmisch. Die Rollstuhlfahrer schauen ihm konzentriert zu, hinter ihnen stehen ihre Partner. „Und jetzt die Fußgänger“, ruft Dumbeck, während er aufspringt und seinen Rollstuhl an die Seite rollen lässt. „Schritt, Schritt, schließen“, ruft er, während er nun den laufenden Teilnehmern die Bewegungen demonstriert.

Sie alle waren am Wochenende Teil des zweiten Rollstuhltanzfestivals „Dance Days Berlin“ in der Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg. An den Workshops nahmen 106 angehende Tänzer aus ganz Deutschland teil, Menschen mit und ohne Handicap. Unterrichtet wurden verschiedene Stile wie Tango, Swing oder Irish Dance.

Mehr als die Füße

Tanzlehrerin Andrea Volkmann hat das Festival gemeinsam mit dem Verein Mit-Mensch organisiert. „Tanzen ist nicht nur die Bewegung der Füße“, sagt sie. „Wenn Sie im Auto sitzen, Radio hören und mit den Fingern zum Rhythmus schnippen, dann ist das auch Tanzen.“ Mit dieser ebenso einfachen wie weiten Definition will Volkmann hervorheben, dass auch Menschen mit Beeinträchtigung Tänzer sein können – auch wenn dies für viele erst einmal nicht vorstellbar erscheinen mag.

Im Tangokurs versuchen sich 34 angehende Tänzer an den vorgegebenen Figuren. Einige von ihnen konnten schon Vorerfahrungen sammeln, andere sind Anfänger – nicht anders, als es wohl auch bei einem Tanzkurs für Fußgängerpaare der Fall wäre. Tanzlehrer Udo Dumbeck hat als Fußgänger zahlreiche internationale Tanztitel gewonnen und ist zudem ein Pionier des Rollstuhltanzes. Dazu kam er per Zufall: Bei einer gemischten Rock-’n’-Roll-Formation war ein Fußgängertänzer ausgefallen, Dumbeck sprang ein – und blieb.

An der Entwicklung verschiedener rollstuhlkompatibler Tanzstile arbeitet er nun seit 18 Jahren. Für den Rollstuhltango etwa wurden verschiedene Stile so zusammengeführt, dass sie den Bedürfnissen von Menschen mit Beeinträchtigung entgegenkommen. Der Charakter des Tanzes wird aber nicht verändert.

Angela Beyer ist Teilnehmerin des Tangokurses und Mitglied von Mit-Mensch, in dessen Rollstuhltanzgruppe „Rock an Wheels“ sie aktiv ist. „Im Rollstuhltanz gibt es einige Unterschiede zum Fußgängertanz“, erklärt die Rollstuhlfahrerin. So müssten die Seitenschritte uminterpretiert werden, weil sie auf Rädern nicht nachvollzogen werden können. „Insgesamt halten sich die Unterschiede aber in Grenzen“, findet sie.

Auch wenn es Beyers Tanzgruppe schon seit 13 Jahren gibt, steckt der Rollstuhltanz als Breitensport noch in den Kinderschuhen. In Berlin gibt es momentan neben „Rock an Wheels“ nur wenige andere Gruppen, denen sich tanzwillige Rollstuhlfahrer anschließen können. Zudem mangele es an Lehrern – an motivierten Rollstuhlfahrern mangelt es hingegen nicht. Nur viele „Fussis“ hätten noch Berührungsängste, bedauert Beyer.

In der Max-Schmeling-Halle ist davon nicht viel zu spüren. Festival-Organisatorin Andrea Volkmann leitet gerade den Kurs für lateinamerikanisch Tänze. Auch sie wechselt permanent vom Reifen auf die Sohle und erklärt den Teilnehmern zwischendurch auch mal individuell die Bewegungsabläufe. Auch Volkmann hat eine erfolgreiche Karriere als Tänzerin zu Fuß absolviert, bevor sie sich in erster Linie dem Tanzen mit Handicap widmete. Neben dem Rollstuhltanz bietet sie spezielle Workshops für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und für blinde Menschen an.

„Beim Rollstuhltanz kommen viele Komponenten zusammen“, erklärt Volkmann während einer Pause. „Man braucht einige Zeit, bis es klappt, aber dann wird es immer einfacher.“ Alle Tänzer hätten eine aktive Rolle und seien absolut gleichberechtigt. „Betanzt“ werde hier niemand.