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Archiv-Artikel

„Wir sind auf die Türken angewiesen“

INTEGRATION Von der deutsch-türkischen Universität in Istanbul profitieren beide Länder, sagt die CDUlerin Rita Süssmuth: Deutschland braucht mehr Fachkräfte, die Türkei europäisch orientierte AkademikerInnen

Rita Süssmuth

■ Die 73-jährige ehemalige Bundestagspräsidentin (CDU) leitet seit Ende Februar das Konsortium deutscher Universitäten, die sich am Aufbau einer deutsch-türkischen Universität (DTU) in Istanbul beteiligen.

taz: Frau Süssmuth, die Deutschen sollen den wissenschaftlichen Input für die eutsch-türkische Uni (DTU) bringen, die Türkei die Gebäude. Ist das ein Austausch auf Augenhöhe?

Rita Süssmuth: Das wäre nicht kooperativ. Selbstverständlich werden auch türkische Wissenschaftler an dieser Uni arbeiten.

Wie viele?

Das entscheiden die gemeinsamen Berufungskommissionen.

Viele TürkInnen studieren ohnehin in Deutschland. Ist die DTU nicht ein Luxusprojekt?

Es wäre schlecht, wenn junge Türken sich nur nach Frankreich oder den USA orientierten, die schon Unis in Istanbul haben. Die Türkei ist eine der dynamischsten Regionen der Welt. Sie ist die Brücke zu den arabischen und asiatischen Ländern. Wer diese Investition als Luxus bezeichnet, denkt zu kurz.

Viele türkische Jugendliche in Deutschland haben Probleme, überhaupt einen Abschluss zu erreichen. Müsste man die nicht eher fördern als die Mittelschicht in der Türkei?

Das sind keine Alternativen. Wir haben hier viel zu spät begonnen, unsere massiven Versäumnisse zu korrigieren.

Und weil wir das verpasst haben, importieren wir jetzt Fachpersonal aus der Türkei?

„Es wäre schlecht, wenn junge Türken sich nur nach Frankreich oder den USA orientierten“

Wir müssen die Chancen der hier Lebenden erhöhen, ganz klar. Leider gehen viele der am besten ausgebildeten Türken wieder in die Türkei zurück. Wir sind aber zwingend auf Menschen aus anderen Ländern angewiesen.

Sie gehen zurück, weil sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Das könnte den DTU-AbsolventInnen auch so gehen.

Zum Glück wächst in den Unternehmen rasant die Einsicht, dass es nur zu ihrem Nachteil ist, wenn sie diese Diskriminierungen beibehalten.

Was hat die Türkei davon, dass sie einen Braindrain nach Deutschland organisiert?

Das ist kein Braindrain, sondern ein Austausch. Die Türkei hat ein Interesse daran, dass ihre Absolventen auf dem europäischen Arbeitsmarkt arbeiten können, etwa im Außenhandel. Die Türkei ist ein offenes Land, das seine Modernisierung immer durch das Lernen von anderen vorangetrieben hat. Das gilt etwa auch für die theologischen Fakultäten.

Dann könnte man auch die Ausbildung deutscher Imame an Ihre Uni verlegen?

Das können wir im Moment nicht leisten. Wir werden aber Islamwissenschaften anbieten.

Deutsch-Türkische Uni

Startschuss: Am Mittwoch hat das türkische Parlament die Gründung der Deutsch-Türkischen Universität (DTU) in Istanbul beschlossen. Das Projekt wird seit 2008 geplant. Im Wintersemester 2010/11 werden die ersten Workshops und Graduiertenkollegs stattfinden, in einem Ausweichgebäude, weil der Bau selbst im Istanbuler Stadtteil Beykoz noch nicht steht.

Pläne: Die Hochschule soll danach zunächst für 5.000, später für bis zu 20.000 Studierende ausgebaut werden. Unterrichtssprachen sind Deutsch und Türkisch, gelegentlich auch Englisch.

Studium: Fünf Fachbereiche sind geplant: Natur-, Ingenieurs- und Rechtswissenschaften, Wirtschaft und ein Bereich Kultur- und Sozialwissenschaften. Ein Konsortium von 27 deutschen Unis beteiligt sich am Aufbau der DTU. (oes)

Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan hat nicht nur türkische Schulen sondern auch eine deutsch-türkische Uni in Deutschland gefordert.

Das Gegenseitigkeitsprinzip ist eine gute Idee, die wir praktizieren werden. Aber nun müssen wir zuerst diese Uni zum Laufen bringen. Wir brauchen auch mehr zweisprachige Schulen. Die Aufgeregtheit war stark übertrieben. Wenn Kinder Chinesisch lernen, zuckt doch auch keiner zusammen.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH