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Archiv-Artikel

„Jedes Dorf hat seinen eigenen Dialekt“

HAUSBESUCH Elke wollte anfangs nichts von Georg wissen, vor allem weil sie ihn nicht verstanden hat. Bei Familie Faigle

VON NADINE MICHEL (TEXT) UND YVONNE SEIDEL (FOTOS)

Zollernalbkreis, Binsdorf, ein Ortsteil von Geislingen, zu Hause bei Elke (47), Georg (44), Aljoscha (20), Sophie (10), Benjamin (8) Faigle und Kater Mister Miez.

Draußen: Ein renoviertes Bauernhaus, Holzgartentor, kleine Rasenfläche vor dem Haus mit Biertisch und Bierbank, wo die Faigles gerne zusammen essen. Umgeben von Sträuchern und Efeu. Helle Fliesenstufen zur Haustür, weiße Fassade, eine Hausseite mit Wein bewachsen, im Fenster hängt ein selbst gebasteltes Mobile aus Muscheln. Auf den oberen Fensterscheiben kleben Tieraufkleber.

Drin: Drei Etagen mit insgesamt acht Zimmern, zwei Bädern, drei Klos, einer Speisekammer, Küche, zwei Abstellräumen, ein Gewölbekeller. Überall im Haus kleine bunte Teppiche mit Katzenmotiven, Holzbalken, weiße Wände, wenig Dekoration. Weiße und lilafarbene Orchideen auf der Fensterbank. In Sophies Zimmer ist alles rosa und pink, die Couch, der Schreibtischstuhl, die Lampe (Georg: „Das war mal so eine Phase“). An der Wand hängen ein Schwert und ihre Urkunden vom Bogenschießen. In Benjamins Zimmer sind alle Spielsachen in Kisten verstaut, nichts liegt rum (Sophie: „Der spielt immer bei mir, dann muss er nicht aufräumen“).

Wer macht was? Georg ist Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in Albstadt und dabei für verschiedene Themenfelder zuständig, wie zum Beispiel Sozialrechtsberatung, Tarifpolitik oder die Vertretung von Schwerbehinderten („Ein toller, abwechslungsreicher Job, mit dem man auf der richtigen Seite ist“). Elke ist gelernte Sozialpädagogin und arbeitet derzeit wegen der Kinder als Hausfrau („Beruf, Schule, Haushalt – immer kam irgendwas zu kurz“). Aljoscha hat gerade seine Ausbildung als Kinderpfleger beendet, Sophie und Benjamin gehen beide auf die Waldorfschule, Sophie in die 5., Benjamin in die 3. Klasse.

Wer denkt was? Georg ist besorgt um 130 Leute, die in einem von der Insolvenz bedrohten Betrieb ihre Arbeit verlieren könnten. Benjamin freut sich auf das gemeinsame Zelten während der Ferien mit der Nachbarin im Garten. Und die ganze Familie freut sich auf den Urlaub in Spanien.

Elke: Aufgewachsen in Grosselfingen im Zollernalbkreis, in einer Handwerkerfamilie mit eigener Küchenfirma. Sie hat eine Schreinerlehre gemacht und wollte mal den Betrieb übernehmen. Ihre Eltern dachten eher, dass sie einen Schreiner heirate, statt es selbst zu machen. Aber: „Ich wollte beweisen, dass ich das kann.“ Sie zog mit 19 aus, arbeitete als Möbelverkäuferin, ging dann zur Abendschule und fing wieder beim Vater im Betrieb an. Dann mittlere Reife, Fachhochschulreife, und schließlich besuchte sie in Reutlingen die FH für Sozialwesen. Außerdem arbeitete Elke in Wohneinrichtungen für psychisch kranke Menschen. „Als Hausfrau fühle ich mich heute wohl.“

Georg: Aufgewachsen in Ringingen auf der Schwäbischen Alb, machte nach seiner mittleren Reife eine Ausbildung in der Metallindustrie („Das war mir auf Dauer zu wenig“). Holte seine Fachhochschulreife nach, studierte Sozialwissenschaften in Duisburg, lernte während dieser Zeit Elke in Rottweil kennen und ging an die Technische Uni Darmstadt, als Aljoscha zur Welt kam. Arbeitete dann zunächst als Gewerkschaftssekretär in Villingen, bevor er vor sieben Jahren nach Albstadt kam („Heute wüsste ich nicht, was ich anderes machen könnte in meinem Leben“).

Das erste Date: War vor 21 Jahren. Sie lernten sich bei einem Studentenfest kennen. Georg: „Da habe ich gewusst, das ist die Frau fürs Leben.“ Elke wollte von ihm anfangs aber gar nichts wissen, vor allem weil sie ihn nicht verstanden hat (Georg: „Jedes Dorf hat seinen eigenen Dialekt“). Georg war hartnäckig, sie gingen ein paarmal aus, und schließlich kam er zu ihr nach Hause. Elke: „Ich dachte, das ist heute definitiv das letzte Mal, und habe gezielt langweilige Fernsehsendungen angemacht.“ Dann hat er sie geküsst.

Die Hochzeit: War aus pragmatischen Gründen, weil Georg dem Wehrdienst kurz vor seiner Magisterarbeit aus dem Weg gehen wollte. Elke trug ein Sommerkleid und machte sich selbst einen Kranz aus Gänseblümchen. Es war der dritte Geburtstag von Aljoscha. Elke: „Wir sind dann geschwind zum Rathaus gegangen und haben den Papierkram gemacht.“ Anschließend gab es ein Grillfest.

Der Alltag: Benjamin bittet jeden Abend darum, dass er am nächsten Morgen wieder um halb sechs geweckt wird. Sophie steht um sechs auf. Dann gibt’s für die Kinder einen Pfannkuchen mit Nutella, manchmal auch zwei. Sophie hasst es, wenn Aljoscha vor ihr im Bad war („Der hinterlässt richtig ’ne Duftwolke“). Elke packt dann die Sachen für die Kinder („Auch für den Großen, der macht das nicht selber“). Georg bringt die Kinder und zwei andere aus dem Dorf zur Schule. Die beginnt um 7.40 Uhr, um 7.30 Uhr sitzt er im Büro und kommt gegen halb sieben, sieben nach Hause. Dann gibt es ein gemeinsames Abendessen. Sophie macht mittwochs beim Schulzirkus mit, freitags hat sie Bogenschießen. Benjamin spielt lieber zu Hause mit dem iPad. Aljoscha geht zweimal die Woche zum Fußballtraining. Samstags oder sonntags saunieren Elke und Georg drei Stunden lang (Elke: „Da haben wir einfach mal Ruhe“).

Wie finden Sie Merkel? Sophie: „Sie lacht fast nie.“ Elke: „Ich finde es wichtig, dass sie es als Frau geschafft hat, Bundeskanzlerin zu werden, aber deshalb kann ich nicht CDU wählen.“ Benjamin, mit dem iPad in der Hand: „Sie hat gesagt, dass das Internet für uns alle Neuland ist.“

Wann sind Sie glücklich? Georg: „Wenn es meinen Kindern und meiner Frau gut geht.“ Elke: „Das Gleiche wollte ich auch sagen.“ Sophie: „Wenn ich im Urlaub bin und mich entspannen kann.“

Nächstes Mal treffen wir Familie Brockmann in Peitz. Wenn Sie auch einmal von uns besucht werden möchten, schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de