: Der Mielke von Mailand
ITALIEN Vor dem Champions-League-Rückspiel in Moskau wird Inter Mailand von einer Abhöraffäre erschüttert: Das Privatleben von Profis wurde ausspioniert
Moskau ist zwar kalt. Dort gibt es gefährlichen Kunstrasen. Aber immerhin ist die russische Hauptstadt, in der heute Nachmittag das Viertelfinalrückspiel der Champions League zwischen ZSKA Moskau und Inter Mailand stattfindet, weit weg von den Mailänder Gerichtssälen. Dort entsteht zurzeit ein Bild, das das stolze Inter wie eine Mischung aus Lidl-Filiale und Stasi-Außenposten erscheinen lässt.
Anlass ist der Prozess, den Christian Vieri gegen seinen alten Arbeitgeber anstrengt. Der frühere Mittelstürmer wirft Inter vor, sein Telefon abgehört und sein gesamtes Privatleben ausgespäht zu haben. Freilich fühlt sich Vieri aufgrund seiner Bedeutung stärker gedemütigt als das bespitzelte Lidl-Personal. Er fordert 21 Millionen Euro Schmerzensgeld, ein Verbot zur Bekleidung öffentlicher Ämter für Inter-Boss Massimo Moratti und die Zurückgabe des Meistertitels, den Inter am Ende der Saison 2006 ausgerechnet als Konsequenz der Aufdeckung des gigantischen Betrugsimperiums des Juventus-Turin-Managers Luciano Moggi zugesprochen bekam. Die Gazzetta dello Sport konstruierte daraus sogleich ein Calciopoli-Nebengleis. Das rosa Blatt verwechselt aber, dass Moggi seine Telefone benutzte, um Schiedsrichter auf eine Juventus-freundliche Linie zu bringen und dabei abgehört wurde, während Moratti den Erich Mielke spielte und mit Stasi-Methoden in die Privatsphäre seiner Untergebenen eindrang.
Die Wege in Mailand waren ziemlich kurz. Marco Tronchetti Provera, jetzt Aufsichtsratsmitglied von Inter Mailand und damals Chef von Telecom Italia, machte den hauseigenen Abhörspezialisten Giuliano Tavaroli mit Moratti bekannt. Der Telecom-Mann legte seine elektronischen Horchinstrumente so im Inter-Milieu aus, wie er es bei mehreren tausend Personen des öffentlichen Lebens auch schon getan hatte. Weil er Politikern, Journalisten und Entertainment-Stars abgehört hatte, verantwortet sich Tavaroli gegenwärtig vor Gericht.
Die Aktion im Fußball war ein paar Nummern kleiner. Es ging nur darum, das kostbare Kicker-Eigentum vor Wertverfall zu schützen. Leben und Umfeld der Inter-Stars wurden überwacht, um leistungsfeindliche Einflüsse wie Partys, Drogen und Liebschaften fernzuhalten. Peinlichkeiten wie der Umgang der Herren Mancini, Altobelli und Materazzi mit einem Schneider und Drogenhändler namens Domenico Brescia wurden dabei bekannt. Der musste wegen seiner Verbindung zu ’Ndrangheta zeitweise in die Illegalität abtauchen. Solch ein Umgang ist natürlich nicht im Sinne des Arbeitgebers.
Mario Balotelli, dem von Inter-Seite wiederholt „falscher“ Umgang, Unprofessionalität und Disziplinschwierigkeiten vorgeworfen wurden, ist momentan begnadigt und darf in Moskau kicken. Gespannt ist man derzeit in Italien, welche Aufklärungseinheit Moratti dieses Mal rekrutiert hat, um das Geheimnis des gefürchteten Kunstrasens im Lushniki-Stadion herauszufinden. Die Standfestigkeit der Inter-Spieler wird Auskunft über den Erfolg dieser Mission geben. TOM MUSTROPH