piwik no script img

Archiv-Artikel

Haftstrafe für türkische Menschenrechtlerin

Istanbuler Gericht verurteilt Eren Keskin zu zehn Monaten Gefängnis. Ihr Vergehen: Sie kritisierte das türkische Militär

BERLIN taz ■ Eren Keskin ist eine mutige Frau. Die Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin kritisiert offen politische Missstände und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, vor allem das brutale Vorgehen des türkischen Militärs. Wegen ihren Aussagen 2002 in Köln auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Ist Frauenrecht ein Menschenrecht?“ wurde sie jetzt in Istanbul zu zehn Monaten Haft oder ersatzweise etwa 4.500 Euro verurteilt.

Die stellvertretende Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins hatte in Köln über „vom Staat ausgehende sexuelle Gewalt“ gesprochen. Ihre Thesen stützte Keskin auf Daten, die sie seit 1997 in ihrem „Rechtshilfebüro für Opfer sexueller Belästigung und Vergewaltigung in staatlichem Gewahrsam“ sammelte. Mit ihren Aussagen habe sie die türkischen Streitkräfte beleidigt, urteilte das Gericht.

In ihrer Rede sprach Keskin darüber, dass sexuelle Folter eine Methode der Kriegspolitik sei, vor allem in den kurdischen Gebieten. Die betroffenen Frauen hätten große Angst, die Vergewaltiger aus den Reihen der Sicherheitskräfte anzuzeigen. Außerdem berichtete sie über den Druck, den das Militär auf die Politik ausübt. Legislative, Exekutive und Judikative seien vom militärischen System abhängig. Das Militär sei eng mit der Wirtschaft verwoben: Teile der Oyak-Gruppe, die in 38 verschiedenen Bereichen wie Banken, Hotels und Fabriken agiert, gehören dem Militär. „So sind Waffen und Kapital in einer Hand, das macht die militärische Macht umso erschreckender und unangreifbarer“, kritisierte Keskin.

In der Urteilsbegründung argumentierte das Gericht, dass „bestimmte Kreise sensible und wertvolle Ämter und Institutionen unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit angreifen“ und dabei Rückendeckung durch die EU und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhielten. „Diese Unterstellung des Gerichts ist mit einem demokratischen Rechtswesen, mit einer objektiven Sichtweise und einer unabhängigen Justiz unvereinbar“, erklärte Keskin.

Keskins Engagement hat ihr neben einigen Ehrungen – darunter die Verleihung des Menschenrechtspreises von amnesty international 2001 in Hamburg und des Aachener Friedenspreises 2004 – vor allem Gefahren eingebracht. Die ultranationalistische Türkische Vergeltungsbrigade drohte offen damit, sie umzubringen. Keskin wurde mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, über hundert Ermittlungsverfahren wurden ihr angehängt. Für ein Jahr wurde ihr die Anwaltszulassung entzogen.

„Dass Eren Keskin als Rechtsanwältin nicht nur professionell politische Angeklagte vor Gericht vertritt, sondern auch ohne Honorar jenen Frauen in der Türkei kostenlos Rechtsbeistand gewährt, die von staatlichen Sicherheitskräften sexuell misshandelt wurden, das ist der Tabubruch, den die türkische Justiz jetzt abstrafen will“, erklärte Uta Kempen vom Aachener Friedenspreis-Verein. Aber Keskin lässt sich nicht einschüchtern. Die Geldstrafe will sie nicht bezahlen, eher gehe sie in Haft. Denn: „Kein Mensch soll die Freiheit seiner Meinung mit Geld erkaufen.“ SARAH STEFFEN