Immer Endspurt, nie im Ziel

Günther Oettinger versucht, alle Themen zu besetzen und überall zu sein. In der CDU hoffen sie, dass er lockerer wird. Dabei ist Anspannung sein Kapital

Er will ein weiches Profil. Sein Kind wird gefilmt, fotografiert und interviewt

AUS STUTTGART GEORG LÖWISCH

Es muss doch zu schaffen sein. Angela Merkel haben ihre Wahlkampfmanager ja auch den Nachnamen abmontiert. „Angie, Angie“, das hat Nähe erzeugt, auch wenn sie jetzt wieder die Merkel ist. Fürs „Günther, Günther“ sind an diesem Abend in der Stuttgarter Messehalle ein Haufen Jungen und Mädchen in orangefarbenen Poloshirts eingeteilt. Wenn Oettinger die SPD zeiht oder das Ausländerthema bringt, heben sie ihre Günther-Pappschilder hoch.

Er ist technokratisch. Redet gehetzt. Wirkt angespannt. So was wird ihm schon seit Jahren angelastet. Wenn der Erwin weg ist, wird es besser, haben sie in der CDU gesagt, als Oettinger auf den Abgang des damaligen Regierungschefs Erwin Teufel lauerte. Wenn wir gute Umfragewerte haben, entspannt er sich, haben sie erklärt, als er vor elf Monaten als neuer Ministerpräsident anfing. Jetzt heißt es: Nach der Wahl am Sonntag wird er lockerer sein.

Aber vielleicht sollten sie das gar nicht hoffen in der CDU. Vielleicht ist gerade die Anspannung seine Stärke. Sie lässt ihn Themen suchen, Fehler vermeiden, Statistiken fressen. „Er ist reaktionsschnell“, sagen seine Gegner.

Natürlich ist diese Anspannung auch eine Schwäche. Er steht steif auf der Bühne, und wenn er gestikuliert, arbeitet die Linke aus dem Ellenbogen heraus. Die Beine sind geschlossen, nur wenn Applaus und Günther-Rufe kommen, geht er in eine leichte Läuferstellung und wartet auf den nächsten Anlauf. „Sieben Prozent Hauptschulabbrecher in Baden-Württemberg, zwölf Prozent in Deutschland“, rattert er. „Sozialfälle zu erziehen kann nicht unsere Politik in Baden-Württemberg sein.“

Oettinger ist als Jurastudent in die Junge Union gegangen. Zu Hause in Ditzingen im Nordwesten Stuttgarts hat er sich mit anderen zusammengetan und die alten Funktionäre weggeputscht. Er wurde Politiker. Als nach Lothar Späths Rücktritt Erwin Teufel alle Vertrauten aus der Landtagsfraktion in den Ministerrat mitnahm, griff Oettinger zu: Fraktionschef, das ist in Baden-Württemberg der Kronprinzenjob. Über ein Jahrzehnt hoffte er. Dann hat er den Erwin wegorganisiert.

Teufel war verletzt. Wahrscheinlich leidet er darunter, dass Oettinger jetzt mit seinen Regierungserfolgen wirbt. „Man muss sich um die Einzelanliegen der Bürger kümmern und nicht wie ein Maschinengewehr loslegen“, hat er neulich gesagt. Er musste nicht erklären, wen er meint. Gegen Oettinger war Teufel eine Haubitze. Eine Kanone, die die Burg beschützte und selten Schüsse abgab. Aber wenn, dann donnerte es. Die Leute mochten ihn.

Oettinger war nie beim Publikum beliebt. Dafür war er immer gut darin, Männerbünde zu schließen. Er gehört seit dem Studium in Tübingen zur Landsmannschaft Ulmia, einer schlagenden Verbindung. Sein Ulmia-Bruder Christoph Dahl ist Regierungssprecher, sein Ulmia-Bruder Reiner Wieland wichtigster baden-württembergischer Europaparlamentarier, und Thomas Strobl von der Afrania aus Heidelberg ist Generalsekretär der Landespartei. Er ist auch Mitglied im Andenpakt, in dem sich Roland Koch, Friedrich Merz und andere Loyalität versprochen haben. Das dritte Netzwerk entstand in der Jungen Union Baden-Württemberg, Andreas Renner gehört dazu, der zurückgetretene Sozialminister.

„Baden-Württemberg muss vorne bleiben“, ruft Oettinger den 1.200 Zuhörern zu. Es klingt wie ein Kommando.

Inhaltlich versucht Oettinger, überall zu sein. Er fördert Ganztagsschulen und erklärt den Landeiern der CDU, dass auch Mütter einen Job ausüben dürfen. Dabei betreut seine Frau, eine Modedesignerin, den eigenen Sohn schon lange allein. Er organisiert Auftritte mit Naturschützern und Ökobauern und warnt gleichzeitig vor Bedenkenträgerei bei der Gentechnik. Er hat sich als Modernisierer geriert und trotzdem vor fünf Jahren mit seinen Ulmia-Brüdern „Deutschland, Deutschland über alles“ gesungen.

Jetzt tut er alles, um sich ein weicheres Profil zu geben. Er lässt seinen 7-jährigen Sohn im Wahlkampf auftreten, lässt ihn vom Südwestrundfunk filmen, von Bunte interviewen und von Bild fotografieren. Seine Frau ist selten im Wahlkampf dabei.

Er wollte ein Herzensthema haben. Das Kinderland Baden-Württemberg. Es funktioniert ganz gut. Aber jetzt vom Podium herab verlangt er „Investitionen in Köpfe und Herzen“. Nach ihm spricht Stoiber. Er legt Timbre in das Wort. Kinderland. Neben Oettinger könnte der Bayer als Harry Rowohlt durchgehen, der von Pu dem Bären erzählt.

Oettinger hat er es in den Umfragen auf bis zu 46 Prozent geschafft, vermutlich wird er mit der FDP weiterregieren. Aber die Zahlen entspannen ihn nicht, es sind noch viele Menschen unentschlossen. Alles über 40 Prozent ist in Ordnung. 39 Prozent wären die Katastrophe.

Er kämpft dagegen, seit Monaten. Er empfängt Politiker und Verbandsfunktionäre abends in der Regierungszentrale oder bestellt sie zu seinen Auswärtsterminen. Er schläft im Auto, telefoniert viel, schreibt wenig, macht nach all den Terminen noch einen drauf. „Er lebt von der Hand in den Mund“, sagt ein CDU-Mann. „Das Staatsministerium ist ein Bermudadreieck für Briefe“, sagt ein anderer.

Er steht mit seiner Frau auf dem Podium im orangefarbenen Scheinwerferlicht, daneben Stoiber, Späth und Ole von Beust aus Hamburg. Ole und Lothar und Edmund und Günther. Die Männer haben sich CDU-Schals übers Jackett legen lassen. Inken Oettinger trägt keinen.

Aus den Boxen kommt „The Final Countdown“ von Europe. Oettinger wird ein Obstkorb überreicht. Vitamine für den Endspurt. Er nimmt einen Apfel, beißt rein, bewegt sich langsam nach vorne, wirkt unentschlossen, beißt noch zweimal ab, legt den Apfel weg. Dann ist das Profilächeln wieder da, die Plakatmaske Modell Günther.

Nur für einen Moment hat er anders gelächelt. Ein wenig unsicher hat es ausgesehen, scheu fast. Vielleicht lächelt so ein Vater aus Ditzingen.