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Archiv-Artikel

Merkel versucht es nicht einmal

KRIEG & FRIEDEN SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel zum Antikriegstag am 1. September über einen möglichen Kriegseinsatz gegen das Assad-Regime und Einschätzungen zu den Interessen Russlands: Es sei falsch, jetzt Militäreinsätze zu befürworten. Das Morden in Syrien werde so nicht gestoppt

INTERVIEW INES POHL & STEFAN REINECKE

taz: Herr Gabriel, macht Ihnen die Lage in Syrien Angst?

Sigmar Gabriel: Angst, nein. Aber riesige Sorgen, dass sich dieser Brandherd zu einem Flächenbrand ausweitet.

Was tun?

Wir brauchen eine deutsche und europäische Friedensinitiative – gerade wegen der Eiszeit in den Beziehungen zwischen Russland und den USA. Das anzustoßen ist auch die Aufgabe der deutschen Kanzlerin. Wir haben ja in der Vergangenheit häufig die Rolle des Mittlers eingenommen. Ein Militärschlag, die geplante Strafaktion wegen des Chemiewaffeneinsatzes, wird ja das Morden in Syrien nicht stoppen. Wirklich helfen würde es doch nur, wenn Russland dazu bewegt würde, nicht mehr die schützende Hand über das Assad-Regime zu halten. Nur wenn Russland keine Waffen und wirtschaftliche Hilfe mehr liefert, wird Assad zu einem Waffenstillstand bereit sein.

Klingt gut. Aber wo gibt es Anzeichen, dass sich Russland von Assad wegbewegt?

Ich bin sicher, dass es auch nicht das Interesse Russlands und Putins sein kann, den Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen gegen die Zivilbevölkerung zu decken. Das wäre ja geradezu eine Einladung an alle Diktatoren der Welt, diese grausame Völkerrechtsverletzung auch ins Kalkül zu ziehen. Russland hat deshalb jetzt eine sehr große internationale Verantwortung. Der Giftgaseinsatz hat einfach eine neue Qualität in diesem ohnehin schon fürchterlichen Bürgerkrieg geschaffen. Das wissen die Russen auch.

Das sagt Angela Merkel so ähnlich …

Aber wo ist die deutsche Außenpolitik? Wenn Herr Westerwelle sehr schnell feststellt, dass eine politische Lösung „kaum noch vorstellbar“ sei, darf man wohl fragen, warum die Bundeskanzlerin ihn nicht zur Ordnung ruft. Ein Außenminister, der sich politische Lösungen nicht mehr vorstellen kann, hat entweder einen beklagenswerten Mangel an Vorstellungskraft oder ist einfach fehl am Platz. Ich würde Angela Merkel übrigens nicht kritisieren, wenn ihre außenpolitischen Initiativen keinen Erfolg hätten, denn dafür könnte sie nichts. Ich kritisiere sie, weil sie es gar nicht erst versucht, sondern ihren Außenminister über Militärschläge schwadronieren lässt.

Die Kanzlerin hat am Donnerstag mit Putin gesprochen. Ergebnis: Man strebe eine politische Lösung an …

… nachdem sie dazu öffentlich aufgefordert werden musste. Angela Merkel muss jetzt dringend gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen eine europäische Friedensinitiative starten und Russland einbinden. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat recht, wenn er vorschlägt, die vier wichtigsten Gestalter der internationalen Politik zusammenzubringen: Den UN-Generalsekretär, die Präsidenten Obama und Putin sowie den Präsidenten der Arabischen Liga. Diese vier hätten die Kraft, eine Waffenruhe zu vereinbaren, um humanitäre Korridore zu etablieren und der geschundenen Bevölkerung zu helfen. Auf diesem Weg könnte man auch den Anschlagsort untersuchen, um sicher zu wissen, wer für diesen Giftgasangriff wirklich verantwortlich ist. Diese Vorschläge von Peer Steinbrück müssen während des G-20-Gipfels in St. Petersburg beraten werden, und sie bieten Russland die Chance, zu einem aktiven Partner einer neuen Syrienpolitik zu werden.

Ist der Militärschlag, den die USA offenbar vorbereiten, falsch?

Es gilt das alte Motto von Helmut Schmidt: Hundert Stunden verhandeln ist besser als eine Minute schießen. Deshalb wäre es falsch, jetzt als Erstes mit Militärschlägen zu antworten. Die UN-Inspektoren sind noch nicht einmal aus Syrien zurück. Sie müssen doch erst einmal ihren Bericht im Sicherheitsrat der UN vortragen. Und auch danach brächte uns eine weitere Drehung der Kriegsspirale doch nicht weiter. Das Morden wird nicht gestoppt, sondern im Gegenteil: Es könnte noch weitere Kreise ziehen. Deutschland und Europa müssen deshalb alles daransetzen, Russland bei Waffenstillstandsbemühungen ins Boot zu bekommen.

■ Das vollständige Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel lesen Sie auf www.taz.de